# taz.de -- Êzîdische Familie in Irak abgeschoben: Zurück ins Land des Verbr… | |
> 2014 verübte der IS im Irak einen Genozid an den Êzîd*innen. Nun wurden | |
> erneut Überlebende abgeschoben – Minuten bevor eine Richterin dies | |
> verhindert hätte. | |
Bild: Geburtstagsfeier für eine der Töchter der Familie Qasim | |
Berlin taz | „Ich glaube nicht, dass es meiner Schwester und ihrer Familie | |
schlechter gehen könnte“, sagt Amer Faris. Der 23-Jährige Êzîde lebt in | |
Hamburg, er ist 2016 nach Deutschland gekommen und erhielt Asyl. Ganz | |
anders seine Schwester und ihre Familie: Sie kamen 2022, doch ihr | |
Asylantrag wurde abgelehnt. Am Dienstag wurden sie abgeschoben, zurück in | |
den Irak. | |
Jetzt befinden sie sich in Bagdad, in der Nähe des Flughafens, und stehen | |
unter Schock, wie Faris erzählt. „Es macht mich zutiefst wütend und | |
fassungslos, dass eine bestens integrierte Familie mit vier Minderjährigen | |
abgeschoben wurde“, sagt er. | |
Und die Umstände der Abschiebung sind tatsächlich mehr als fragwürdig. Die | |
Familie Qasim kam 2022 aus dem Nord-Irak nach Deutschland. Ihr Asylantrag | |
wurde vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) als | |
„offensichtlich unbegründet“ abgelehnt, es bestehe keine ernste Gefahr im | |
Herkunftsland. | |
Dabei haben die Qasims [1][im Irak einen Genozid überlebt]. 2014 überranten | |
die Islamisten des sogenannten Islamischen Staats große Teile Syriens und | |
des Iraks. Sie errichteten ein Terrorregime, unterdrückten Frauen brutal. | |
Und sie verfolgten die kleine religiöse Minderheit der Êzîd*innen | |
systematisch. Bis zu 10.000 von ihnen wurden damals ermordet. Tausende | |
weiterer Frauen und Kinder wurden vergewaltigt, verschleppt, versklavt. | |
## „Noch immer zerstört“ | |
„Einen Asylantrag von Menschen, die einen Genozid überlebt haben und deren | |
Herkunftsregion immer noch zerstört ist, kann man nicht mit guten | |
Argumenten als offensichtlich unbegründet ablehnen“, sagt Kareba Hagemann, | |
die Rechtsanwältin der Familie. | |
Hagemann versuchte erfolglos, die Ablehnung anzufechten. Um die drohende | |
Ausreisepflicht auszusetzen, stellte sie einen Eilantrag, der abgelehnt | |
wurde. Und auch ein Antrag bei der Härtefallkommission Brandenburgs blieb | |
erfolglos. Noch einen weiteren Eilantrag stellte die Anwältin dann vor | |
wenigen Tagen. Er hätte die Qasims vor der Abschiebung bewahren können. | |
Doch so lange wartet die Polizei nicht. | |
Montagnacht standen die Beamten bei Familie Qasim in der Wohnung im | |
brandenburgischen Lychen. Erst am Dienstagmorgen, kurz vor der Abschiebung, | |
konnten sie einen Anruf bei ihrer Anwältin tätigen, wie diese berichtet. | |
Hagemann nahm Kontakt zu der Richterin auf, die für den Eilantrag zuständig | |
war. Die Richterin selbst versuchte, die Abschiebung zu stoppen. Zu spät. | |
„Um 10.48 Uhr hat die Richterin mit der Rechtsabteilung der zentralen | |
Ausländerbehörde Brandenburg gesprochen und um 10.52 Uhr ist der Flieger | |
gestartet“, berichtet Hagemann. Es handelte sich um Minuten. „Hätte die | |
Familie eine Chance gehabt, uns unmittelbar nach der Abholung zu | |
kontaktieren, hätte diese Abschiebung sehr wahrscheinlich so nicht | |
durchgeführt werden können“, sagt sie. | |
Der Fall ist nun rechtlich umstritten. Da der Flieger schon abgehoben war, | |
habe man nichts mehr tun können, verteidige sich die Zentrale | |
Ausländerbehörde der Anwältin Hagemann zufolge. Auf Anfrage der taz äußerte | |
sich die Behörde bis Redaktionsschluss nicht. Hagemann räumt ein: „Ein | |
Versagen von behördlicher oder juristischer Seite sehe ich nicht.“ Es seien | |
„einfach sehr unglückliche Zufälle zusammengelaufen“, so die Anwältin. | |
## „Ein klares Schutzversprechen“ | |
Der Bruder der Abgeschobenen, Amer Faris, findet: „Was hier geschehen ist, | |
widerspricht jeder Menschlichkeit, Rechtsstaatlichkeit und | |
Schutzverantwortung.“ Der Deutsche Bundestag habe [2][mit der offiziellen | |
Anerkennung des Genozids an der êzîdischen Gemeinschaft] ein klares | |
Schutzversprechen gegeben. „Doch aktuell fühlt sich das für mich wie eine | |
bloße Floskel an“, sagt Faris. | |
Zumindest bei einigen in der Politik sorgt die Abschiebung für Entsetzen. | |
„Dass in Brandenburg eine êzîdische Familie abgeschoben wurde, obwohl die | |
Lage im Irak für diese besonders gefährdete Minderheit weiterhin kritisch | |
ist, macht fassungslos“, sagt Derya Türk-Nachbaur, Parlamentarische | |
Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion der taz. Sie fordert eine | |
schnelle Prüfung, „ob und wie diese Familie zurückgeholt werden kann“. | |
Der [3][menschenrechtspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Max Lucks], | |
fordert personelle Konsequenzen: Mit der Abschiebung breche das Bamf einmal | |
mehr mit der Rechtsstaatlichkeit, sagt Lucks der taz. „Hans-Eckhard Sommer | |
ist als Bamf-Chef nicht länger tragbar.“ | |
24 Jul 2025 | |
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## AUTOREN | |
Clarissa Hofmann | |
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