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# taz.de -- Gericht weist Klage von Chefarzt ab: Verbot von Schwangerschaftsabb…
> Ein christlicher Klinik-Träger darf seinem Chefarzt verbieten, Abbrüche
> durchzuführen – selbst in dessen Privatpraxis. Der Mediziner kämpft aber
> weiter.
Bild: Gibt sich weiter kämpferisch: Gynäkologe und Chefarzt Joachim Volz nach…
Lippstadt taz | Es ist nur ein Satz, mit dem der Vorsitzende Richter Klaus
Griese am Arbeitsgericht Hamm seine Entscheidung verkündet. Die Klage sei
abgewiesen, das Klinikum Lippstadt als Arbeitgeber sei „Kraft
Direktionsrecht zu beiden Maßnahmen berechtigt“.
Beide Maßnahmen bedeutet: Chefarzt Joachim Volz darf weder am Klinikum
Lippstadt noch in seiner Privatpraxis in Bielefeld
[1][Schwangerschaftsabbrüche nach medizinischer Indikation durchführen].
Die Urteilsbegründung steht noch aus. Volz kündigt im Anschluss an die
Verhandlung an, in die nächste Instanz zu gehen: „Ich denke, das ist noch
nicht der letzte Satz in dieser Sache.“
Das Klinikum war einst evangelisch, fusionierte dann aber mit einem
zweiten, katholischen Krankenhaus. Seitdem sind Volz die
Schwangerschaftsabbrüche per Dienstanweisung untersagt. Und das, obwohl er
ohnehin nur Abbrüche in Fällen mit medizinischer Indikation vorgenommen
hatte. Fälle also, die „aus ärztlicher Sicht angezeigt“ sind, „um eine
Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung
des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren
abzuwenden“.
Ein Verbot, das Volz nicht akzeptieren will. Am Morgen vor dem Prozess
steht er auf einem Parkplatz in Lippstadt und blickt über eine Menge von
rund 2.000 Menschen, die gekommen sind, um ihn zu unterstützen. Eine
Petition, die Volz gestartet hat, haben über 230.000 Menschen
unterschrieben. „Das gibt mir viel Kraft“, ruft Volz.
Der Prozess hat längst auch die Politik erreicht – und zwar weit über die
kommunale Ebene hinaus. Die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion
Nordrhein-Westfalens spricht auf der Kundgebung vor dem Prozess. Von den
Grünen ist nicht nur die Landesvorsitzende Yazgülü Zeybek vor Ort, sondern
auch die Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Britta Haßelmann, sowie die
frauenpolitische Sprecherin Ulle Schauws.
## Polarisierte Debatte
Das Thema Schwangerschaftsabbruch hat die politische Debatte in den
vergangenen Monaten polarisiert. Erst am Vortag des Prozesses hat die
Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht, Frauke Brosius-Gersdorf, ihren
Rückzug angekündigt – nachdem konservative bis weit rechte Kreise sie wegen
ihrer Haltung zum Schwangerschaftsabbruch wochenlang einer
Diffamierungskampagne ausgesetzt hatten. Ein interfraktioneller Antrag zur
Legalisierung von Abbrüchen scheiterte kurz vor Ende der letzten
Legislatur. Repräsentativen Umfragen zufolge [2][finden hingegen 80 Prozent
der Menschen in Deutschland es falsch], dass Abbrüche bis heute eine
Straftat sind.
In Lippstadt zieht die Demonstration am Vormittag zum Amtsgericht, in dem
das Arbeitsgericht Hamm verhandelt. Als die Menge das Klinikum passiert,
winken von dort Mitarbeitende und formen die Hände zu einem Herz.
Auch Kristin ist zur Unterstützung gekommen. Sie ist Patientin von Volz,
ihren Nachnamen will sie nicht nennen. Sie ist in der 30. Woche schwanger.
„Doch bei unserer Tochter wurde Trisomie 13 diagnostiziert, verschiedene
Schäden an Hirn und Organen – sie wird nicht lebensfähig sein“, sagt
Kristin. Von Anfang an habe sie Volz unterstützt. „Da hatte ich nicht ahnen
können, dass wir von diesem Albtraum selbst betroffen sein werden.“
Die Entscheidung der Klinik mache sie wütend, sagt die 32-Jährige. Ob sie
die Schwangerschaft abbrechen oder austragen möchte, da ist sie noch
unsicher. „Ich möchte aber selbst entscheiden können, ob und wie lange ich
das mittragen kann.“ Und im Falle eines Abbruchs wolle sie dort bleiben, wo
sie auch jetzt schon gut betreut werde. Ginge es in Lippstadt nicht, sei
die nächste Alternative Münster, anderthalb Stunden Fahrt. „Ich habe einen
kleinen Sohn, ich stille noch. Es ist ohnehin alles sehr belastend – warum
muss man es uns noch schwerer machen?“
## Chefarzt mit Umweg
Seine Patientinnen wegzuschicken, kommt für Volz nicht in Frage. „Es kann
nicht sein, dass wir Frauen in Stich lassen in einer Not, die wir selbst
diagnostiziert haben und ihnen durch unsere Verweigerung suggerieren, sie
tun etwas Böses“, sagt er. Und er hat einen Umweg gefunden: Inzwischen
stelle er die Indikation und schicke die Patientinnen dann zu einem
niedergelassenen Kollegen, der den Abbruch einleite. Dann nehme er die
Frauen mit der begonnenen Fehlgeburt stationär auf.
Im Gerichtssaal ist es am Ende vor allem eine Auseinandersetzung darum, wie
gefährdet die Gesundheit einer Schwangeren sein muss, um einen Abbruch zu
rechtfertigen.
In den Dienstanweisungen seien ja ausdrücklich Ausnahmen vom Verbot
enthalten, argumentiert der Anwalt des Klinikums, Johann Philipp Duvigneau.
Nämlich dann, wenn „Leib und Leben von Mutter oder Kind akut bedroht“ seien
und es keine medizinische Alternative zum Abbruch gebe. Joachim Volz könne
also durchaus Abbrüche am Klinikum wie auch in seiner Privatpraxis
durchführen.
Das ist dem Chefarzt aber zu eng gefasst. „In Polen hatten wir den Fall,
dass eine Frau gestorben ist, weil man mit dem Abbruch gewartet hat, bis
sie in Lebensgefahr war“, erwidert Volz.
## Klinikum mit harter Linie
Die Ausnahmen der Klinik seien enger als jene, die im Gesetz zur
medizinischen Indikation festgehalten seien und nach denen Volz die
vergangenen 13 Jahre am Klinikum gearbeitet habe, argumentieren der
Chefarzt und sein Anwalt Till Müller-Heidelberg. In der Realität gehe es
meist um psychische Notsituationen bei schweren Diagnosen. Bei der ersten
Güteverhandlung habe er dem Richter und der Klinikseite davon berichtet, so
Volz: Kinder ohne Schädeldecke oder andere Fehlbildungen, die dazu führen,
dass sie nicht lebensfähig sind. „Da hat der Geschäftsführer mir ganz klar
vermittelt, dass es da keinerlei Spielräume gibt für Abbrüche gibt.“
Argumente, die Klinikanwalt Duvigneau nicht gelten lassen will. Paragraf
218a StGB beschreibe ja nur den Rahmen, über den man nicht hinausgehen
dürfe. „Aber es verbietet doch niemand einem Klinikum, selbst engere
Grenzen zu setzen“, bezieht der Anwalt sich auf die unternehmerische
Freiheit.
Der Anwalt des Arztes verweist wiederum auf eine höchstrichterliche
Entscheidung von 2018, wonach ein Chefarzt ohnehin nicht an das kirchliche
Selbstverständnis gebunden sei – weder erfordere seine konkrete Tätigkeit
das, noch vertrete er den kirchlichen Träger nach außen. Das Gericht
überzeugen diese aber Argumente offenbar nicht.
## Kritik von den Grünen
„Es kann nicht sein, dass es ein überholtes katholisches Arbeitsrecht mit
Sonderbefugnissen in unserem Land gibt, statt einer flächendeckenden guten,
medizinischen Behandlung“, sagt die Grüne Ulle Schauws nach dem Prozess. Es
sei am Gesetzgeber, die Versorgung Schwangerer sicherzustellen. Ein
entscheidender Schritt dazu sei die Entkriminalisierung von Abbrüchen.
Ärzt*innen wie Joachim Volz bräuchten „Rechtssicherheit und die
Unterstützung von Gesellschaft und Politik.“
Das Klinikum lässt nach dem Prozess per Pressemitteilung ausrichten, man
sehe durch die Entscheidung das „durch die Verfassung geschützte kirchliche
Selbstbestimmungsrecht gestärkt“. Ein konfessionell gebundener
Krankenhausträger dürfe „gerade auch einem Chefarzt gegenüber zum Spektrum
seiner Behandlungsmöglichkeiten verbindliche Vorgaben machen und – ganz
konkret auch bei der Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen – bestimmte
Grenzen setzen“. Auch weiterhin biete man gesundheitliche Vollversorgung
und lasse „Frauen in belastenden Situationen nicht allein“.
Volz selbst will die Entscheidung nicht als Niederlage sehen: „Was wir auf
jeden Fall geschafft haben, ist zu sensibilisieren für ein Thema, das
sensibel ist“, so der Arzt. Die Urteilsbegründung werde man abwarten, dann
werde er zum Landesarbeitsgericht weiterziehen. „Wenn sich am Ende
herausstellt, dass unser Staat das genau so möchte, dann muss man
vielleicht den politischen Weg gehen, um daran etwas zu ändern. Dazu trage
ich gerne bei.“
8 Aug 2025
## LINKS
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## AUTOREN
Dinah Riese
## TAGS
Schwangerschaftsabbruch
Katholische Kirche
Klinik
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Paragraf 218
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