Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Künstlerin Hito Steyerl analysiert KI: Das digitale Proletariat h�…
> Hito Steyerl zeigt in Wien zwei Multimedia-Installationen zur künstlicher
> Intelligenz. Dazu gehört auch ihre Verknüpfung mit Katastrophengebieten.
Bild: Hito Steyerl, „Mechanical Kurds“, 2025, Standbild aus der Videoinstal…
„Der Menschheit ist die Kugel bei einem Ohr hinein und beim anderen
herausgeflogen“. Unter diesem Titel, geliehen beim Wiener Schriftsteller,
Publizisten und Satiriker Karl Kraus (1874–1936), zeigt das Museum für
angewandte Kunst (MAK) in Wien erstmals eine Einzelausstellung der
deutschen Filmemacherin und Essayistin Hito Steyerl.
In zwei multimedialen Installationen, „Mechanical Kurds“ (2025) und „Hell
Yeah Fuck Die“ (2016), verdichtet Steyerl ihre Diagnose des irrationalen
Selbstzwecks von künstlicher Intelligenz im Wettlauf der Entwicklung, von
ihren fatalen ökologischen wie politischen Konsequenzen. Ein Jahrhundert
später [1][erscheint Karl Kraus] tatsächlich als deren entfernter
Verwandter. Unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs zweifelte er an der
Möglichkeit gesellschaftlicher Veränderungen allein aus besserer Einsicht:
„Nein, der Seele bleibt keine Narbe zurück. Der Menschheit wird die Kugel
bei einem Ohr hinein und beim andern herausgegangen sein.“
Hito Steyerl verändert die Zeitform des Satzes vom Futur II ins Perfekt.
Ihre Haltung wird postapokalyptisch, die befürchteten Zustände sind
längst eingetreten. Gängige Kulturkritik in Sachen KI besorgt
möglicherweise unfreiwillige PR für die prometheischen Versprechen ihrer
Start-ups, die längst nicht wissen, ob eine „Killerapplikation“ jenseits
der Rüstungsindustrie ihre horrenden Investitionen je wieder einspielen
wird.
[2][Steyerl nähert sich den komplexen Sachverhalten] mit ebenso komplexen
künstlerischen Verfahren an. In ihren Arbeiten entwickelt sie nichtlineare
Erzählungen, spannt diese auf unterschiedliche mediale Elemente – auf
Videoprojektionen, Raum- und Soundinstallationen –, die sich jeweils um
neue Bedeutungsebenen ergänzen.
## Dem Denken eine neue Richtung ermöglichen
Steyerls Kunstwerke wirken wie Stopovers, die dem Denken der Betrachtenden
plötzlich eine neue Richtung ermöglichen. Videos zu „Hell Yeah We Fuck Die�…
dokumentieren Labortests, in denen Robotern mittels heftiger Irritationen
ihrer Orientierung durch Schubser und Tritte darauf trainiert werden,
Menschen in Katastrophengebieten zu retten. Sie sind im Parcours der
Installation mitten in der zerstörten kurdischen Stadt Diyarbakır zu sehen.
Den Titel liefern als subkutane Krisensymptome die fünf häufigsten Vokabeln
aus Popsongs der 2010er Jahre.
„Mechanical Kurds“, Steyerls jüngste Videoarbeit, lädt die
Betrachter:innen ein, es sich richtig bequem zu machen. Man kann auf
zwei Golfcarts Platz nehmen. Die leicht erhöhte Sitzposition vermittelt
eine Art Chefperspektive aufs Geschehen, den Mar-a-Lago-Blick, wenn man so
will.
Die Eröffnungssequenz zeigt im Drohnenüberflug den gleichförmigen,
schachbrettartigen Grundriss eines Flüchtlingslagers in den Gebieten der
kurdischen Regionalverwaltung im Nordirak. Am Boden verfolgt die Kamera
Leichtfahrzeuge durch enge Gassen zwischen den Baracken, folgt einer
Fußgängerin, die aus dem Off über ihr Leben im Lager und der Zeit davor
berichtet. Das Unspektakuläre der Bilder wird zum Verfremdungseffekt. Sie
vermeiden alles, was mit dem Wortfeld „Flüchtlingslager“ in den sozialen
Medien Erregungspotenziale entfacht und das interpersonale Vermögen zur
Empathie aufzehrt.
Die Menschen, die Hito Steyerl in den vergangenen Jahren dort besucht hat,
zeigt und zu Wort kommen lässt, sind gefangen in der Stasis des
fortdauernden Bürgerkriegs. Vielfach herausgerissen aus Studium und Beruf,
ökonomisch geschwächt durch den Mangel an Mobilität und einen ungesicherten
Aufenthaltsstatus, bilden diese oft hochqualifizierten Menschen den
Nachschub [3][für ein neues digitales Proletariat.] Das hält hinter dem
virtuellen Schein das Werk am Laufen.
## Der „Schachtürke“ am Hof von Wien
Das klärt dann auch die Verweiskette des Titels „Mechanical Kurds“, der
nicht nur auf den [4][legendären „Schachtürken“ anspielt], mit dem der
Wiener Hofbeamte Wolfgang von Kempelen ab 1769 zuerst das Kaiserhaus, bald
darauf die Öffentlichkeit in den europäischen Hauptstädten narrte. In der
lebensgroßen Apparatur schien die Nachbildung eines menschlichen
Oberkörpers in osmanischer Tracht mit beweglichem Arm die Figuren auf dem
Brett zur ziehen, die von einem Schachspieler im Inneren bewegt wurden.
Amazon vermittelt über Mechanical Turk Gigs für It-Arbeiter:innen.
Zuletzt bleibt noch Walter Benjamins Bild aus „Über den Begriff der
Geschichte“. Hier steckt im Schachtürken, der zum historischen
Materialismus wird, ein kleiner hässlicher Zwerg, der ihn mit messianischem
Denken antreibt.
Die Microworker:innen im Lager waren damit beschäftigt, ein KI-System,
das sie gar nicht kannten, mit Bildbeschriftungen zu füttern. In den
Aufnahmen poppen regelmäßig bunte Rahmen auf, die die Kanten eines Kubus
perspektivisch nachzeichnen, ihre Farben unterscheiden säuberlich Gebäude,
Fahrzeuge und Menschen. Mittlerweile sind sie wieder arbeitslos, die KI
erkennt die Bildelemente jetzt allein.
## Experimentierfeld der militärischen Umwidmung
Ob sie Datenmaterial für autonomes Fahren lieferten, für eine Überwachung,
die auch sie treffen könnte, oder eine automatisierte Zielbestimmung in der
Ego-Shooter-Perspektive, können sie nicht wissen. Die Region war schon
lange vor dem Ukrainekrieg Experimentierfeld für die militärischen
Umwidmung von Consumer-Drohnen.
Bunte Rahmen ragen in der Installation auch über den Screen hinaus in den
Zwischenraum zu den Betrachtenden. Sie öffnen die Projektionsfläche zum
dreidimensionalen Setting, bindet die Betrachtenden mit ein und lässt sie
das Unbehagen an der Gamifizierung der Wahrnehmung auch körperlich spüren.
Schließlich kippt das Ganze, es tauchen Silhouetten von Städten auf, die
seltsam ortlos wirken. Ihre Fassaden summieren Alleinstellungsmerkmale
unterschiedlicher touristischer Destinationen zu einem grotesken wie
langweilen Mittelwert. Sie haben keinen Referenzpunkt in der Realität mehr.
[5][KI-gestützte Bildproduktion ersetzt Kausalität durch
Wahrscheinlichkeit.] Sie sind im Grunde keine Bilder, sondern grafische
Darstellungen von Prognosen, die aus der Entropie ungeheurer Datenmengen
gewonnen sind.
Plötzlich sind die Fahrzeuge vom Beginn in gleißenden Leuchtfarben
illuminiert. Microworker schwenken Fackeln: „Gefangen im Traum der
künstlichen Intelligenz beginnen wir zu tanzen.“ Schwerelose Ekstase
wirbelt sie durch die Luft. Die Szene beunruhigt trotzdem, könnten nicht
auch Bilder durch Explosion zerrissener Körper in den Datensatz geraten
sein. Schönheit, die Gefahr birgt, sie könnte eine letzte Waffe gegen die
„halluzinierte Mittelmäßigkeit“ statistischer Bilderzeugung sein.
26 Aug 2025
## LINKS
[1] /Negativismus-in-der-Gesellschaft/!6053214
[2] /Filmemacher-Steyerl-und-Radynski/!6016739
[3] /Ausbeutung-im-Tech-Sektor/!6102646
[4] /Ausstellung-in-Dresden/!5871788
[5] /Echte-rechte-Bildaesthetiken/!6095310
## AUTOREN
Uwe Mattheiß
## TAGS
Ausstellung
Videoinstallation
Wien
Schwerpunkt Künstliche Intelligenz
Flüchtlingslager
Katastrophe
Ausstellung
Bücher
Bildende Kunst
## ARTIKEL ZUM THEMA
Ausstellung „Magical Realism“ in Brüssel: Der Magie das Unaussprechliche
Im Brüsseler WIELS, Zentrum für Zeitgenössische Künste, untersucht eine
Ausstellung die Beziehung von Realismus und Magie. Auch KI spielt eine
Rolle.
KI-generierte Einbände: Buchcover aus der Retorte
Große und kleine Verlage lassen immer häufiger ihre Buchcover mithilfe von
Künstlicher Intelligenz entwerfen. Für welches Problem ist das die Lösung?
Filmemacher Steyerl und Radynski: „Eher ein fraktaler Kolonialismus“
Hito Steyerl und Oleksiy Radynski über Verstrickungen russisch-deutscher
Gasgeschäfte und ihr Kunstprojekt „LEAK. Das Ende der Pipeline“ in Leipzig.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.