# taz.de -- Aids, Tuberkulose und Malaria: „Wir laufen Gefahr, die Kontrolle … | |
> Kürzungen bei globaler Gesundheit kosten Menschenleben, sagt Peter Sands, | |
> Chef vom Globalen Fonds. Ein neues Mittel könnte die HIV-Pandemie | |
> beenden. | |
Bild: Auch solche Moskitonetze finanziert der Globale Fonds: Mutter mit ihrem B… | |
taz: Herr Sands, Deutschland steht kurz vor [1][Abschluss des Haushalts für | |
2025]. Darin sind 450 Millionen Euro weniger für den Globalen Fonds zur | |
Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria vorgesehen, bis 2029 soll er | |
nur noch 850 Millionen erhalten. Was bedeutet das für Ihre Arbeit? | |
Peter Sands: Wir sind uns der Haushaltszwänge der deutschen Regierung | |
bewusst. Wir hoffen jedoch, dass Deutschland den Globalen Fonds als Teil | |
seiner Führungsrolle im Bereich der globalen Gesundheit weiterhin | |
unterstützen wird. Die Finanzierung der globalen Gesundheit steht nicht nur | |
in Deutschland unter Druck, und das hat reale Konsequenzen, die | |
letztendlich Menschenleben kosten werden. Die Krankheiten, mit denen wir | |
uns im Globalen Fonds befassen – Malaria, Tuberkulose und HIV/Aids – sind | |
gewaltige Gegner. Wenn man im Kampf gegen sie nachlässt, bleiben sie nicht | |
einfach stehen, sondern breiten sich wieder aus. | |
taz: Wie haben besonders von diesen Krankheiten betroffene Staaten auf die | |
Kürzungen reagiert? | |
Sands: Einige Länder haben [2][sehr proaktiv reagiert] und ihre | |
Haushaltsprioritäten angepasst oder zum Beispiel Steuern auf Alkohol und | |
Zigaretten erhöht. Das sind gute Schritte, aber sie werden nicht | |
ausreichen, um die Lücken zu schließen, die in der globalen | |
Gesundheitsfinanzierung entstanden sind. Und es gibt Länder, die extrem arm | |
und von Konflikten zerrissen sind, wie Südsudan, Sudan oder Tschad. | |
Geberländer sagen mir, man müsse angesichts politischer und finanzieller | |
Zwänge realistisch sein, und ich verstehe das. Aber wir müssen auch | |
realistisch sein, was das Ausmaß betrifft, in dem die betroffenen Länder | |
diese Lücken tatsächlich schließen können. Und dann müssen wir realistisch | |
sein, was die epidemiologischen Folgen angeht. Und die menschlichen Folgen. | |
taz: Welche Folgen sind das? | |
Sands: Bei Malaria besteht die reale Gefahr eines Wiederauftretens. In | |
bestimmten Teilen Afrikas ist dies aufgrund einer Kombination aus | |
Konflikten, Klimawandel und unzureichender Finanzierung bereits der Fall. | |
Es handelt sich um eine Krankheit, [3][von der wir wissen, wie man sie | |
ausrotten kann], und dennoch laufen wir Gefahr, in einigen der ärmsten | |
Regionen die Kontrolle darüber zu verlieren. Die Folge davon ist, dass mehr | |
Kinder unter fünf Jahren sterben, mehr schwangere Frauen sterben. | |
taz: Wie sieht es bei Tuberkulose aus? | |
Sands: Tuberkulose ist die tödlichste Krankheit. Sie fordert jährlich etwa | |
1,3 Millionen Menschenleben. Das sind mehr Todesfälle als durch Malaria und | |
HIV/Aids zusammen. Wir haben das Jahr 2024 mit einer positiven Entwicklung | |
bei Tuberkulose abgeschlossen und hatten bessere Behandlungserfolge als je | |
zuvor. Die Frage ist, ob wir diesen Schwung beibehalten können. In Afrika | |
ist die Abhängigkeit von externen Finanzierungsquellen für Tuberkulose | |
groß, sodass ein Rückgang dieser Quellen starke Auswirkungen hat. | |
taz: Wo stehen wir bei HIV/Aids? | |
Sands: Hier gibt es eine unglaublich spannende Möglichkeit. Diese Pandemie | |
hat etwa 40 Millionen Menschen das Leben gekostet. Wir können sie nicht | |
ausrotten, aber wir können sie mit neuen Mitteln wie Lennacapavir innerhalb | |
relativ kurzer Zeit als Gefahr für die öffentliche Gesundheit beenden. | |
taz: Es gibt große Aufregung um das Mittel Lenacapavir. Warum? | |
Sands: Lenacapavir wird alle 6 Monate injiziert und schützt vor einer | |
HIV-Infektion. In den klinischen Studien war es zu fast 100 Prozent | |
wirksam, was sehr ungewöhnlich ist. Pillen zur HIV-Prävention müssen | |
täglich eingenommen werden, es ist problematisch, wenn Menschen das aus | |
verschiedenen Gründen unterbrechen. Damit ist die Wirksamkeit oraler | |
Präparate bei Weitem nicht so gut wie die von Lenacapavir. Weltweit gibt es | |
etwa 40 Millionen HIV-positive Menschen. 31 Millionen von ihnen erhalten | |
eine antiretrovirale Behandlung, und 26 Millionen davon werden auf die eine | |
oder andere Weise vom Globalen Fonds unterstützt. Diese Zahl der | |
Neuinfektionen steigt jährlich um 1,3 Millionen Menschen. Wenn wir HIV/Aids | |
besiegen wollen, müssen wir diese Zahl senken. | |
taz: Ab wann soll Lenacapavir eingesetzt werden? | |
Sands: Die Einführung soll noch Anfang 2026 stattfinden. Auch das ist | |
besonders: Lenacapavir wird fast gleichzeitig in den reichsten und ärmsten | |
Ländern der Welt eingeführt. In der Vergangenheit war es meistens so, dass | |
neue Innovationen in den reichen Ländern eingeführt werden. Und dann | |
dauerte es mehrere Jahre, bis sie in den ärmeren Ländern in großem Umfang | |
verfügbar waren. | |
taz: Wie viel zahlt der Globale Fonds pro Jahr und Person für eine | |
Behandlungsdosis mit Lenacapavir an den Hersteller Gilead? | |
Sands: Der Globale Fonds hat eine Zugangsvereinbarung mit dem Pharmakonzern | |
Gilead ausgehandelt. Der Preis darin ist vertraulich. Aber er ermöglicht es | |
uns, in großem Maßstab zu arbeiten. Und Gilead macht keine Gewinne damit. | |
Innerhalb der nächsten zwei bis drei Jahre wird das Mittel außerdem noch | |
erschwinglicher werden, da wir dann über die Kapazitäten von | |
Generikaherstellern verfügen werden. Gilead hat sich auf freiwillige | |
Lizenzvereinbarungen mit sechs Generikaherstellern eingelassen, die dieses | |
Produkt in zwei bis drei Jahren auf den Markt bringen werden. | |
taz: Der Globale Fonds wird von öffentlichen Geldern finanziert. Sollte die | |
Information über den Preis, den Sie Gilead zahlen, nicht öffentlich | |
zugänglich sein? | |
Sands: Wir bevorzugen Transparenz, aber es gibt viele wichtige Aspekte in | |
der Aushandlung dieser Vereinbarungen mit Gilead. | |
taz: Einige argumentieren, dass Länder, die nicht Teil des Abkommens sind – | |
wie Brasilien oder einige osteuropäische Länder –, größere Schwierigkeiten | |
haben werden, das Mittel zu erschwinglichen Preisen zu erhalten. | |
Sands: Jedes Mal, wenn man eine freiwillige Lizenzvereinbarung abschließt, | |
die nur einen Teil der Welt abdeckt, hat das auch Nachteile. Allerdings | |
sind die 120 abgedeckten Länder mehr als bei den meisten freiwilligen | |
Lizenzvereinbarungen. Unser Anliegen ist es, sicherzustellen, dass die | |
Menschen, die am meisten davon profitieren können, einen erschwinglichen | |
Zugang in großem Umfang erhalten. In einem Umfang, der viele Leben retten | |
und die Richtung der Pandemie insgesamt radikal verändern wird. | |
taz: Im Herbst wollen Sie die Geldgeber fragen, was sie zum nächsten Budget | |
des Globalen Fonds beitragen werden. Wie viel Geld benötigen Sie? | |
Sands: Wir haben ein Gesamtziel von 18 Milliarden Dollar festgelegt. Das | |
ist keine Schätzung dessen, was wir unserer Meinung nach bekommen werden, | |
sondern was wir benötigen. Die Zahl basiert auf zahlreichen Modellen, die | |
von unabhängigen Modellierungsexperten und technischen Partnern wie der WHO | |
und UN-Aids erstellt wurden. Es ist das Minimum, das wir benötigen, wenn | |
wir wirklich wieder auf Kurs kommen wollen, um das UN-Entwicklungsziel zur | |
Beendigung von HIV, Tuberkulose und Malaria bis 2030 zu erreichen. | |
taz: Als ehemaliger Banker bringen Sie auch ein ökonomisches Argument. | |
Jeder eingesetzte Dollar spare 19 Dollar. | |
Sands: Das wurde von unabhängigen Expert*innen berechnet und beinhaltet | |
vermiedene Gesundheitskosten bei einer Infektion, aber auch Auswirkungen | |
auf Bildung und Arbeitsproduktivität etwa. Aufgrund meiner Erfahrungen im | |
Finanzwesen weiß ich: Die beste Strategie zur Bekämpfung einer | |
Infektionskrankheit ist, so viel zu investieren, dass man die Inzidenzrate | |
senken kann. Es ist viel teurer, Infektionskrankheiten halbherzig zu | |
bekämpfen, weil man sie so nie wirklich loswird. | |
11 Sep 2025 | |
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## AUTOREN | |
Leila van Rinsum | |
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