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# taz.de -- Ausstellung „Norddeutsche Realisten“: Ölige Landschaften
> Norddeutsche Künstler*innen, die sich als realistisch verstehen, werden
> in Ahrensburg ausgestellt. Das wirkt etwas aus der Zeit gefallen.
Bild: Mit Staffelei in die Landschaft gehen und malen, das ist ja einfach auch …
Aus dunstigen Farbnebeln ist eine Fontäne vor einer Häuserzeile zu erahnen:
ein ungewöhnlicher Hamburger Blick, da die Binnenalster vor dem Ballindamm
selbst im Abendlicht wohl nur sehr selten jemandem in dieser
romantisch-ruhigen Stimmung begegnet. Dieser impressionistische Moment mag
aus der Zeit gefallen sein, ist aber von André Krigar erst vor Kurzem
gemalt worden.
Das Bild ist aktuell in der Ahrensburger Galerie im Marstall zu sehen, in
der Ausstellung von zehn Künstlerinnen und Künstlern der Gruppe
„Norddeutsche Realisten“. Seit 1989 gibt es diese Künstlervereinigung.
Regelmäßig veranstaltet sie jährliche Symposien zur „Plein Air“-Malerei …
interpretiert an der Staffelei draußen vor Ort die norddeutsche Landschaft,
die Rapsfelder und das Meer oder mehr oder weniger romantische Gebäude
immer wieder neu.
Da es ja lange nicht mehr um eine Abbildung unbekannter Orte gehen kann,
ist das Abbild selbst und seine spezielle Machart umso interessanter. Wie
erzeugen Pinselstriche die Illusion einer Landschaft? Wie können
Farbpigmente das wechselnde Licht einfangen? Vor nicht ganz 200 Jahren sind
das revolutionäre Fragestellungen der Malerei, die manche bis heute
beschäftigen.
In der Natur nicht nur Skizzen zu machen und gültige Bilder dann im Atelier
zu komponieren, sondern direkt vor Ort zu malen, war eine künstlerische
Entscheidung, die hauptsächlich auf die als Neuerer stets zitierten Maler
der Schule von Barbizon bei Fontainebleau zurückgeführt wird.
Dazu wurde das Malen in der Natur seit Mitte des 19. Jahrhunderts ganz
materialistisch insbesondere möglich durch die Verwendung der damals
erfundenen gut transportierbaren Tubenfarben. Die malerisch frischen
Impressionen von Land und Stadt wurden dann gegen anfängliche Widerstände
äußerst beliebt. Sie sind es bis heute.
Schöne Ansichten Schleswig-Holsteins passen gut in die Ferienzeit und das
idyllische Ensemble von ehemaligem Marstall, Park und Renaissance-Schloss
in Ahrensburg. Sie finden sich aktuell in einer der jährlichen
Sommerausstellungen in dem Ahrensburger Kulturort. Finanziert wird er von
einer der zahlreichen Stiftungen der Sparkasse Holstein. Diese
Sommerausstellungen sind beispielsweise mit Picasso-Grafik oder
[1][Hundertwasser-Werken] immer ein wenig populärer und kommerzieller als
das übrige Programm, das hier im Marstall und in der Wassermühle in Trittau
sonst meist junge Kunst zeigt, ankauft und mit Stipendien fördert.
Über die Freude an der bloßen Darstellung von Postkartenmotiven zwischen
Sylter Strand und Hamburger Containerhafen hinaus empfiehlt sich, diese
angeblich realistische Malerei stets aus verschiedenen Abständen zu
betrachten.
Denn dann löst sich eine Krokuswiese bei Meike Lipp in reine Farbstriche
auf, oder es wird bei einem großen Salonbild wieder einmal klar, dass es
nahezu unmöglich ist, Meeresbrandung zu malen, ohne dass die erstarrten
Wellen wie mit Spitzenklöppelei garnierte Kreideblöcke aussehen.
Ein „Feldrand“ und seine vom Regen getränkten Ackerfurchen scheinen bei
Matias Meinel mit wenigen Weißhöhungen die Sonne zu spiegeln und zeigen in
zwei unterschiedlich großen Formaten, wie anders bei gleichem Motiv die
malerischen Mittel eingesetzt werden müssen.
Noch genauer kann der Entstehungsprozess der Bilder im weißen Schloss
gegenüber verfolgt werden: In erstmaliger Zusammenarbeit mit dem Marstall
werden dort kleinere Formate, Aquarelle, Zeichnungen und Skizzen der
„Norddeutschen Realisten“ gezeigt.
Mag der Impressionismus eine abgeschlossene kunsthistorische Epoche sein,
der Malstil wird – auch als bewusstes Statement gegen die Fotografie – bis
heute weiter gepflegt und findet sein eigenes Publikum, erntet Preise und
wird gesammelt.
Vor einem Bild einer herbstlichen Nachtszene sagt eine Besucherin zu ihrer
Freundin: „Sieht aus wie van Gogh.“ Ja, stimmt – aber ist das nun positiv
oder eher negativ? Nach [2][Expressionismus], Kubismus und
[3][Surrealismus] behauptet mittlerweile nicht einmal mehr die Fotografie
einen Bildraum, der angeblich die Realität zeigt. In seinem Beharren
darauf, sie abzubilden, ist das einst revolutionär Antiakademische sehr
konservativ geworden.
9 Aug 2025
## LINKS
[1] /Hundertwasser-Ausstellung-in-Osnabrueck-/!6080487
[2] /Expressionismus/!t5203839
[3] /Surrealismus/!t5038607
## AUTOREN
Hajo Schiff
## TAGS
Retro
Impressionismus
Norddeutschland
Zeitgenössische Malerei
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Ausstellung
Kolumne Großraumdisco
Evangelische Kirche
Kolonialismus
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