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# taz.de -- Philosoph über globale Gerechtigkeit: „Wir haben eine goldene M�…
> Weltweit sinken Budgets für Entwicklungszusammenarbeit. Yale-Professor
> Thomas Pogge sagt: Es gibt Potenzial für eine Gegenbewegung.
Bild: Schulspeisungen in Ghana, betroffen von Trumps manischer Außenpolitik
taz: Herr Pogge, Sie sagen, 2025 sei besonders wichtig, um Fortschritte bei
der globalen Gerechtigkeit zu machen. Dafür haben Sie sich sogar ein
Sabbatical von der Yale Universität genommen. Warum ausgerechnet dieses
Jahr?
Pogge: Wir haben eine goldene Möglichkeit, wirklich etwas zu erreichen. Die
Präsidentschaft der Klimakonferenz hat dieses Jahr Brasilien, das sind
progressive, aktive, wirklich gute Leute. Und Südafrika hat den Vorsitz der
G20, die sind ein bisschen schläfrig. Aber es ist immerhin ein einigermaßen
progressives Land. Der andere positive Faktor ist Trump, witzigerweise. Er
hat es vermocht, sehr viele Leute gegen sich aufzubringen. Manche folgen
seinem Beispiel und sagen, jetzt werden wir auch egoistisch. Aber viele
Länder wollen eine regelbasierte Ordnung, Multilateralismus, mit dem
Versuch, globale öffentliche Güter bereitzustellen.
taz: Was ist Ihr Ziel?
Pogge: Wir brauchen eine konkrete Veränderung, die man vor Ort spürt. Zum
Beispiel ein Programm, das Schulmahlzeiten für jedes bedürftige Schulkind
auf der Welt sichert. Das würde einen Riesenunterschied machen sowohl für
die Ernährungssicherheit armer Menschen als auch für die Bildung. Eltern
würden dazu motiviert werden, ihre Kinder zur Schule zu schicken für eine
gesunde Mahlzeit, anstatt sie etwa auf dem Feld arbeiten zu lassen.
taz: Wie wollen Sie das umsetzen?
Pogge: Das lässt sich mit einem einstelligen Milliardenbetrag auf den Weg
bringen und es hätte das Potenzial, Länder, die im Moment ziemlich
verfeindet sind, wieder zusammenzubringen. Ich denke insbesondere an China.
China ist ein sehr starkes Land, ein sehr innovatives Land, das große
Geldbeträge auszugeben bereit ist für die Entwicklung der Welt. Es wäre
viel besser, wenn wir das multilateral einbinden könnten.
taz: Bei den G20 sind die USA ja noch dabei. Kann man das an ihnen vorbei
durchsetzen?
Pogge: Ja, es ist ja freiwillig. Man kann niemanden dazu zwingen, sich für
Schulmahlzeiten einzusetzen. Einige Staaten werden außen vor bleiben, und
die kommen vielleicht später dazu oder auch nicht. Aber [1][der Betrag ist
minimal]. Wenn die Hälfte der OECD Länder beitrügen, läge der deutsche
Anteil bei etwa 15 Prozent. Bei 8 oder 9 Milliarden Euro Kosten sind das
1,3 Milliarden, also 15 Euro pro Jahr oder 4 Cent pro Tag pro Einwohner, um
40 Prozent der Kosten zu subventionieren. Und dafür hätten fast alle
bedürftigen Kinder der Welt eine gesunde Mahlzeit an jedem Schultag. Wer
würde da sagen, nein, ich will lieber meine 15 Euro haben?
taz: Das heißt, Sie glauben, dass dieser Ruf nach globaler Gerechtigkeit
auch auf Zustimmung in der Bevölkerung treffen wird?
Pogge: Weiß ich nicht. Die Politiker sagen immer, oh, das würden die Wähler
nie akzeptieren. Aber richtig versucht hat es ja keiner. Die Menschen
entscheiden es ja nicht, sondern die Politiker. Und wenn man mit den
Politikern spricht, ganz egal, welcher Partei, sagen die: um Gottes willen,
über 1 Milliarde! Aber wenn Covid ausbricht oder wir das Militär beheizen
wollen, dann sind Hunderte von Milliarden gerade gut genug.
taz: Die CDU forderte im Wahlkampf zum Beispiel, deutlich weniger Geld für
Entwicklungszusammenarbeit auszugeben, geschadet hat es ihnen nicht.
Globale Gerechtigkeit scheint wenige Menschen zu interessieren.
Pogge: Das ist moralisch falsch. Wir haben die Spielregeln der
internationalen Wirtschaft zu unseren Gunsten eingerichtet. Wir müssen
versuchen, diese Spielregeln gerechter zu gestalten. Wenigstens müssen wir
deren Ungerechtigkeit wieder ausgleichen, die uns nützt und vielen anderen
im Globalen Süden schadet.
taz: Zum Beispiel?
Pogge: Ich habe mich unter anderem auf Patentrechte spezialisiert. Wir im
Globalen Norden haben einen Innovationsvorsprung, sei es in der Medizin,
sei es in grünen Technologien, sei es in Landwirtschaft oder auch
Entertainment. Und dann sagen wir: Wir sind zuerst angekommen, also müsst
ihr uns jetzt dafür bezahlen, dass ihr diese Erfindungen auch benutzen
dürft. Deswegen gibt es einen riesigen Geldstrom vom Süden in den Norden,
der einfach nur die Patentinhaber bedient.
taz: Was bedeutet das konkret?
Pogge: Im Jahr 2013 kam ein Medikament gegen Hepatitis C auf den Markt,
Sofosbuvir, Markenname Sovaldi, entwickelt von Gilead Sciences.
Funktioniert wunderbar. 84-mal die Pille nehmen, dann ist man gesund. Damit
hätte man Hepatitis C ausrotten können. Hat Gilead Sciences aber nicht
getan, sondern [2][sie haben das zu einem hohen Preis an reiche Leute
verkauft]. Und selbst sieben Jahre nach Einführung des Medikaments
[3][hatten gerade mal 7 Prozent der Hepatitis-C-positiven Menschen dieses
Medikament erhalten]. Die anderen 93 Prozent bleiben krank. Die Krankheit
bleibt und entwickelt sich weiter. Sie kann irgendwann eine Resistenz gegen
dieses Medikament ausbilden und dann jeden gefährden.
taz: Wie kann man das ändern?
Pogge: Ich plädiere seit Jahren dafür, dass man die Patentrechte zum Teil
durch Wirkungsprämien ersetzt. Wenn Unternehmen ein neues Medikament auf
den Markt bringen, dann bezahlen wir sie für die Gesundheitsgewinne, die
entstehen, egal wo und egal für wen, auch für arme Leute.
taz: Das heißt, die Prämie wird größer, je mehr Menschen geholfen wird.
Pogge: Je mehr Menschen, und je mehr ihnen geholfen wird. Auch die
sekundären Effekte von Medikamenten würden miteinbezogen werden. Damit
meine ich zum Beispiel, dass Menschen, die dieses Medikament bekommen, ja
niemand anderen anstecken. Das wird im gegenwärtigen System so gut wie gar
nicht honoriert. Heute entstehen neue Krankheiten, neue Stämme von
Krankheiten und Arzneimittelresistenzen vor allem in den ärmeren
Weltregionen. Das würde weitgehend wegfallen.
taz: Warum sollten sich die Unternehmen darauf einlassen?
Pogge: Teilnahme ist freiwillig. Unternehmen haben, bei jedem ihrer
innovativen Produkte, die freie Wahl, ob sie ihre Patentprivilegien
ausschöpfen oder stattdessen Wirkungsprämien beanspruchen wollen. Ein
Unternehmen wird ein Produkt nur dann anmelden, wenn es sich von
Wirkungsprämien höhere Gewinne als von Monopolrenten verspricht.
taz: Wie wollen Sie das gewährleisten?
Pogge: Der Fonds schüttet jedes Jahr einen festen Prämienbetrag aus. Wenn
nur wenige Produkte teilnehmen, ergeben sich hohe Wirkungsprämien, die
zusätzliche Produktmeldungen motivieren. Umgekehrt würde auch ein
unattraktiv niedriger Prämiensatz schnell korrigiert, weil weniger Firmen
Produkte melden. Diese Selbstregulierung stellt sicher, dass Firmen mit
manchen Produkten mehr verdienen könnten als heute auf der Patentschiene.
Hinzu kommt, dass sie profitabel zusätzliche Medikamente auf den Markt
bringen könnten, die sich heute nicht lohnen. Insbesondere gegen
Infektionskrankheiten – das hat einen hohen Nutzen für Unbehandelte – und
gegen Krankheiten der Armen, die keinen hohen Aufpreis zahlen können.
28 Aug 2025
## LINKS
[1] https://media.odi.org/documents/ODI_School_feeding_and_the_SDGs_Jan25.pdf
[2] https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33251019/
[3] https://chai19.wpenginepowered.com/wp-content/uploads/2020/05/Hepatitis-C-M…
## AUTOREN
Jonas Waack
## TAGS
Globaler Süden
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