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# taz.de -- Thomas Mann-Ausstellung in Lübeck: Ein Mann voller Brüche
> Lübeck ehrt seinen Nobelpreisträger Thomas Mann mit der Ausstellung
> „Meine Zeit“. Sie zeigt den Wandel des Schriftstellers zum Demokraten.
Bild: Hat seine Zeitgenossenschaft bewusst gelebt: Thomas Mann 1941 am Schreibt…
Zwei Nobelpreisträger stammen aus Lübeck, was für ein Schatz. [1][Willy
Brandt] wird 1971 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet, [2][Thomas
Mann] erhält bereits 1929 den Literaturnobelpreis, ausdrücklich für „Die
Buddenbrooks“. Dieser „als Familien-Saga verkleidete Gesellschaftsroman“,
so Mann über seinen Erstling, machte den am 6. Juni 1875 Geborenen mit
Mitte 20 berühmt – und Lübeck zu einem Ort der Weltliteratur.
Das Geburtshaus der Schriftstellerbrüder Heinrich und Thomas Mann in der
Breiten Straße 38 brannte 1942 ab. Eine Marmorstele markiert heute die
Stelle. Das weitgehend zerstörte Haus der Großeltern Mann in der
Mengstraße, Schauplatz der „Buddenbrooks“, wurde hingegen wiedererrichtet
und 1993 zum Museum. Doch dieses [3][„Buddenbrookhaus“ ist seit 2019 wegen
Umbaus geschlossen], voraussichtlich wird es erst 2030 wiedereröffnet. Wie
schon 2024 die [4][Ausstellung zum 100. Erscheinungsjahr von Manns „Der
Zauberberg“] ist nun auch „Meine Zeit. Thomas Mann und die Demokratie“ zum
150. Geburtstag des Schriftstellers im St.-Annen-Museum zu sehen.
Caren Heuer, Leiterin des „heimatlosen“ Buddenbrookhauses und Kuratorin der
Ausstellung, sagt, dass zunächst eine Reinszenierung der Mann’schen
Romanwelten geplant gewesen sei. Doch im März 2024 hätten sie umgesteuert.
Als Leitfaden dient nun Thomas Manns Rede „Meine Zeit“, 1950 in Chicago
gehalten. Darin berichtet er von den zahlreichen historischen Übergängen,
die er erlebte, und weiß: „Immer bleibt es gewagt, auf die besondere
historische Ergiebigkeit der eigenen Lebensspanne sich etwas zugute zu tun,
denn immer kann es noch bunter kommen, immer kommt es noch bunter.“
## Ungewöhnliche politische Wende
Wie wahr. Und so wandelt sich Manns politische Position von den
kriegsbejahenden „Betrachtungen eines Unpolitischen“ (1918) zu den
BBC-Radioansprachen an die „Deutschen Hörer“ im nationalsozialistischen
Deutschland (1940–45) grundlegend: „Ich hätte nicht leben, nicht arbeiten
können, ich wäre erstickt, ohne von Zeit zu Zeit meinem unergründlichen
Abscheu vor dem, was zu Hause in elenden Worten und elenderen Taten
geschah, unverhohlenen Ausdruck zu geben.“ Caren Heuer erläutert: „Mich
interessieren die Brüche bei Thomas Mann, die Ambivalenzen. Der Mann ist
Mitte 40, als er sich politisch um 180 Grad verändert, was untypisch ist
für seine Herkunft, sein Geschlecht und seine Generation – und deshalb
faszinierend.“
Gleichheit, Freiheit, Menschenwürde, Pressefreiheit, freie und geheime
Wahlen und Meinungsfreiheit – diese sechs Elemente demokratischer
Herrschaft verdeutlicht die Ausstellung anhand chronologisch dargebotener
Mann-Zitate.
Sie beginnt 1893 mit einem Faksimile des „Frühlingssturm“, der
Schülerzeitung mit ersten Schreibübungen des Lübecker Gymnasiasten.
Textpassagen aus Manns Schriften und Interviews sind ebenso unterhaltsam
wie informativ arrangiert, zum Teil in riesigen Lettern, auch kann man
seiner Stimme an einem Radiogerät lauschen.
In Lübeck erklärt sich Thomas Mann selbst, die Ausstellung verlässt sich
also voll auf seine Perspektive. Zwar sind in Vitrinen die Erstausgaben
seiner großen Romane zu sehen, doch liegt der Fokus auf „Thomas Manns
politischen Zeitenwenden hin zu einem überzeugten Demokraten“, wie Heuer
betont. Die Ermordung Walther Rathenaus 1922, so das Deutungsangebot, habe
Mann politisch wachgerüttelt.
Der Sohn aus wohlhabender Kaufmannsfamilie habe „die Bügelfalte zum
Kunstprinzip erhoben“, ätzte sein Schriftstellerkollege Alfred Döblin. Doch
„Meine Zeit“ verdeutlicht gerade, [5][wie unergiebig der alleinige Verweis
auf Manns privilegierte Herkunft ist]. Der Germanist Heinrich Detering
schreibt im ausgezeichneten Katalog, politischer Vielklang und
demokratische Performanz hätten das gesamte Lebenswerk Thomas Manns
imprägniert: „Sooft in diesen Romanen Figuren das Wort ergreifen, die
autoritären, ja totalitären Utopien und Dystopien anhängen, so entschieden
setzt sich im unablässigen Perspektiven- und Wortwechsel die Polyphonie des
Erzählens gegen sie durch.“
Mann verdeutlicht also die offene Gesellschaft – gegen den Willen seiner
Figuren selbst. Konsequent entlässt die klug komponierte Ausstellung,
[6][die aktuelle Thomas-Mann-Renaissance] bereichernd, die Besucher mit
einem „Zauberberg“-Satz: „Der Mensch lebt nicht nur sein persönliches Le…
als Einzelwesen, sondern, bewusst oder unbewusst, auch das seiner Epoche
und Zeitgenossenschaft.“
Es gereicht dem Lübecker Kaufmannsgeist zur Ehre, dass Niederegger dem
„hochgezüchteten Marzipan-Mann“ (Theodor Lessing) eine Dose mit
Mann-Konterfei anbietet. So ist der Weltliterat dank der gelungenen
Ausstellung und dem Naschwerk in aller Munde, wenngleich er in seiner
Vaterstadt noch auf Jahre unbehaust bleibt.
27 Jul 2025
## LINKS
[1] /Willy-Brandt/!t5031611
[2] /Thomas-Manns-150-Geburtstag/!6088764
[3] /Zukunft-des-Luebecker-Buddenbrookhauses/!5988646
[4] /100-Jahre-Der-Zauberberg/!6001543
[5] /Zum-150-Geburtstag-von-Thomas-Mann/!6089088
[6] /Thomas-Mann-als-Spielsache/!6088584
## AUTOREN
Frauke Hamann
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