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# taz.de -- Berliner Nachtleben: Ausgenörgelt
> Anwohner:innen in Partykiezen müssen im Zweifel auch nachts Lärm
> hinnehmen. Das hat ein Gericht entschieden. Für viele Clubs kommt das
> Urteil zu spät.
Bild: Rauchen und saufen vor der Bar jetzt auch wieder nachts erlaubt: das „S…
Berlin taz | Erst wenn der letzte Club vergrault, der letzte Biergarten
geschlossen, die letzte Kneipe herausgeklagt ist, werden viele merken, dass
Berlin nicht mehr der Ort ist, für den sie irgendwann mal hergezogen sind.
Ob in Friedrichshain, Kreuzberg, Prenzlauer Berg und anderswo: Nicht eben
selten sind es zugezogene Anwohner:innen selbst, die dem Nachtleben den
Garaus machen.
Fast immer geht es dabei um nächtlichen Lärm. Es wird geklagt, sich
beschwert, das Ordnungsamt in die Spur geschickt. Bis Ruhe in der
Partykiste ist.
Das Verwaltungsgericht Berlin hat jetzt in einem Eilverfahren entschieden,
dass Außengastronomie Teil einer über Jahre gewachsenen Ausgehkultur in
vielen Kiezen ist, [1][den tatsächlich oder vermeintlich lärmempfindliche
Anwohner:innen im Zweifel auch nachts hinnehmen müssen]. Zuerst hatte
der Tagesspiegel berichtet.
Im konkreten Fall hatte sich der Betreiber der Bar „Schwarzsauer“ in
Prenzlauer Berg gegen eine vom Bezirksamt Pankow angeordnete „Sperrzeit“
gewehrt. Seit Ende vergangenen Jahres durften vor der Bar in der
Kastanienallee ab 22.30 Uhr „keine Tische, Sitzgelegenheiten oder sonstige
Verweilmöglichkeiten vorgehalten werden“.
## Beschweren, bis das Ordnungsamt springt
Auch hier ging die Anordnung des Bezirksamts auf Beschwerden aus der
Nachbarschaft zurück. Genauer: auf die eines einzigen Anwohners. Der wohnt
zwar gut 100 Meter vom „Schwarzsauer“ entfernt, in einer Seitenstraße. Das
hielt ihn aber nicht davon ab, gegen den nächtlichen Lärm zu Felde zu
ziehen. Das Ordnungsamt in Pankow sprang artig über das Stöckchen.
Nun sagt das Gericht: Der nicht mal in Sichtweite lebende Anwohner sei von
dem Barbetrieb „nicht qualifiziert betroffen“, er könne „von deren
Emissionen nicht gestört werden“. Daher sei auch die vom Bezirksamt
angeordnete Beschränkung unzulässig. Es brauche schon eine nachvollziehbar
größere Gruppe von Anwohner:innen, die sich durch die Geräuschkulisse
gestört fühlen.
In der Begründung geht das Gericht aber noch weiter. Ein Kiez in der
Innenstadt, heißt es hier, könne nun mal nicht „die von seinen Bewohnenden
geschätzten Vorteile der kurzen Wege und vielfältigen Angebote ohne die
damit zwingend einhergehenden Emissionen bieten“.
Bei nächtlichem Lärm handele es sich daher „um für innenstädtische
Verhältnisse, zumal in Berlin, typische Belastungen“. Ein „ausgeprägtes
außengastronomisches Angebot bis weit nach 22 Uhr“ stelle in vielen
Ausgehkiezen Berlins sogar „den sozialen Standard“ dar.
## Urteil mit berlinweiter Bedeutung
Das gelte für die Kastanienallee ebenso wie für [2][die Simon-Dach-Straße
in Friedrichshain], den Mehringdamm in Kreuzberg oder die Weserstraße in
Neukölln. Eine kleine Erinnerungshilfe für viele Dauerbeschwerer:innen in
der Nachbarschaft liefert das Gericht gleich mit. So stellt es fest, dass
diejenigen, die dort in den letzten Jahrzehnten hingezogen sind, dies „in
Kenntnis der besonderen Gemenge- und Immissionslage in einer
hochverdichteten Innenstadt“ taten.
Für viele Kneipen, Bars und Clubs, die in den vergangenen Jahren und
Jahrzehnten eben nicht nur [3][von hohen Mieten und gestiegenen
Betriebskosten], sondern auch von klagewütigen Anwohner:innen in die
Knie gezwungen wurden und schließen mussten, kommt der Beschluss zweifellos
zu spät. Aber ist er wenigstens die Rettung für die verbliebenen
Amüsierbetriebe? Heißt es jetzt: Feiern ohne Auflagen und bis zum Umfallen?
Vermutlich nicht.
Auch wie die Behörden mit dem Urteil zum Einzelfall „Schwarzsauer“ umgehen,
ist noch unklar. Das Bezirksamt Pankow etwa will sich zu den Konsequenzen
des Urteils aktuell nicht äußern, die zuständige Stadträtin ist im Urlaub.
In Friedrichshain-Kreuzberg wiederum erkennt das Bezirksamt in dem
Beschluss zwar „rein rechtlich nicht viel Neues“. Bemerkenswert sei aber,
dass er „tendenziell zugunsten der Gaststätten-Betreiber:innen und zulasten
Anwohnender“ gehe. Das könnte „künftig zu beachten sein“, teilt das
Bezirksamt zurückhaltend mit.
## Zustimmung bei den Grünen, Skepsis bei der Linken
Auch wenn es sich zunächst nur um eine Einzelfallentscheidung handelt:
Julian Schwarze sieht das Urteil weitaus positiver. Der Sprecher für
Clubkultur der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus sieht darin vor allem
eine Stärkung gewachsener Kiezstrukturen. „Kieze leben von ihrer Vielfalt,
dazu gehört auch das Nachtleben“, sagt Schwarze zur taz. Es sei absolut
begrüßenswert, dass künftig nicht mehr eine Einzelperson die Nachbarschaft
„nach ihrem Willen verändern kann“.
Zweifel kommen dagegen von der Linken. Gerade in Partykiezen sei die
Belastung für Anwohner:innen nun mal besonders groß, das müsse
berücksichtigt werden. „Berlin ist eben nicht nur eine Stadt, die niemals
schläft, sondern eben auch eine Stadt, in der die Menschen schlafen
wollen“, sagt Niklas Schenker, der clubpolitische Sprecher der
Linksfraktion, zur taz.
Es sei zwar gut für Bars und Clubs, dass sie sich in Zukunft auf den
Gerichtsbeschluss beziehen können, um gegen rigide Vorgaben der Ämter
vorzugehen, so Schenker weiter. Nur dürfe man dabei die Anwohner:innen
nicht komplett aus dem Blick verlieren.
31 Jul 2025
## LINKS
[1] /Aerger-um-Clublaerm-in-Berlin/!5524301
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## AUTOREN
Anselm Mathieu
Rainer Rutz
## TAGS
Verwaltungsgericht
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