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# taz.de -- Stille Industriearchitektur erleben: Schhhhhht
> Das Kraftwerk Berlin verspricht eine Pause von der Stadt. Im Quiet Space
> sollen Menschen eine Stunde lang still sein. Wie fühlt sich das an?
Bild: Eine Industriekathedrale für Ostberlin. Das ehemalige Heizkraftwerk auf …
Ich fürchte mich vor Langeweile. Nach dem Aufstehen läuft direkt ein
Podcast, abends telefoniere ich mit Freund:innen und zwischendurch schaue
ich Tiktok. Typisch GenZ. Keine Ahnung, wann ich das letzte Mal eine Stunde
lang nichts gemacht habe. Also gar nichts, einfach nur dasitzen. Heute will
ich genau das probieren: eine Stunde Langeweile. Eine Art
selbstverschriebene Konfrontationstherapie.
Die Ausstellung „The Quiet Space“ im [1][Kraftwerk Berlin] bietet die
Gelegenheit. Auf dem Schild am Eingang steht „SHHHH“, ein Flyer verspricht
mir einen Rückzugsort, eine Pause von der Stadt. „Während Berlin sich
beschleunigt, werden Räume der stillen Kontemplation immer wichtiger“,
steht dort. Die Idee ist simpel. Eigentlich ist es einfach ein
leerstehendes Gebäude. Aber eigentlich ist es auch viel mehr als das, denn
jemand hat den Raum mit einer Idee gefüllt. Die Menschen kommen her, um
still zu sein. Sie sitzen, hören zu, atmen und beobachten.
Die Kulisse erinnert an einen dystopischen Film, es sieht aus wie
„Divergent“ oder die „Tribute von Panem“ – aber die wurden dort schli…
auch teilweise gedreht. Das 1997 stillgelegte Kraftwerk hat mehrere Ebenen,
von unten kann ich bis hoch zum Dach sehen. Die Luft ist kühl, es riecht
nach Putz, der Hall klingt nach Kirche. Nur sind die Fenster hier
einfarbig, und so richtig mausestill ist es gar nicht. Auf der Stahltreppe,
die nach oben führt, hallen ständig Schritte, ein Baby ruft „dada“, in der
Ferne schnäuzt jemand die Nase.
## Minuten zählen
Noch 45 Minuten. Ich setze mich auf einen Stuhl, den Raum im Blick. Während
ich die Menschen beobachte, fällt mir ein, dass ich das früher gern gemacht
habe. Anderen zuschauen und überlegen, was sie beschäftigt, welchen Job sie
haben. Ein Typ in meinem Alter hat AirPods drin, er ist anscheinend nicht
für die Stille hier – oder sind sie auf Noise Canceling gestellt? Ich fühle
mich ein bisschen überlegen, bin stolz auf mich, dass ich es [2][ohne
Berieselung] schaffe.
Noch 35 Minuten. Ich drücke meinen Rücken gerade, denke an eine Mail, die
ich später noch verschicken muss. Genau genommen mache ich nicht nichts,
immerhin liegt ein Block auf meinem Schoß. Aber genau genommen macht
niemand hier wirklich nichts: Viele machen Fotos, manche flüstern, zwei
Männer spielen Schach. Die meisten sind nicht allein gekommen.
Ein Pärchen flirtet in Pantomime, ein Mann tanzt Qigong. Noch in Mann mit
AirPods. Er macht ein Foto, vielleicht stellt er es später auf Social
Media. Es ist ein Ort, an dem Menschen ihre Hände hinter dem Rücken
verschränken. Ein universelles Zeichen für: „Ich habe Zeit“. Ein bisschen
wie im Wartezimmer.
## Gleich vorbei
Noch 15 Minuten. Ich wechsle den Ort, lege mich zu den Menschen auf den
Podesten im oberen Geschoss. Irgendwas scheint es ihnen zu geben, mir aber
gibt diese Position nur Kopfweh und Rückenschmerzen. Platzwechsel. In den
letzten vier Minuten kommt die Langeweile. Als sie rum sind, bleibe ich
trotzdem noch eine Weile sitzen. Ich wünschte, meine Mutter würde mir mal
wieder das Handy abnehmen. Vielleicht frage ich sie mal. Verpasst habe ich
in dieser Stunde sicher nichts.
Als ich aus der Tür trete, sticht mir die Sonne in die Augen, eine
Bohrmaschine durchschneidet mein Trommelfell. Reflexartig hole ich mein
Handy aus der Hosentasche und stöpsle mir einen Podcast ins Ohr.
[3][The Quiet Space]: Kraftwerk Berlin, bis 17. August
14 Aug 2025
## LINKS
[1] /Lebensbilanz-von-Dimitri-Hegemann/!6029508
[2] /Bei-einer-Silent-Reading-Party-in-Bremen/!6100438
[3] https://tresor.foundation/projekte/the-quiet-space-kraftwerk-berlin/
## AUTOREN
Lea Knies
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Berlin
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