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# taz.de -- Mehrere tausend Angriffe: Gesundheit unter Beschuss
> Krankenhäuser werden häufiger zu Kriegszielen, weil ihre medizinische
> Neutralität nicht geachtet wird. Die Genfer Konvention schützt sie nicht
> genug.
Bild: Weltweit und vor allem in Gaza steht das Gesundheitswesen unter Beschuss
Schon im Dezember 2023, [1][der israelische Krieg in Gaza] war erst wenige
Wochen alt, verurteilte der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf
Gesundheit, Tlaleng Mofokeng, den „unerbittlichen Krieg“ gegen
Krankenhäuser und ihr Personal. Vergeblich.
Anfang April 2024 war nach einem Militäreinsatz auf dem Gelände des
Al-Schifa-Krankenhauses auch [2][die größte Gesundheitseinrichtung des
Gazastreifens] zerstört. Nach fast zwei Jahren Krieg liegt die
gesundheitliche Infrastruktur für 2,3 Millionen Menschen in Trümmern. Die
entgrenzte militärische Gewalt in Gaza ist nur der vorläufige Höhepunkt
einer Entwicklung, in der die medizinische Infrastruktur zur Zielscheibe
wird.
Dabei hat der hohe völkerrechtliche Schutz medizinischer Einrichtungen im
Krieg fast sakrosankten Charakter. Laut Artikel 18 der vierten Genfer
Konvention von 1949 dürfen Gesundheitseinrichtungen „unter keinen Umständen
angegriffen werden, sondern sind von den Konfliktparteien jederzeit zu
achten und zu schützen“.
Aber klar ist auch, die Genfer Konventionen haben Gesundheitseinrichtungen
de facto nie vollständig geschützt. Da ist etwa die Bombardierung des
Bach-Mai-Krankenhauses in Hanoi im Jahr 1972 durch die US-Armee, bei dem
Dutzende Mitarbeiter:innen und Patient:innen getötet wurden. Der
Angriff wurde ein Symbol für die Brutalität des Vietnamkriegs.
In den letzten 15 Jahren hat sich die Intensität der Angriffe immens
gesteigert. Der jährliche Bericht der Safeguarding Health in Conflict
Coalition (SHCC) dokumentiert allein für das Jahr 2024 weltweit 3.600
Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen und ihr Personal, mehr als jemals
zuvor. Der Bericht erzählt von Ärzt:innen in Myanmar und in Sudan, die
inhaftiert und ermordet wurden, weil sie hilfsbedürftige Menschen behandelt
hatten. Er erinnert an die Ermordung von Helfer:innen in Pakistan, deren
Vergehen darin bestand, Kinder gegen Infektionskrankheiten geimpft zu
haben. Und er kündet von mehr als 1.200 Angriffen der israelischen
Streitkräfte gegen Gesundheitseinrichtungen in Gaza.
Angesichts dessen spricht der Gesundheitsexperte Len Rubenstein von der
Johns Hopkins University von einer „neuen Dimension der Gewalt“. Noch nie
seit dem Zweiten Weltkrieg seien Krankenhäuser so systematisch aus der Luft
zerstört worden. Gesundheitseinrichtungen würden gezielt gestürmt,
medizinische Ausrüstung werde vernichtet. Zudem hätten gezielte Tötungen
und die Entführung von Gesundheitskräften ein nie dagewesenes Ausmaß
erreicht – seit Oktober 2023 wurden in Gaza über 1.500 Fachkräfte getötet.
Als Sündenfall einer Kriegsführung wider die Genfer Konventionen gilt das
Massaker von Mullivaikkal im sri-lankischen Bürgerkrieg 2009. Binnen
weniger Monate wurden dort mindestens 40.000 Menschen auf engem
Küstenstreifen getötet, unter ihnen viele in gezielt beschossenen
Gesundheitseinrichtungen. Exemplarisch für diese Kriegsführung steht die
Zerstörung des Mullivaikkal-Krankenhauses mit über 100 Toten. Die damals
inflationär genutzte Anti-Terror-Rhetorik verwischte die Grenze zwischen zu
schützenden Zivilist:innen und militärischen Gegnern – und degradierte
die Gegenseite zum unterschiedslos zu vernichtenden Feind.
In nahezu jedem vergangenen Konflikt soll Krieg den Terror bekämpfen. Sei
es in Südsudan, Jemen oder Afghanistan, wo die US-Armee 2015 das
Krankenhaus der Ärzte ohne Grenzen in Kundus zerstörte. Damals war der
Aufschrei groß, es folgten Kampagnen bis hin zu einer Resolution im
UN-Sicherheitsrat. Doch geändert hat das nichts – im Gegenteil.
Die Zerstörung der Geburtsklinik in [3][Mariupol] im März 2022
rechtfertigte die russische Regierung damit, dass dort Kämpfer eines
ukrainischen Bataillons Stellung bezogen hätten. Mit demselben
Argumentationsmuster legitimiert die israelische Regierung die Zerstörungen
medizinischer Einrichtungen in Gaza. Wahlweise als Raketenbasis, als
Waffenlager oder als Rückzugsort von Hamas-Kämpfern sollen die
Krankenhäuser Gazas dienen. Hinreichende Beweise liefert Israel keine. Denn
der Anti-Terror-„Joker“ macht es wesentlich einfacher, sich auf eine
Ausnahme in der Genfer Konvention zu berufen. Dieser zufolge verlieren
Gesundheitseinrichtungen ihren Schutzstatus, sobald sie „außerhalb ihrer
humanitären Aufgaben zu Handlungen benutzt werden, die dem Gegner schaden“.
Die Voraussetzungen sind allerdings hoch. Es bedarf eindeutiger Beweise für
die Annahme der militärischen Zweckentfremdung. Damit ein Angriff
rechtmäßig ist, muss zudem bewiesen werden, dass alles dafür getan wurde,
um Schaden für Menschen auf ein Minimum zu beschränken. Angriffe, bei denen
zu erwarten ist, dass sie der Zivilbevölkerung Schaden zufügen, der im
Verhältnis zu dem erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen
Vorteil übermäßig hoch wäre, gelten als Kriegsverbrechen.
Doch die Empörung darüber bleibt im Jahr 2025, anders als vor 10 Jahren,
weitgehend aus. Zu tief sitzt das Terrorismusnarrativ, zu erfolgreich wird
die medizinische Neutralität infrage gestellt. Israel verschiebt den
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ins Absurde. Gemäß derselben Logik hat
der US-Verteidigungsminister ein „Kriegsrecht für Sieger“ gefordert.
Und auch hierzulande wird dieser beispiellose Angriff auf die medizinische
Neutralität wahlweise gerechtfertigt oder schweigend hingenommen. Selbst
die sonst lautstarke Bundesärztekammer hat sich fast zwei Jahre Zeit
gelassen, bis sie halbherzig ihrer ethischen Verpflichtung nachkam, sich
solidarisch mit ihren Kolleg:innen in Gaza zu zeigen. Andere
Berufsverbände schweigen noch immer. Das ist fatal, denn wenn die
medizinische Neutralität grundsätzlich infrage gestellt wird, werden auch
bei uns die Angriffe auf Sanitäterinnen, Ärztinnen und Pfleger zunehmen.
14 Aug 2025
## LINKS
[1] /Wieviele-Tote-gibt-es-in-Gaza/!6102994
[2] /Humanitaere-Lage-in-Gaza/!6038457
[3] /Krieg-in-der-Ukraine/!5840612
## AUTOREN
Felix Litschauer
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