| # taz.de -- Hamburger Antisemitismusbeauftragte: Der alternativlose Kandidat | |
| > Um ihren Bewerber als Antisemitismusbeauftragten durchzudrücken, hat die | |
| > Hamburger Wissenschaftsbehörde eine Amtsleiterin kaltgestellt. Der | |
| > Konkurrent siegt vor Gericht. | |
| Bild: Frisch bestallt: Stefan Hensel nach seiner ersten Amtseinsetzung im Hambu… | |
| Hamburg taz | Im Streit über Hamburgs Antisemitismusbeauftragten scheint | |
| die zuständige Wissenschaftsbehörde auf Teufel komm raus am Amtsinhaber | |
| festhalten zu wollen. Das geht sogar so weit, dass deshalb wohl eine hohe | |
| Verwaltungsbeamtin kaltgestellt wurde, die sich jetzt gerichtlich wehrt. | |
| Ein nicht berücksichtigter Bewerber für das Amt wehrt sich ebenfalls vor | |
| Gericht – mit Erfolg: Das Verwaltungsgericht hat die Stadt Hamburg | |
| verpflichtet, das alte Stellenbesetzungsverfahren fortzuführen statt neu | |
| auszuschreiben – unter Androhung eines Zwangsgeldes. | |
| Hintergrund der Verwerfungen ist ein Konflikt zwischen den beiden jüdischen | |
| Gemeinden Hamburgs. Die orthodox dominierte Jüdische Gemeinde Hamburg hatte | |
| den Amtsinhaber Stefan Hensel für eine weitere Dreijahresperiode | |
| vorgeschlagen. Der Senat kam dem im November nach. Eike Steinig vom | |
| Israelitischen Tempelverband – der liberalen jüdischen Gemeinde – war bei | |
| der Auswahl nicht berücksichtigt worden, obwohl der Verband dessen | |
| Kandidatur öffentlich angemeldet hatte. | |
| Der [1][Israelitische Tempelverband mit rund 340 Mitgliedern kritisiert den | |
| Alleinvertretungsanspruch der Jüdischen Gemeinde Hamburg] mit ihren rund | |
| 2.400 Mitgliedern, die sich als Einheitsgemeinde versteht. Erst vor einem | |
| Monat hat der Israelitische Tempelverband die Stadt verklagt. Mit dem Ziel, | |
| als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt zu werden – so wie die | |
| Jüdische Gemeinde Hamburg bereits eine ist. | |
| Dem [2][Antisemitismusbeauftragten Hensel], der sich der Jüdischen Gemeinde | |
| zugehörig fühlt, und der auch Beauftragter für jüdisches Leben ist, wirft | |
| der Tempelverband Befangenheit zu ungunsten der Liberalen vor. | |
| ## Senat brach das Bewerbungsverfahren ab | |
| Im März gab das Verwaltungsgericht einem Eilantrag des liberalen Bewerbers | |
| Steinig statt, auch ihn zu berücksichtigen. Der Senat brach das alte | |
| Bewerbungsverfahren ab und schrieb die Stelle neu aus, wogegen sich Steinig | |
| jetzt erneut mit Erfolg wehrte. Der Abbruch sei rechtswidrig gewesen, führt | |
| das Gericht in einer am 22. Juli ergangenen einstweiligen Anordnung aus. | |
| Bereits mit [3][der Eilentscheidung] im März habe das Gericht eindeutig auf | |
| eine Entscheidung über die bereits eingereichte – und nicht über eine | |
| zukünftige – Bewerbung gezielt. Das Stellenbesetzungsverfahren sei deshalb | |
| „ohne Heranziehung der im neuen Verfahren genannten und vom Antragsteller | |
| gerügten Auswahlkriterien fortzusetzen“. | |
| Aus Sicht des nicht berücksichtigten Bewerbers Steinig wurden diese | |
| Kriterien auf den Amtsinhaber Hensel zugeschnitten. Darin ist die Rede von | |
| einem „Verständnis für das Prinzip der Einheitsgemeinde“, der Hensel | |
| angehört, sowie von „guten Kenntnissen der Behördenstrukturen in Hamburg | |
| und Erfahrung in der Gremienarbeit“. Auch Letzteres begünstige Hensel, weil | |
| nur der Amtsinhaber über die entsprechende Erfahrung verfügen könne. | |
| ## Zuständige Amtsleiterin versetzt | |
| Dafür, dass die Ausschreibung mit Absicht so formuliert wurde und Hensel | |
| begünstigt werden sollte, spricht die Versetzung der zuständigen | |
| Amtsleiterin in der Behörde für Wissenschaft, Forschung, Gleichstellung und | |
| Bezirke. Wie die Amtsleiterin an Eides statt versichert, wurde ihr die | |
| Versetzung nach zweiwöchiger Abwesenheit bei einem überraschend anberaumten | |
| Termin von der Senatorin Maryam Blumenthal und ihrer Staatsrätin Eva Gümbel | |
| (beide Grüne) mitgeteilt. Die Begründung war laut der Erinnerung der | |
| Amtsleiterin unspezifisch: Die Senatorin sei überzeugt, ihre ambitionierten | |
| Ziele mit der Amtsleiterin nicht erreichen zu können, da es am nötigen | |
| Vertrauen fehle. Konkrete Anlässe, Erfahrungen oder Einzelfälle habe die | |
| Senatorin auf Nachfrage nicht genannt. | |
| Am 18. Juli übertrug die Behördenleitung der Leitenden Regierungsdirektorin | |
| „Aufgaben der Zivilen Alarmplanung“, einen im Stellenplan nicht | |
| vorgesehenen Posten ohne Leitungs- und Personalverantwortung. Die Beamtin | |
| hat dagegen einstweiligen Rechtsschutz beantragt. | |
| Die Amtsleiterin vermutet, dass sie aus dem Weg geräumt werden sollte, weil | |
| sie in dem Stellenbesetzungsverfahren darauf hinwies, dass es Einwände | |
| gegen eine weitere Amtszeit Hensels gebe und sie diese auch in den Akten | |
| dokumentiert sehen wollte. In dem Schriftsatz, mit dem sie sich gegen ihre | |
| Versetzung wehrt, ist der Hergang detailliert dokumentiert. | |
| Ihr Anwalt Patrick Heinemann verweist auf Aktenvermerke der Behörde, in | |
| denen es heißt: „Die Kritik der liberalen jüdischen Gemeinde ist | |
| nachvollziehbar.“ Dass der Antisemitismusbeauftragte seine Mitgliedschaft | |
| in der Jüdischen Gemeinde nicht offengelegt habe, sei „irritierend und | |
| kritikwürdig“. | |
| In einem vom Anwalt zitierten weiteren Vermerk heißt es: „Aus fachlicher | |
| Sicht kann eine Neubestellung nicht empfohlen werden.“ Hensel habe zu wenig | |
| in der Bund-Länder-Kommission zur Bekämpfung von Antisemitismus und zum | |
| Schutz jüdischen Lebens (BLK) getan, seine Neutralitätsverpflichtung | |
| umgangen, polarisierend gearbeitet und Stakeholder ausgegrenzt. | |
| Nach Darstellung der Amtsleiterin hätte die Behördenleitung, namentlich | |
| Staatsrätin Gümbel, die für Hensel wenig schmeichelhaften Vermerke am | |
| liebsten unter den Tisch fallen lassen. „Entgegen den Vorstellungen der | |
| Behördenleitung“ habe sie jedoch darauf hingewirkt, dass beide zu der Akte | |
| genommen wurden, die an das Verwaltungsgericht ging. | |
| Die Amtsleiterin will sich an zwei Besprechungen im Frühjahr 2024 und 2025 | |
| erinnern, in denen Staatsrätin Gümbel gesagt haben soll, Hensel müsse die | |
| Stelle wieder bekommen. In einem der Gespräche habe sie die Staatsrätin auf | |
| „die Notwendigkeit der Bestenauslese“ hingewiesen. | |
| ## Bitte um Abbummeln von Überstunden | |
| Auch Hensel kam die Kritik zu Ohren. Er bat um ein Gespräch mit der | |
| Amtsleiterin und der zuständigen Referentin, das dann aber nicht zustande | |
| kam. Im Juni 2025 soll er Gümbel mitgeteilt haben, dass er die Amtsleiterin | |
| für befangen halte. Am 7. Juli wurde die Amtsleiterin zu dem Gespräch mit | |
| Senatorin Blumenthal gebeten. Sie solle ab sofort ihre Überstunden | |
| abbummeln und anschließend Urlaub nehmen. Für den 21. und 24. Juli waren | |
| die Termine für das Auswahlverfahren angesetzt. | |
| Die Amtsleiterin wehrte sich dagegen, Freizeitausgleich zu nehmen, wodurch | |
| sie ihren Arbeitsplatz nicht mehr hätte aufsuchen können. In der Folge habe | |
| es, so hat sie eidesstattlich versichert, ein Gespräch mit dem Leiter des | |
| Personalamtes gegeben, der ihr mitgeteilt habe, dass er auf die Schnelle | |
| keine angemessene Verwendung für sie habe, aber versuchen werde, sie | |
| zwischenzeitlich auf einer unteren Ebene zu beschäftigen. Er habe ihr | |
| geraten, ihre Überstunden zu nehmen und „keinen Krawall zu machen“, was sie | |
| später sicher bedauern würde. | |
| ## Recht auf angemessene Beschäftigung | |
| Anwalt Heinemann pocht darauf, dass seine Mandantin das Recht auf eine | |
| angemessene Beschäftigung habe. Sie sei eine sehr erfahrene, gewissenhafte | |
| Beamtin. Bei der Besetzung des Amtes des [4][Antisemitismusbeauftragten] | |
| habe sie das verfassungsrechtliche Prinzip der Bestenauslese betont und | |
| sich vor eine Mitarbeiterin gestellt, die Herrn Hensels Amtsführung als | |
| wenig neutral kritisiert hatte. „Meine Mandantin soll dafür jetzt aus rein | |
| politischen Gründen kaltgestellt werden“, kritisiert Heinemann. „Das ist | |
| rechtswidrig.“ | |
| Die Wissenschaftsbehörde will sich momentan zu beiden Fällen nicht äußern, | |
| weil die Fragen nicht rechtskräftig abgeschlossene, verwaltungsgerichtliche | |
| Verfahren berührten. | |
| 31 Jul 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Streit-um-Anerkennung-in-Hamburg/!6093193 | |
| [2] /Kritik-an-Antisemitismusbeauftragtem/!6014445 | |
| [3] /Entscheid-zum-Antisemitismusbeauftragten/!6073470 | |
| [4] https://www.hamburg.de/politik-und-verwaltung/behoerden/bwfg/unsere-themen/… | |
| ## AUTOREN | |
| Gernot Knödler | |
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