| # taz.de -- Filmfestspiele Venedig: Auch Stars sind am Ende Aliens | |
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| > Venedig. | |
| Bild: Emma Stone als Unternehmerin in der Science-Fiction-Komödie „Bugonia“ | |
| Mit George Clooney kann man nicht viel falsch machen. Einen Film mit ihm zu | |
| machen über einen populären Star, der den Höhepunkt seiner Karriere | |
| überschreitet, klingt ganz reizend. „Jay Kelly“ von Regisseur Noah | |
| Baumbach, bei den Filmfestspielen von Venedig im Wettbewerb vertreten, | |
| erzählt so eine Geschichte. Als Komödie, überwiegend zumindest. | |
| [1][Clooney] gibt den Titel-„Helden“ als smart lächelnden, undurchsichtigen | |
| Gewinnertyp, der sich umfassend auf seine Entourage verlässt. Sein Manager | |
| Ron (Adam Sandler) kümmert sich als väterlicher Freund mit großer | |
| Anteilnahme um Jay, muss aber zugleich mit dem eigenen Privatleben kämpfen. | |
| Jay hingegen hat mehrere geschiedene Ehen hinter sich und seine Töchter | |
| stets vernachlässigt. | |
| Eine zufällige Begegnung mit einem ehemaligen Schauspielkollegen aus | |
| Studientagen, Tim (Billy Crudup), die für beide unerfreulich verläuft, löst | |
| in Jay eine Krise aus. Fortan will sich der Star seinen Töchtern widmen, | |
| eine Ehrung annehmen, was er bisher abgelehnt hatte, alles in der Hoffnung, | |
| einen Teil seines Lebens nachzuholen, den er für die Karriere ignoriert | |
| hat. | |
| ## Situationskomik aller Art | |
| Baumbach inszeniert dies als Nummernrevue mit dekorativer Kulisse. Von Los | |
| Angeles geht es nach Paris und von dort in die Toskana, wo Jay seine Ehrung | |
| erwartet. Weil er seiner Tochter hinterherreist, fährt er gegen seine | |
| Gewohnheit mit dem Zug, was zu Situationskomik aller Art führt. Baumbach | |
| lässt Jay dabei regelmäßig die Kulissen wechseln, um so diverse Rückblenden | |
| einzubauen. Von einem Zugabteil tritt er etwa auf eine Probebühne, die für | |
| seine Karriere entscheidend war. | |
| Das ist mitunter witzig, doch je weiter die Handlung sich entwickelt, desto | |
| schleppender gerät der Film. Nebenrollen wie die von Lars Eidinger, der im | |
| Zug seinen Auftritt hat, verschenkt Baumbach ohne Not. Und je mehr sich Jay | |
| mit sich selbst versöhnt, desto soßiger wird die Sache. Die Filmmusik von | |
| Nicholas Britell hilft da nicht. | |
| Dann lieber kompakt und schmutzig wie [2][bei Yorgos Lanthimos], dessen | |
| Science-Fiction-Komödie „Bugonia“ ebenfalls im Wettbewerb läuft. In einem | |
| kammerspielartigen Setting bringt der Grieche Emma Stone als Unternehmerin | |
| Michelle, Jesse Plemons als Verschwörungstheoretiker Teddy und Aidan Delbis | |
| als dessen Cousin Don in einem aussichtslos scheinenden Plot zusammen. | |
| ## Ideologisch gefestigter Schwurbler | |
| Ted ist überzeugt, dass Michelle ein Alien ist, und entführt sie zusammen | |
| mit Don. Michelle versucht mit allen Mitteln, ihre Entführer davon zu | |
| überzeugen, dass sie einem Irrsinn aufsitzen, bloß lässt sich ein | |
| ideologisch gefestigter Anhänger alternativer Fakten wie Teddy so leicht | |
| nicht aus dem Konzept bringen. | |
| Die Lage eskaliert in der für Lanthimos charakteristischen Bosheit und | |
| physischen Direktheit. Als Abrechnung mit dem fortschreitenden | |
| Realitätsverlust besonders in den USA, mit zynischer Wendung zum Schluss, | |
| durchaus gelungen. | |
| Große Enge herrscht auch in „Orphan“, dem Wettbewerbsbeitrag des | |
| ungarischen Regisseurs László Nemes. Seine Geschichte, die im Budapest nach | |
| dem Volksaufstand von 1956 spielt, folgt dem jungen Andor Hirsch (Barabás | |
| Bojtorján) durch die Ruinen der Stadt, wo er ohne Halt durch die Straßen | |
| treibt. Er wartet auf die Rückkehr seines Vaters, der im Zweiten Weltkrieg | |
| deportiert wurde. | |
| Als ein anderer Mann im Leben seiner Mutter auftaucht, erlebt Andor diesen | |
| als Bedrohung. „Orphan“ bietet keine Figuren, mit denen man sich leicht | |
| identifizieren kann. Andor scheint seinen Vater mehr zu ehren als die | |
| Mutter, und auch die übrigen Figuren sind mindestens ambivalent. Das alles | |
| in farbentsättigten Bildern mit sorgsam verfallener Kulisse, was dem Film | |
| oft eine kalte Künstlichkeit verleiht. | |
| 28 Aug 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Tim Caspar Boehme | |
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