| # taz.de -- Content-Moderation bei Tiktok: Aubergine statt Penis | |
| > Tiktok will die Berliner Content-Moderation durch eine KI ersetzen. Schon | |
| > jetzt werden sexpositive und queere Inhalte willkürlich eingeschränkt. | |
| Bild: Tiktok: sieht harmloser aus, als es ist | |
| Berlin taz | Maximilian Krah (AfD) verkündet: „Du bist kein non-binäres | |
| Einhorn. Du bist Deutscher. Mach was draus!“ In der „Mannosphäre“ kursie… | |
| misogyne Gewaltfantasien und Missbrauchsanleitungen, halbnackte | |
| [1][„Ostmullen“] tanzen in Reichskriegsflaggen durch ihre Kinderzimmer und | |
| „Skinnytok“-Influencer*innen erklären: „Wenn dein Bauch grummelt, iss | |
| nichts! Er applaudiert dir.“ | |
| All das ist auf Tiktok zu sehen. Immer weniger sichtbar: Aufklärung über | |
| sexuelle Vielfalt, Verhütung, Missbrauchsfälle, Gewaltprävention sowie | |
| empowerte Flinta*, die ihre Körper und sich feiern. Willkommen bei Tiktok: | |
| Der Welt der willkürlichen Algorithmen. | |
| „Es ist paradox“, sagt Vivian Pein, Botschafterin des Bundesverbands | |
| Community Management. „Künstliche Intelligenz erkennt nur die Fläche der | |
| Haut, aber nicht den Kontext. Bilder von schweren Verletzungen, die | |
| traumatisieren können, bleiben sichtbar – während Beiträge zur sexuellen | |
| Aufklärung gelöscht werden.“ | |
| Das Problem könnte sich in Zukunft verschärfen. Denn der chinesische | |
| Social-Media-Konzern plant die Berliner Trust-and-Safety-Abteilung, in der | |
| 150 Contentmoderator*innen für den deutschsprachigen Raum beschäftigt | |
| werden, aufzulösen. Ihre Arbeit soll von der KI übernommen und an externe | |
| Dienstleister ausgelagert werden – die üblicherweise in Polen, Irland, der | |
| Türkei und auf dem afrikanischen Kontinent sitzen. Der Grund: | |
| Kosteneinsparungen. Dagegen demonstrierten Berliner Tiktok-Beschäftigte | |
| Ende vergangener Woche. | |
| ## Demo gegen Streichungen | |
| [2][Etwa 60 Mitarbeiter*innen schipperten mit einem Boot an der | |
| Geschäftsführung im deutschen Headquarter an der Stralauer Allee vorbei und | |
| protestierten]. Dass die Mitarbeiter*innen, die bislang die KI trainierten, | |
| noch eine Zukunft haben, glauben sie nicht einmal selbst. Sie fordern | |
| lediglich eine Verlängerung der Kündigungsfrist und eine Abfindung in Höhe | |
| von drei Jahresgehältern. Der Konzern lehnte – wenig überraschend – jede | |
| Verhandlung mit der Gewerkschaft Verdi ab. | |
| Expert*innen warnen: Durch eine KI-basierte Content-Moderation droht | |
| Tiktok noch anfälliger für Gewaltverherrlichung, Desinformation und | |
| rechtsextreme Inhalte zu werden. Denn der KI fehle das notwendige | |
| kulturelle und politische Verständnis, um problematische Inhalte | |
| zuverlässig erkennen zu können. Auch Vivian Pein kritisiert: „KI-Systeme | |
| sind dafür noch nicht ausreichend ausgereift.“ Gerade in der deutschen | |
| Sprache fehle es an sprachlicher Sensibilität und Differenzierungsvermögen. | |
| Ironie, Sarkasmus oder Kontexte könne sie kaum wie ein Mensch erfassen. | |
| Bislang moderiert Tiktok Inhalte in einem zweistufigen Verfahren. Zunächst | |
| filtert eine KI Beiträge, die gegen die offiziellen Richtlinien verstoßen, | |
| etwa Gewalt, Hassrede, Desinformation oder sexualisierte Darstellungen und | |
| sperrt sie. | |
| Inhalte, die der Algorithmus als „unklar“ markiert, werden anschließend zur | |
| manuellen Überprüfung an Content-Moderator*innen weitergeleitet. Die | |
| Grundlage der Moderation ist jedoch intransparent: Die KI arbeitet mit | |
| Schlagwortlisten, Bildanalysen und internen Blacklists, die nicht | |
| öffentlich einsehbar sind. Auch die manuellen Prüfungen folgen internen | |
| Zensur-Richtlinien, die deutlich restriktiver sein sollen als die | |
| offiziellen Community-Richtlinien. | |
| Tiktok betont, problematische Inhalte konsequent zu bekämpfen. Im ersten | |
| Quartal 2025 seien laut eigenen Angaben über 87 Prozent der gelöschten | |
| Videos mithilfe automatischer Systeme erkannt und über 99 Prozent noch vor | |
| einer Nutzer*innenmeldung entfernt worden seien. | |
| ## Problem wird verschärft | |
| Vivian Pein hingegen berichtet von einer anderen Realität: Über Monate | |
| hinweg habe sie eine Vielzahl von jugendgefährdenden Inhalten gemeldet. In | |
| der ersten KI-Moderationsinstanz sei kein einziges Video entfernt worden. | |
| Sie kritisiert: „Dass gerade ein Tiktok, das sich in der Content-Moderation | |
| ohnehin nicht mit Ruhm bekleckert hat, die menschliche Instanz rausnimmt, | |
| um Geld zu sparen, ist absolut unverantwortlich.“ Das sei nicht nur ein | |
| technisches, sondern auch ein demokratisches Problem. | |
| Denn durch die KI-basierte Moderation werden Inhalte auch fälschlicherweise | |
| als „problematisch“ eingestuft und zensiert. Expert*innen kritisieren | |
| systematisches „Underblocking“ von Gewaltverherrlichung, Frauenhass oder | |
| problematischen Trends sowie das „Overblocking“ von queeren, | |
| feministischen, politischen und sexpositiven Inhalten, die nicht gegen | |
| Richtlinien verstoßen. | |
| ## Doppelte Standards | |
| Die doppelten Standards der Plattform kritisiert auch die | |
| Kulturwissenschaftlerin Nike Wessel. „Aufklärende Inhalte verschwinden, | |
| während sexualisierte Inhalte für Klicks und Kommerz durchgewunken und | |
| transfeindliche Posts teilweise sogar vom Algorithmus gefördert werden.“ | |
| Mit ihrer Petition „Sexualaufklärung darf kein Tabu sein – Stoppt die | |
| Zensur!“ setzt sich Wessel dafür ein, dass Wissen über Körper, Gesundheit | |
| und sexuelle Rechte frei zugänglich bleibt – mittlerweile mit über 18.000 | |
| Unterstützer*innen. | |
| Mit dabei: Sexpositive Berliner Unternehmen und Initiativen wie Safer Sex | |
| Berlin, das sich für einen besseren Zugang zu sexueller | |
| Gesundheitsversorgung für Flinta* einsetzt, der Lustshop [3][Amorelie] | |
| sowie Einhorn, das mit nachhaltigen Kondomen und Periodenprodukten für mehr | |
| Aufklärung sorgt. Sie alle wurden schon Opfer von Plattformzensur. Die | |
| Begründung: Es handele sich um Pornografie. | |
| Die Angst vor Zensur zwingt sie dazu in der Aufklärungsarbeit ihre Sprache | |
| anzupassen. Begriffe, die der Algorithmus als „anstößig“ markiert, werden | |
| umgangen. Anstatt „Penis“ zu schreiben, wird ein Auberginen-Emoji | |
| verwendet, aus „Sexismus“ wird „S€xismus“ und aus „Misogynie“ „… | |
| Oliver Marsh von der NGO Algorithmwatch warnt, dass durch die KI-generierte | |
| Content-Moderation vermehrt Accounts aus nicht nachvollziehbaren Gründen | |
| und zu Unrecht gesperrt werden könnten. Diese Tendenz ließ sich auch bei | |
| anderen Plattformen beobachten, die ebenfalls aus Kostengründen vermehrt | |
| auf automatisierte Moderation und externe Dienstleister setzten. | |
| In den vergangenen Monaten häuften sich Berichte von | |
| Instagram-Nutzer*innen, deren Accounts unbegründet und ohne Vorwarnung | |
| gesperrt wurden – trotz der Versicherung, keine Community-Richtlinien | |
| verletzt zu haben. Viele gaben an, erfolglos bei Meta Einspruch eingelegt | |
| und gültige Ausweise hochgeladen zu haben – oft ohne Rückmeldung. | |
| Betroffen ist auch der Instagram-Account des Lustshops „Liebelei“ mit | |
| 15.000 Followern. Der Content ist zärtlich, es wird sexpositiv aufgeklärt. | |
| „Hater“ hatten gedroht, den Account so lang zu melden, bis Instagram ihn | |
| sperrt – mit Erfolg. | |
| ## Achselhaare müssen weg | |
| Zuletzt war das „Vergehen“ ein harmloses Tanzvideo der Gründerin Katharina | |
| Bonk, in dem ihre Achselhaare zu sehen sind. Instagram erklärte dies | |
| aufgrund der „sexuellen Anspielungen“ als Verstoß gegen die | |
| Nutzungsbedingungen – ein Vorwurf, der so nicht in den offiziellen | |
| Richtlinien auftaucht. Vier Mal wurde der Account inzwischen gesperrt und | |
| immer wieder ohne Erklärung freigeschaltet. Bonk sagt: „Es demotiviert, | |
| ermattet und ermüdet.“ | |
| Für viele Creator*innen und kleinere Unternehmen, die auf Sichtbarkeit | |
| in sozialen Netzwerken angewiesen sind, können die unklaren | |
| Moderationspraktiken existenzgefährdend sein. Nike Wessel fordert daher | |
| klare und nachvollziehbare Richtlinien, die zwischen sexualisierter Gewalt | |
| und sexualpädagogischer Aufklärung unterscheiden sowie, dass Plattformen | |
| offenlegen müssen, wie ihre Algorithmen Inhalte moderieren. Zudem sollen in | |
| der Erarbeitung und Überprüfung von Plattformregeln Fachleute beteiligt | |
| werden. | |
| Das fordert auch Vivian Pein: „Content-Moderator*innen müssen im | |
| Entscheidungsprozess involviert sein. Sie wissen, wie die Plattform | |
| gestaltet sein muss, damit ein demokratischer Diskurs möglich ist.“ Für sie | |
| steht fest: „An KI führt kein Weg vorbei. Bei eindeutigen Fällen kann sie | |
| Inhalte moderieren. Doch in sensiblen Situationen braucht es menschliches | |
| Feingefühl.“ | |
| 28 Jul 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Rechtes-Internet-feiert-die-Ostmulle/!6080593 | |
| [2] /Streik-bei-TikTok-in-Berlin-Darum-legen-Content-Moderatoren-die-Arbeit-nie… | |
| [3] /Gentrifizierung-in-Berlin/!5543376 | |
| ## AUTOREN | |
| Lilly Schröder | |
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