| # taz.de -- Streik bei TikTok in Berlin: Innovation Ausbeutung | |
| > Wie KI die Arbeitswelt „revolutioniert“, zeigt sich bei Tiktok. | |
| > Unternehmen wollen durch Outsourcing sparen. Hoffnung weckt der | |
| > Widerstand dagegen. | |
| Bild: Protest gegen Automatisierung: Tiktok-Mitarbeiter:innen streiken gegen ih… | |
| Berlin taz | Wie wichtig die Arbeit ihrer Abteilung ist, erklärt | |
| Tiktok-Beschäftigte Lena M. an einem Beispiel. „Wenn ich ein Video bekomme, | |
| in dem Essstörungen glorifiziert werden, ist klar, es darf nicht auf der | |
| Plattform sein.“ Aber die gezeigten Inhalte selbst, die Zurschaustellung | |
| dünner Körper oder Abnehmtipps, seien für sich kein problematischer Inhalt. | |
| Erst im Kontext wird dieser gefährlich. Der KI-Algorithmus, der ihre Arbeit | |
| in Zukunft ersetzen soll, könne solche Feinheiten nicht erkennen, „die KI | |
| hat im Moment ihre Fehler. Aber wir haben den Hintergrund und verstehen, | |
| was gerade Thema ist“, sagt M. | |
| M. ist von der [1][rund 150 Beschäftigten der sogenannte „Trust and | |
| Safety“-Abteilung, verantwortlich für die Moderation von Inhalten, der | |
| deutschen Tiktok-Niederlassung in Berlin, die ihren Job verlieren sollen]. | |
| Gegen die Kündigungen wehren sich die Beschäftigten erneut mit einem | |
| viertägigen, bis Freitag andauernden Streik. | |
| Auch die Politik und die Öffentlichkeit versuchen die Beschäftigten zu | |
| mobilisieren. Auf einer Podiumsdiskussion in der Verdi-Zentrale am | |
| Dienstagabend, diskutierte Lena M. zusammen mit Expert:innen und | |
| Politiker:innen, welche gesellschaftlichen Auswirkungen die Entlassungen | |
| bei Tiktok und der gewerkschaftliche Widerstand dagegen haben werden. | |
| Das chinesische Social-Media-Unternehmen will die gesamte für die | |
| Moderation der Inhalte verantwortliche Abteilung auflösen. Die Aufgaben | |
| sollen zum Teil in Subunternehmen ausgelagert werden. Vor allem soll aber | |
| ein Großteil durch KI-Algorithmen ersetzt werden, den die Beschäftigten | |
| zuvor selbst trainiert haben. Es ist die erste Massenentlassung in | |
| Deutschland, die explizit durch den Einsatz künstlicher Intelligenz | |
| begründet wird. | |
| ## Nicht weniger Arbeit, nur schlechter bezahlt | |
| Doch die Annahme, dass künstliche Intelligenz Arbeit „überflüssig“ machen | |
| würde, sei nicht ganz korrekt, erklärt Moritz Altenried, der an der | |
| Humboldt-Universität zu digitaler Arbeit forscht: „KI-Technologien sind | |
| Auslagerungstechnologien. Arbeit, die an einer Stelle rationalisiert wird, | |
| taucht an anderer wieder auf.“ Das sei auch bei Tiktok zu beobachten, | |
| erklärt Altenried. So müssten die Algorithmen immer wieder neu trainiert | |
| werden, um in neuen Kontexten zurechtzukommen – eine Aufgabe, die nun | |
| schlechter bezahlte Arbeiter:innen bei Drittfirmen übernehmen sollen. | |
| Und auch der Bau und Betrieb eines Rechenzentrums erfordere viel Arbeit. | |
| [2][Vor allem bedeuten weniger menschliche Inhaltsmoderator:innen | |
| einen Qualitätsverlust, der eine politische Entscheidung sei.] Denn eine KI | |
| mit weniger menschlicher Kontrolle sei immer schlechter als eine mit mehr | |
| von dieser. Eine stärkere Verbreitung von Verschwörungstheorien, | |
| extremistischen, pornografischen und gewalttätigen Inhalten sind die Folge. | |
| „Plattformen wie Tiktok fühlen sich nicht mehr daran gebunden, | |
| Verantwortung für ihre Inhalte zu übernehmen“, sagt Altenried, letztendlich | |
| gehe es um „Outsourcing und Vernachlässigung von Aufgaben“. | |
| Eine Beobachtung, die Contentmoderatorin Lena M. bestätigen kann, ist, dass | |
| Arbeit, wenn sie woanders wieder auftaucht, schlechter bezahlt wird. Sie | |
| habe mit Kolleg:innen gesprochen, die bei den Drittfirmen angestellt | |
| sind, in die Tiktok die Aufgaben auslagern will. „Nach der Art und Weise, | |
| wie viel sie moderieren, wird ihr Gehalt angepasst. Bei Fehlern werden sie | |
| direkt herausgeschmissen“, auch seien die Gehälter deutlich geringer als | |
| noch bei Tiktok. | |
| Ist die Arbeitsrevolution, die künstliche Intelligenz bringen soll, also | |
| nur schnödes Outsourcing in neuen Gewändern? „Tiktoks Strategie ist | |
| Profitmaximierung“, sagt Camella Serent Wagner, die am Weizenbaum Insitut | |
| forscht. „Tech-Konzerne machen eine große Wette, dass KI Profite bringt“, | |
| dazu müssten aber möglichst viele Arbeiter:innen ersetzt werden, da die | |
| Technologien extrem teuer sind. Gewerkschaftsaktivist Daniel Gutiérrez | |
| ergänzt, dass in den USA bereits viele Einstiegsjobs in der Techbranche | |
| durch KI wegrationalisiert worden sind. | |
| ## Regulierungsbedarf | |
| „Wir sind ethisch, moralisch und regulativ nicht darauf vorbereitet“, gibt | |
| Arbeitssenatorin Cansel Kiziltepe zu. Umso wichtiger ist der | |
| gewerkschaftliche Widerstand, der wiederum am einfachsten durch einen | |
| Betriebsrat möglich sei. In der Techbranche sei das nicht einfach. „Da gibt | |
| es eine Menge [3][Beispiele von Unionbusting]“, sagt Kiziltepe. | |
| Regulativ schlägt Kiziltepe ein Direktanstellungsgebot wie in der | |
| Fleischindustrie vor, das Outsourcing an Drittunternehmen verhindert. | |
| Allerdings seien die Möglichkeiten auf Landesebene begrenzt. Auch benötige | |
| es „digitale Zugangsrechte für Gewerkschaften“, sagt Kiziltepe, durch die | |
| Gewerkschafter:innen auch über die digitalen Kommunikationskanäle von | |
| Unternehmen werben können. | |
| Ein erster Erfolg ist, dass sich die Tiktok-Beschäftigten überhaupt wehren. | |
| Tatsächlich ist der Arbeitskampf der erste Ausstand bei einem | |
| Social-Media-Unternehmen weltweit. „Der Tiktok-Streik wird international | |
| mit einer riesigen Aufmerksamkeit verfolgt“, sagt | |
| Verdi-Gewerkschaftssekretärin Kathlen Eggerling, man habe bereits etliche | |
| Kontaktanfragen von Gewerkschaftsgruppen aus dem Ausland bekommen, | |
| berichtet Eggerling. So organisierten sich gerade ebenso von Kündigungen | |
| bedrohte Tiktok-Beschäftigte in London. | |
| Verdi fordert eine Kündigungsfrist von einem Jahr und eine Abfindung von | |
| drei Jahresgehältern. Bislang aber weigert sich das Unternehmen, mit der | |
| Gewerkschaft zu reden. Am Donnerstag entscheidet ein Gericht über das | |
| Einsetzen einer Einigungsstelle. Hat das Unternehmen Erfolg – was | |
| wahrscheinlich ist –, kann es die Beschäftigten ohne Einbindung der | |
| Gewerkschaft kündigen. Trotz der düsteren Aussichten bleibt Eggerling | |
| kämpferisch: „Wir werden die Beschäftigten bis zum letzten Tag | |
| unterstützen.“ | |
| 24 Sep 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jonas Wahmkow | |
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