# taz.de -- Museum der Leuchtbuchstaben in Berlin: Buchstäblich Geschichte | |
> Zwanzig Jahre rettete ein Museum in Berlin Leucht-Buchstaben vor der | |
> Verschrottung. Jetzt steht es kurz vor dem Ende – und die Zukunft ist | |
> ungewiss. | |
Bild: Blau, blau, blau waren mal alle diese Schilder… | |
Versteckt unterhalb der Gleise, in den kühlen, geräumigen Stadtbahnbögen am | |
Bahnhof Bellevue türmen sich Buchstaben zu Bergen. Was an Lagerhalle | |
erinnert, ist [1][eigentlich ein weltweit einzigartiges Museum]: Hier | |
werden Lettern und Schriftzüge aufbewahrt, die einst über Kaufhäusern, | |
Kinos und Hotels prangten und dabei mehr über eine Stadt erzählen, als man | |
auf den ersten Blick denkt. | |
Alles begann 2005, als die Gründerinnen Anja Schulze und Barbara Dechant | |
spontan mit nur einem Schraubenzieher und einer geborgten Leiter den | |
Schriftzug „Blaupunkt“ von der Fassade des Berliner Europahauses | |
abmontierten. Kurz vorher musste das Autoradiogeschäft schließen und die | |
blaue Leuchtreklame wäre wohl ohne die improvisierte Rettungsaktion auf dem | |
Schrottplatz gelandet. Zwanzig Jahre, drei Standorte und viele | |
ehrenamtliche Abbauaktionen später umfasst die Sammlung über 3000 Objekte. | |
In den Museumsräumen, über denen hörbar die Stadtbahnen brettern, können | |
die Buchstaben unabhängig von ihrem eigentlichen Sinn wieder ganz sie | |
selbst sein: „Wir wollen, dass die Leute die schönen Formen und Techniken | |
sehen, nicht die Worte lesen“, erklärt Dechant. So lehnen zwischen den | |
Schriftzügen immer wieder liebevoll arrangierte, einzelne Lettern – und | |
lassen in Erinnerungen kramen, auf der Suche nach dem Ort oder Logo, zu dem | |
sie mal gehörten. So stammt zum Beispiel das zwei Meter hohe, | |
dreidimensionale „H“ vom ehemaligen Berliner Hauptbahnhof, der 1998 in | |
Ostbahnhof umbenannt wurde. Dabei hat man gespart und lediglich die ersten | |
vier Buchstaben durch „OS“ ersetzt. „HAUP“ fand seinen Weg schließlich… | |
Museum. | |
„Anfangs hätte ich nicht gedacht, dass es so emotional sein könnte“, | |
erzählt Dechant und erinnert sich dabei an einen Besucher, der einmal lange | |
verträumt vor einem geschwungenen Schriftzug stehen blieb. Er fühlte sich | |
zurück in seine Kindheit versetzt, vor die Türen seines langjährigen | |
Lieblingsfriseurs. „Die Buchstaben wecken Erinnerungen, die man sonst | |
vielleicht vergessen hätte“, ergänzt die Designerin, die ihre | |
Buchstabenliebe schon als Kind am Zugfenster entwickelte: Jeden Sommer | |
reiste sie mit ihrer Familie von Wien nach Venedig und ließ sich von bunten | |
Leuchtreklamen in der hügeligen Landschaft Norditaliens verzaubern. | |
Aber auch die Lettern selbst erzählen aus ihrem früheren Leben. Manche | |
tragen noch Ku’damm-Dreck in den Ritzen, andere stehen für untergegangene | |
Marken und tragische Familiengeschichten: Hertie, [2][Schlecker], [3][beate | |
uhse] – in den 1980ern waren ihre leuchtenden Logos Fixpunkte in | |
Innenstädten und prägten den Alltag vieler Menschen. | |
## Geschichten aus den 1920er Jahren | |
Heute sind viele der einst mächtigen Kaufhausketten aus dem Stadtbild | |
verschwunden. Das Buchstabenmuseum hat ihre letzten Überbleibsel gerettet: | |
In der aktuellen Sonderausstellung „Final Sale – vom Kaufhaus ins Museum“ | |
leuchtet etwa das [4][satt-grüne „Kaufhof“-Logo] nochmal auf – ein Relikt | |
aus Galeria-Kaufhof-Zeiten, bevor die Warenhauskette 2019 mit Karstadt | |
fusionierte. | |
Andere Buchstaben in der Dauerausstellung tragen ihre Geschichten noch viel | |
länger mit sich. Der Schriftzug „[5][Titania Palast]“ stammt aus den | |
1920er-Jahren und illuminierte das gleichnamige Steglitzer Kino mit seinen | |
dünnen Neonröhren viele Jahre ungewöhnlich dunkelblau. | |
Heute verwenden immer weniger Unternehmen die Neon-Technik für ihre Logos – | |
nicht nur, weil sich die Röhren weniger gut in Print- und Onlineformate | |
umsetzen lassen, sondern auch, weil LED-Schläuche günstiger industriell | |
herzustellen sind. Hinter den individuellen, heute fast retroartigen | |
Neonreklamen steckt nämlich ein aufwendiges Handwerk, an dem sich | |
Besucher*innen im letzten Bogen des Museums selbst ausprobieren können. | |
In einer originalen Glasbläserwerkstatt werden regelmäßig Workshops | |
angeboten. | |
Leider endet die Geschichte der Buchstaben hier – zumindest vorerst. Seit | |
der Coronapandemie sind die Besucherzahlen des privat finanzierten, | |
ehrenamtlich betriebenen Museums fast um die Hälfte eingebrochen. Vier | |
Förderanträge wurden allein in diesem Jahr gestellt, keiner genehmigt. Am | |
5. Oktober muss das Museum deshalb schließen. Der Verein mit rund 150 | |
Mitgliedern soll weiter bestehen. | |
Und wohin mit dem Buchstabenberg? Dechant möchte die Sammlung ungern | |
zerschlagen und hofft, dass eine Institution sie im Ganzen übernimmt. Bis | |
dahin soll sie zwischengelagert werden und „schneewittchenmäßig“ ruhen. | |
Buchstaben seien schließlich so eigen wie wir Menschen: alt, jung, schmal, | |
groß, manchmal mit Falten im Lack. „Ich bin sicher, wenn man in zehn oder | |
zwanzig Jahren die Lagertüren öffnet, wird man dort wahre Schätze finden“. | |
26 Aug 2025 | |
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## AUTOREN | |
Emilia Papadakis | |
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