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# taz.de -- Graphic Novels zu NS und Franco-Regime: Totengräber versus Mitläu…
> Comics können herausragend und differenziert von Geschichte erzählen. Das
> zeigen die neuen Bücher von Paco Roca, Rodrigo Terrasa, Isabel Kreitz und
> Jason Lutes.
Bild: Szene aus „Der Abgrund des Vergessens“ von Paco Roca und Rodrigo Terr…
Selten gab es so wenig Zukunft wie heute. Vergangenes, längst überwunden
Geglaubtes drängt heran und bestimmt unsere Gegenwart. Finanzkrise und
Pandemie, autokratische „Führer“, ideologische Verblendung und
revanchistisch-imperialistisches Großmachtstreben – wie in einem
Zerrspiegel sind Erscheinungen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
in den letzten 25 Jahren zurückgekehrt.
Kritisch daran zu erinnern, wie es im „Zeitalter der Extreme“ war, ist
daher kein Stoff für Sonntagsreden mehr, sondern von höchster Aktualität –
und auch der Comic kann hierzu einen Beitrag leisten, wie zwei Graphic
Novels von Paco Roca und Isabel Kreitz zeigen.
In Rocas „Der Abgrund des Vergessens“, nach einem Szenario des Sport- und
Investigativreporters Rodrigo Terrasa, wird deutlich, wie schwer sich
spanische Politik und Gesellschaft bis heute damit tun, das giftige Erbe
des Franquismus aufzuarbeiten.
Daran, dass der Bürgerkrieg zwischen 1936 und 1939 auf beiden Seiten mit
großer Brutalität geführt wurde, besteht kein Zweifel, wenn auch die Zahl
der zivilen Opfer ungleich hoch ist: 50.000 bis 60.000 von
republikanischer, 110.000 bis 130.000 von faschistischer Hand. Vor allem
aber: Nach dem Sieg Francos setzte sich die mörderische Repression fort,
die oft genug auch völlig Unschuldige traf.
## Eine wahre Begebenheit
Verscharrt wurden sie in Massengräbern, deren Öffnung gegen den Widerstand
konservativer Kräfte erst 2007 im „Gesetz zur historischen Erinnerung“
legalisiert wurde. Allerdings bleibt es Einzelpersonen überlassen, hier
jeweils die Initiative zu ergreifen.
Was dies bedeutet, führt der Comic am Beispiel der damals über 80-jährigen
Josefa Celda vor, der es 2013 nach einem zweijährigen und überaus
hartnäckigen Kampf gegen bürokratische und private Widerstände gelang, auf
dem Friedhof von Paterna, einer kleinen Stadt in der Provinz Valencia, das
Skelett ihres 1940 nach einem Scheinprozess erschossenen Vaters José
identifizieren zu lassen.
Dass dies möglich war, verdankte sich nicht nur einer DNA-Analyse, sondern
auch einem dem Toten beigefügten Apothekerfläschchen, in dem sich ein
Zettel mit seinem Namen befand. Eine kaum glaubliche Geschichte, ein
Zeugnis unbeirrbarer Humanität in finsterer Zeit: Leoncio Badía Navarro,
der Totengräber, war ein Republikaner, der gezwungen wurde, „seine Leute“ …
wie man sie nannte – unter die Erde zu bringen.
Von jedem der über 2 000 Opfer in Paterna aber hob er für deren Familien
ein Andenken auf: eine Haarsträhne etwa oder ein Stück Stoff. Zudem fügte
er eines jener Fläschchen hinzu, in der Hoffnung, eines fernen Tages werde
sie jemand öffnen.
## Nichts wird vergessen
„Der Abgrund des Vergessens“, im Wechsel zwischen Vergangenheit und
Gegenwart von Terrasa souverän erzählt, ist ein würdiger Nachfolger von
„Der Winter des Zeichners“ (2010), „Die Heimatlosen“ (2013) und
[1][„Rückkehr nach Eden“ (2021)], in denen Roca sich bereits mit
Bürgerkrieg und Franquismus auseinandergesetzt hat. [2][Zeichnerisch ist er
der Ligne claire] verpflichtet; ungeachtet ihrer dramatischen Inhalte
strahlen seine Bilder stets eine gewisse Ruhe und Gefasstheit aus.
Anders als sonst kreiert er hier keine ungewöhnlichen, innovativen
Seitenkompositionen. Stattdessen reiht er öfters Panels aneinander, die
sich nur durch die Mimik und Gestik der Personen unterscheiden und so den
Blick kunstvoll auf deren Emotionen konzentrieren.
War der Spanische Bürgerkrieg ein Vorspiel des Zweiten Weltkriegs, so führt
„Die letzte Einstellung“ an dessen Ende, ins Berlin der Jahre 1944 und
1945. Heinz Hoffmann ist ein in der Weimarer Republik erfolgreicher Autor,
der aber seit der „Machtergreifung“ nicht mehr publizieren darf und
zurückgezogen ein recht ärmliches Leben führt.
Ausgebombt sucht er Unterschlupf bei Erika Harms, mit der er Jahre zuvor
eine Affäre hatte. Erika ist Produktionsassistentin bei der Ufa und
beteiligt an „Das Leben geht weiter“, einem kostspieligen Film, in dem
sich, auf direktes Geheiß des Propagandaministers, eine Schilderung des
schwierigen Großstadtlebens im Krieg mit Durchhalteparolen verbinden soll.
Da es Probleme mit dem Drehbuch gibt, regt Erika an, Heinz einspringen zu
lassen – selbstverständlich anonym.
## Reale Personen
„Die letzte Einstellung“ ist eine gelungene Mischung von Erfundenem und
Geschehenem. Vorbild für Heinz Hoffmann ist Erich Kästner, der unter
Pseudonym ebenfalls für eine Großproduktion schrieb, für das
Hans-Albers-Vehikel „Münchhausen“ (1943).
Die meisten weiteren Figuren, die auftreten – Schauspielerinnen und
Schauspieler, Beschäftigte der Filmindustrie – sind reale Personen. „Das
Leben geht weiter“, nicht fertiggestellt und leider verschollen, gilt als
einer der letzten Filme des „Dritten Reichs“. Wolfgang Liebeneiner, der
Regisseur, konnte trotz seiner führenden Positionen im NS-Kulturbetrieb
seine Karriere nach 1945 problemlos fortsetzen.
Wie der letzte Band [3][von Jason Lutes „Berlin“-Trilogie] (2000 bis 2018)
und [4][Barbara Yelins] „Irmina“ (2015) besticht „Die letzte Einstellung�…
durch die genaue, klischeefreie Darstellung des Lebens im „Dritten Reich“.
Kreitz schildert eine graubraune Welt, in der es weder Helden des
Widerstands noch fanatische Nazis gibt. Man macht mit oder gibt vor, nur
der Kunst zu dienen, glaubt es vielleicht sogar – und überleben muss man ja
auch irgendwie.
Als Heinz wegen Mangelernährung ein Zahn ausfällt, weist Erika ihn
lakonisch darauf hin, dass Ufa-Angestellte eine „Schwerarbeiterzulage“
erhalten. Das Grauen der Zeit hält Kreitz dennoch unterschwellig präsent:
Wenn als Komparsen verpflichtete Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter sich zur
Vorbereitung einer Massenszene ihrer Kleider entledigen müssen, ist es
unmöglich, nicht an Auschwitz zu denken.
Wie niemand sonst in der deutschsprachigen Comicszene kultiviert [5][Isabel
Kreitz] eine naturalistische Darstellungsweise. Das ist handwerklich
perfekt gemacht, gerade im Detailreichtum von Panoramabildern, hat aber
auch etwas Altmeisterliches, das man als rückwärtsgewandt, als aus der Zeit
gefallen empfinden kann. Unbestreitbar ist ihr Talent für lebensnahe
Dialoge.
So verhöhnt eine Nazi-Schranze Heinz Hoffmann, der unter Berufung auf einen
„Staatsauftrag“ gegen seine Verhaftung protestiert, mit dem Satz: „Da werd
ich wohl gleich mal den Minister anrufen, um Zeit zu sparen!“ Ein Satz
genügt, und schon ist eine Figur in ihrer ganzen Niedertracht
charakterisiert.
25 Jul 2025
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## AUTOREN
Christoph Haas
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