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# taz.de -- US-Avantgarde-Künstler Carl Cheng: Vielleicht ist der Mensch für …
> Landschaftsbilder, Nature Machines und Festplatten-Collagen: Das
> Bonnefanten-Museum Maastricht zeigt eine Retrospektive des US-Künstlers
> Carl Cheng.
Bild: Carl Cheng: „Erosion Machine No. 4“, (1969-2020); Courtesy the artist…
Es sind Bilder, die gut hierher ins südniederländische Maastricht passen.
Luftaufnahmen einer Landschaft, dicht besiedelt hier, stark agrarisiert
dort – die schmalen Feldflächen abgesteckt in Grün, Beige und Braun. Keine
Fotografien sind es, wie sich aus der Nähe herausstellt, sondern Collagen
aus technischen Gegenständen. Die sinnliche Anziehungskraft von Festplatten
ist ein doppelter Schrecken, aber auch lustig.
Das [1][Bonnefanten-Museum in Maastricht] zeigt „Nature Never Loses“, die
erste große Retrospektive von Carl Cheng, 1942 als Fu Kong Cheng in San
Francisco geboren. Für einen unterkomplexen Naturbegriff, wie er seit
einigen Jahren durch die Ausstellungsräume geistert, wäre Cheng aber
vermutlich nicht zu haben.
Seine Kunst kreist um eine viel schlichtere, dabei aber paradoxe Tatsache:
Der Mensch ist notwendig Teil dieser Natur. Dabei scheint es sie im Zweifel
gar nicht zu stören, ob es den Menschen gibt oder nicht. In diesem Sinne
ließe sich Natur vielleicht als letztgültiges objektives Realitätsprinzip
begreifen. Weshalb der Künstler, Schriftsteller und Erfinder Carl Cheng
dafür plädiert, sie eben nicht als Gegner zu betrachten.
## Das Bonsai-Labor
Auch [2][die Landschaften gehen vorüber], weiß Cheng, den das
Prozesshafte, Vergehende immer interessierte. Aber gerade deshalb sind sie
ja auch aktiv veränderbar. Aberwitzige Formen lässt er den Pflanzen in
seinem „Bonsai Laboratory“ angedeihen, die hier fotografisch dokumentiert
sind. Die Bewusstwerdung der menschlichen Gestaltung, so spielerisch wie
konkret vorgeführt. Wenn die Natur niemals verliert, wie sieht es dann mit
den menschengemachten Landschaften und Artefakten aus?
Carl Chengs Werk ist nicht nur das eines frühen Environmental Artist – vom
Begriff „Pionier“ will der Künstler nichts wissen, er sieht sich als
Beobachter –, sondern genauso eines, das vom Kunstmarkt und vom
Künstlerwitz, vom Konzeptionieren wie vom praktischen Umsetzen handelt.
Früh gründete Cheng die „John Doe Company“, ein real existierendes
Unternehmen und zugleich eine Art Alter-Ego-Ersatz für seine Projekte.
Hier schwingt dann auch noch eine spezifische Lebenserfahrung als
Asian-American mit, der in den dualistischen USA scheinbar gar nicht
vorkommen konnte – ergo wählte der Künstler mit John Doe das dort gängige
US-Pseudonym für einen anonymen Mann, den niemand identifizieren kann.
## Ausbildung im Folkwang-Kerker
Ein Glück auch, dass Cheng es dann Mitte der 1960er doch eine Weile in
Essen ausgehalten hat. Wie ein mittelalterlicher Kerker war ihm die
Folkwang-Hochschule im Austauschstudium zunächst vorgekommen. [3][In der
Bildhauerei-Klasse] hämmerte man noch mit Meißeln auf Steinen herum –
unvorstellbar kam das dem jungen Studenten vor. Seine Materialien waren
direkt aus dem Leben gegriffen, konnten Plastik sein oder die Rinde eines
Baumes, später Kabel, Displays, überhaupt alles Technische.
In diesem Sinne begriff er auch die [4][Fotografie als Werkzeug,] und die
lernte er dann wiederum in Essen kennen. Einige wunderbar eigenständige
Arbeiten, vermutlich in der Dunkelkammer collagiert, haben hier ihren
Anfang genommen. Einer suburbanen Wohnsiedlung knallt Carl Cheng einen
riesigen, schwarzen Monolithen in die Mitte.
Später zieht es ihn erstmals nach Asien, wo er die Chinesische Mauer und
einen Urwald mit selbstgebautem Rahmen einfängt, den bildbegrenzenden (und
damit im Wortsinne: landschaftsbildenden) Ausschnitt der Fotografie
doppelnd.
## Fräsen, Rattern und Surren
Für all dies lohnt der Weg in die Ausstellung. Vollends zusammen kommt sein
Werk aber in den fantastischen elektronischen Skulpturen und Nature
Machines, eigenartigen Apparaten, Schaukästen, Aquarien, Dioramen, in denen
Natur- und Kunstvorstellung auf Chengs ausgeprägtes Interesse als
Archäologe einer Gegenwart treffen. Ein Fräsen, Rattern und Surren im White
Cube. Etliches funktioniert bis heute, kann über ein Fußpedal bedient
werden oder arbeitet scheinbar autonom vor sich hin.
In großen, elektrisch betriebenen Tanks lagern bemalte Steine, die auf
unbestimmte Zeit dem Zahn der Zeit ausgesetzt werden. In anderen finden
sich Klimawarnsysteme, Wettersimulationen, utopische und dystopische
Erzählungen. Vieles würde man auch jetzt lieber im öffentlichen Raum sehen,
wie das Natural Museum of Modern Art, 1978 am Strand im kalifornischen
Santa Monica installiert. Für eine Münze konnte jeder, der vorbeiging,
einen Lieblingsschaukasten zum Leuchten bringen.
Im letzten Ausstellungsraum dann eine sagenhafte Mondlandschaft, in den
Sand gezeichnet. Nicht von dieser Welt schaut sie aus. Wie zum Beleg steht
die ausgeklügelte Maschine als vermeintliche Schöpferin in der Ecke. Aber
klar, auch diese Arbeit ist menschengemacht – vom Künstler, der sich neben
dem Bild auch die Technik zur Bildschaffung ausgedacht hat.
3 Sep 2025
## LINKS
[1] /Erinnerungsarbeit-mit-Fotografie/!5921025
[2] /Caspar-David-Friedrich-und-der-Wald/!6054933
[3] /Retrospektive-von-Ewald-Matare/!6042821
[4] /Wolfgang-Tillmans-in-Remscheid/!6104552
## AUTOREN
Katharina J. Cichosch
## TAGS
Ausstellung
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Natur
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Schwerpunkt Stadtland
Reiseland Japan
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