# taz.de -- Ex-Linker über SPD-Eintritt: „Muss alles kritisieren können, so… | |
> Bijan Tavassoli ist mit der Linkspartei groß geworden, lag immer wieder | |
> mit seiner Partei über Kreuz. Nun hat er eine neue politische Heimat | |
> gefunden. | |
Bild: Sorgte immer wieder für Eklats: Bijan Tavassoli, hier bei der Wahl zum L… | |
taz: Bijan Tavassoli, warum sind Sie in die SPD eingetreten? | |
Bijan Tavassoli: Es war für mich nach dem Linken-Austritt zunächst | |
befreiend, gar nicht mehr in einer Partei zu sein. Aber dann hat es mir | |
auch gefehlt, Leute als Genossen bezeichnen zu können. Und als Olaf Scholz | |
dann im November Christian Lindner entlassen hat, da wollte ich in die SPD | |
Hamburg eintreten. Und die haben mich tatsächlich auch aufgenommen. | |
taz: Bei der Linken galten Sie als Spaßvogel. Sind Sie gern einer? | |
Tavassoli: Freude bereiten kann die Stimmung aufheitern. Aber ich werde | |
auch gerne ernst genommen. Und ich wurde oft nicht gehört und versuchte | |
dann, mir auf merkwürdige Art, so sahen das jedenfalls andere, Gehör zu | |
verschaffen. Ich kandidierte zum Beispiel auf dem Bundesparteitag der | |
Linkspartei als Vorsitzender, nur um Redezeit für meine Argumente zu haben. | |
taz: Woher kommt Ihr Interesse für Politik? | |
Tavassoli: Das liegt auch an meiner Familie. Ich habe Verwandte im Iran. | |
Mein Vater war dort als Student in einer maoistischen Guerillagruppe und | |
wurde unter Khomeini zur Todesstrafe verurteilt. Dann griff 1980 Saddam | |
Hussein an, sodass sie ihm anboten, stattdessen im Iran-Irak-Krieg an die | |
Front zu gehen. Nach einem Jahr floh er von der Front und wurde als | |
Deserteur erneut zum Tode verurteilt. Meine Familie bestach die Leute, um | |
ihn da rauszukriegen. Aber er saß zweimal in einer Zelle und sah der | |
Todesstrafe ins Auge. Das prägte ihn und mich. | |
taz: Sie wuchsen in einem politischen Elternhaus auf? | |
Tavassoli: Genau. Meine Mutter ist Deutsche und war in ihrer Jugend in | |
linken Künstlerkreisen zu Hause. Die war auch politisch, aber anders. Das | |
ergänzte sich gut. Es gab am Küchentisch spannende Diskussionen. Meine | |
Eltern arbeiteten beide. Da war ich viel bei meinen Großeltern. | |
taz: Ihr Opa war der bekannte [1][Reporter Peter von Zahn]. | |
Tavassoli: Für mich war er einfach Opa. Er brachte mir Schach bei und war | |
sehr für mich da. Er hatte noch ein Studio im Haus und zeigte mir das | |
Filmeschneiden. Leider starb er, als ich zehn war. | |
taz: Wie kamen Sie zur Linken? | |
Tavassoli: Über ein Schulprojekt. 2005 war Bundestagswahl. Wir sollten | |
Parteien vorstellen und ich bekam die Linke zugeteilt. Ich wollte eine gute | |
Note und machte deswegen die ganze Arbeit. Machte Fotos, ging zu | |
Veranstaltungen, erstellte Präsentation und Hand-out und bekam eine Eins | |
minus. Es gab damals tolle Wahlkampfplakate. Oskar Lafontaine zitierte | |
Victor Hugo: Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist. | |
taz: Und Sie traten mit 15 in die Linksjugend ein? | |
Tavassoli: Relativ bald. Ich hatte schon heimlich im Unterricht Marx | |
gelesen. Ich verstand nicht alles, aber viel. So wand ich mich in der | |
Linksjugend eher den marxistisch orientierten Trotzkisten zu. Die waren | |
recht dogmatisch. Fand ich nicht schlimm, nur hatte es auch was | |
Sektenhaftes. Und ich stellte viele Fragen. Da mochten die mich nicht so. | |
taz: Das klingt nach Hochschul-Millieu. | |
Tavassoli: Ich war schon an der Hamburger Uni aktiv, bevor ich studierte. | |
Meine Eltern haben dort einen Kiosk betrieben. Und dann gab es 2009 die | |
Besetzung der Uni und den Kampf gegen [2][Uni-Präsidentin ‚Raketen-Moni‘]. | |
taz: Sie meinen Monika Auweter-Kurtz, die Physikerin war von 2006 bis 2009 | |
Präsidentin der Hamburger Uni. [3][Sie war umstritten] und trat letztlich | |
zurück. | |
Tavassoli: Ja, die galt als autoritär. Wir haben auch die Parteizentrale | |
der Grünen besetzt damals, weil sie die Studiengebühren nicht zurücknehmen | |
wollten. Das waren schöne Zeiten. | |
taz: Sie wurden sozusagen mit der Linkspartei erwachsen? | |
Tavassoli: Ich war einfach Mitglied und meistens gegen das, was die | |
Parteiführung wollte. Und die Mehrheit der Partei war auch gegen das, was | |
die Fraktion wollte. Die waren alle ganz böse Realos. | |
taz: Sie haben sich später [4][als Frau für den Parteivorsitz beworben]. | |
Warum? | |
Tavassoli: Das war 2022, als die Rechten im Hamburger Landesverband der | |
Linken erstmals die Mehrheit hatten. Ich fand es nicht in Ordnung, wie man | |
mit den beiden Vorsitzenden Zaklin Nastic und Keyan Taheri umgegangen ist. | |
taz: Wer sind die Rechten bei der Linken? | |
Tavassoli: Die, die mitregieren wollen. Ich würde das heute nicht mehr so | |
einteilen, aber so sahen wir das. Unser linker Flügel hatte bei der | |
Delegiertenwahl die Mehrheit verloren. Damit war klar, die beiden | |
Vorsitzenden würden nicht wiedergewählt werden. Schon am Vorabend begann | |
der andere Flügel, sie zu demütigen. Ich war im Türkei-Urlaub und verfolgte | |
das im Livestream. Da erklärte ich meine Kandidatur als Frau. | |
taz: Wieso als Frau? | |
Tavassoli: Damals – das sehe ich heute anders – fand ich die Handhabung der | |
Frauenquote in der Linkspartei schwierig. Insbesondere, wenn man | |
Trans-Frauen einbezogen hat, wirkte das auf mich nicht durchdacht. Ich | |
beschäftigte mich damit und gab einem kleinen linken Magazin ein Interview. | |
taz: Es gibt ein Foto von Ihnen mit Kopftuch. Wie kam es dazu? | |
Tavassoli: Da hatte ich gerade eine Trennung hinter mir und eine Freundin | |
aus Berlin zu Besuch. Wir haben, glaube ich, LSD genommen, das hatte ich zu | |
der Zeit entdeckt. Wir kamen dann auf die Idee, in ein Kopftuchgeschäft zu | |
gehen. Die Verkäuferin dachte, das wäre für meine sehr deutsche Freundin. | |
Dann sagte ich: „Setz mir das mal auf.“ Die Verkäuferin guckte irritiert, | |
ich machte ein Selfie und dann sind wir schnell raus. | |
taz: Und warum nannten Sie sich dann lesbische Trans-Muslisma? | |
Tavassoli: Weil alle denken, wer Frauenkleider anzieht, möchte mit Männern | |
intim sein. Das fand ich altmodisch. Das Interview gab ich aus dem | |
Türkei-Urlaub, man hörte draußen einen Muezzin rufen und ich sagte: „Jetzt | |
schließe ich das Fenster aus Respekt vor Allah.“ Dass fand der Reporter | |
witzig und ließ es drin. So wurde ich zur Trans-Muslima. | |
taz: Ihre Aktion wurde als Verhöhnung wahrgenommen. | |
Tavassoli: Ich habe diese Kritik nicht von Trans-Menschen gehört. Die | |
kritischen Artikel waren von Menschen, die sich als Sprecher von | |
Trans-Menschen fühlten. Und ich bekam auf Twitter Likes von Personen, die | |
ihr Profil mit Deutschlandfarben umranden. Viele sahen nur: Der macht sich | |
lustig über die Linke, über Trans-Personen und den Islam, das fanden sie | |
gut. Und ich finde, dass man alles kritisieren können sollte, sonst ist man | |
kein Linker. Aber es kommt immer auf den Kontext an und wem man mit dieser | |
Kritik nützt. | |
taz: Sie wurden für die jüngste Bundestagswahl als Kandidat aufgestellt von | |
einer Gruppe interner Kritiker des BSW. Und als das Hamburger Abendblatt | |
Sie zu den Gründen befragte, sagten Sie: „Ich möchte im Bundestag auf der | |
Damentoilette masturbieren.“ Warum? | |
Tavassoli: Der Redakteur fragte mich, ob ich nun eine Frau sei. Ich wollte | |
ein bisschen den Hintergrund illustrieren und sagte: „Ich will ja nicht nur | |
in den Bundestag, um auf der Damentoilette zu masturbieren, sondern ich bin | |
seit 20 Jahren politisch aktiver Mensch und setze mich für Frieden und | |
Sozialpolitik ein, und ich denke, das kann ich auch im Bundestag.“ Das | |
wurde dann verkürzt und verdreht. Aber ich finde die Aussage gar nicht so | |
schlimm, weil das, was die Leute im Bundestag machen, zum Teil deutlich | |
schlimmer ist. Sie stimmen für Abschiebungen und Bezahlkarten für | |
Flüchtlinge. | |
taz: Als 2021 die Taliban in Afghanistan die Macht übernahmen, [5][haben | |
Sie den Tod deutscher Soldaten bejubelt]. Das stand in der Bild-Zeitung. | |
Tavassoli: Es stimmt nicht alles, was man da liest. Ich hielt den Krieg in | |
Afghanistan von Anfang an für falsch und freute mich sehr, dass er zu Ende | |
ging. Ich kommentierte damals für das russische Fernsehen und vertrat die | |
These, dass diese Taliban von heute moderner sind. Und das postete ich auch | |
auf Facebook. | |
taz: Die Bild-Zeitung zitierte Sie so: „Ich gratuliere dem afghanischen | |
Volk zum Sieg über die ausländischen Besatzer, insbesondere zu jedem | |
einzelnen der 37 eliminierten Bundeswehrsoldaten.“ | |
Tavassoli: Ich hatte am Ende des Textes geschrieben: „Ich gratuliere dem | |
afghanischen Volk zu einem Sieg für ein Leben in Frieden und Freiheit und | |
gratuliere Ihnen zu dem erfolgreichen Widerstandskampf inklusive den 37 | |
getöteten Bundeswehrsoldaten.“ Ich wollte damit sagen, dass die Kosten | |
dieses falschen Kriegs auf deutscher Seite relativ gering waren im | |
Vergleich zu den Hunderttausenden afghanischen Zivilisten, die starben. Und | |
das drückte ich falsch aus. Ich wollte mich gleich am nächsten Morgen für | |
die Aussage mit den Bundeswehrsoldaten entschuldigen. Aber mir wurde aus | |
der Partei heraus gesagt, ich sollte mich nicht mehr äußern. | |
taz: Warum sind Sie nicht mehr bei der Linken? | |
Tavassoli: Was ich krass fand, war der versuchte Partei-Ausschluss nach dem | |
Afghanistan-Post. In dem Verfahren vertrat mich ein Völkerrechtler. Man | |
könne mir nicht vorhalten, dass ich auf meiner Facebook-Seite was | |
formuliere, was kontrovers, aber juristisch vertretbar ist. Darum haben sie | |
mich nicht ausgeschlossen. | |
taz: Aber dann sind Sie ausgetreten. | |
Tavassoli: Ja, das war 2023 auf dem Parteitag vor der Europawahl. Ich | |
dachte, wenn jetzt die Linkspartei auch für Aufrüstung ist, brauche ich | |
kein Mitglied mehr sein. Ich finde es allerdings schön, dass [6][die | |
Linkspartei mit Jan van Aken als Vorsitzendem] jetzt wieder einen anderen | |
Kurs vertritt. Ich mag seine Art, wenn es um Frieden geht. | |
Anmerkung der Redaktion: Der taz lag vor Veröffentlichung dieses Interviews | |
ein Schreiben des SPD-Service-Centers vor, wonach Bijan Tavassoli in die | |
SPD aufgenommen wurde. Die SPD-Hamburg hat sich nach Erscheinen dieses | |
Interviews bei der taz gemeldet und erklärt, dass ein Herr Tavassoli | |
aktuell kein Mitglied der Partei sei. Bijan Tavassoli erklärt dazu, er sei | |
nicht aus der SPD ausgetreten und gehe davon aus, weiter Mitglied zu sein. | |
14 Aug 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://www.ndr.de/geschichte/koepfe/Peter-von-Zahn-Der-Mann-der-ersten-Stu… | |
[2] /Krach-an-der-Hamburger-Uni/!5160728 | |
[3] /Abwahl-Krimi-an-der-Uni-Hamburg/!5161774 | |
[4] /Linken-Landesparteitag-in-Hamburg/!5881124 | |
[5] /Hamburger-Linke-Mitglied-feiert-Taliban/!5792228 | |
[6] /Jan-van-Aken/!t5021441 | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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