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# taz.de -- Zum 150. Geburtstag von Thomas Mann: Der heimliche Außenseiter
> Zum Jubiläum wird Thomas Mann so beflissen gedacht, als könne die
> Besinnung auf ihn die gesellschaftliche Mitte zusammenhalten. Das ist
> bemerkenswert.
Bild: Nach außen stets bürgerlich-akkurat, aber dahinter: innere Dramen! Thom…
Berlin taz | Ein Kaufmannssohn. Privilegiert. Großbürgertum. Doch er will
nicht so werden wie sein nervöser, vom Pflichtbewusstsein
zusammengehaltener Vater, entdeckt die Musik und das Sehnen und stirbt
früh. Thomas Mann hat ihn erfunden, Hanno Buddenbrook heißt er.
Oder Hans Castorp. Wieder ein Kaufmannssohn. Alles in allem ein ziemlich
durchschnittlicher junger Mann, bloß etwas blässlich. Eine Karriere als
Ingenieur ist ihm vorgezeichnet. Doch in einem Sanatorium in den Bergen
wird er krank. Er bleibt dort oben, in der dünnen Luft einer moribunden
Gegenwelt, bis er dem bürgerlichen Leben im Flachland mit Beruf und
Familie, ohne es sich einzugestehen, entfremdet ist. Und bis der Erste
Weltkrieg ausbricht und sowieso alles hinwegfegt.
Die „Buddenbrooks“ [1][und „Der Zauberberg“], Manns berühmteste Romane.
Pflichtethik und Lebenskrisen. Sexualität als Versuchung und Verhängnis.
Starre Rollenmodelle, Künstlertum als Gegenmodell. Sinnsuche und
Selbstverwirklichung als Verfall und Verfeinerung zugleich.
In der Mitte des Bürgertums rumort die Unruhe. Es ist, wenn man von den
Thomas-Mann-Klischees mal einen Schritt zurücktritt, eigentlich ziemlich
bemerkenswert, dass diese so waghalsigen wie entlarvenden Bücher nicht nur
den Kanon prägten, sondern auch direkt die kulturelle DNA unserer
Gesellschaft. Aber sie taten es und tun es zum Teil noch. Der heimliche
Außenseiter, der aus der Selbstverständlichkeit Herausgefallene, das
„Sorgenkind des Lebens“ (Th. Mann) als Identifikationsangebot und
Zentralfigur – das hat Thomas Mann zwar nicht erfunden, aber feinst
ausgemalt und popularisiert. Bis heute gibt es kaum einen Familienroman,
der nicht von den „Buddenbrooks“ beeinflusst ist.
## Wie Mitte ist Thomas Mann?
Jetzt, zum 150. Geburtstag, wird seiner vielerorts so beflissen gedacht,
als könne die Besinnung auf ihn unsere gesellschaftliche Mitte
zusammenhalten. Am 6. Juni findet in Lübeck fast schon ein Staatsakt statt,
mit Bundespräsident und allem. Doch das Staatstragende ist nur eine Seite
an Mann. Die andere: In seiner Mitte, so bürgerlich sie daherkommt, ist
nichts stabil. Da sind Anstrengung und Sehnsucht, sublimierte Verzweiflung
und nur schüchternes Glück.
Seine Bücher lesend, in diesen Kathedralen der Sprache wandelnd, versteht
man denn auch, warum in der Moderne Gegenkultur und Subkultur,
Therapiegesellschaft und Kreativitätsparadigma erfunden worden sind. Es
musste irgendwann ja auch Raum geben, um Sexualität auszuleben und die
Hinterfragung vorgegebener Rollen, die in seinen Büchern ergebnislos
drängte, auch praktisch umzusetzen.
Wie Mitte ist Thomas Mann? Nach außen hin inszenierte er sich stabil, als
kultureller Repräsentant, stets in Anzug und Krawatte oder mit Fliege
(außer manchmal am Strand). Doch dahinter: innere Dramen. Neurosen.
Abhängigkeit von Zuspruch und Anerkennung. Ein ständiges Hin und Her von
Selbstbeobachtung und Bewältigung des an sich selbst Beobachteten. Und:
lebenslanger Kampf, ja Kampf, gegen die eigene Homosexualität, ausgetragen
im ehelichen Schlafzimmer und im eigenen Tagebuch. So repräsentativ er sich
gab, er war sich immer auch selbst fremd. Heimlicher Außenseiter blieb er.
Auch politische Verzweiflung trieb ihn um. Nachdem Thomas Mann sich im
Ersten Weltkrieg [2][als Reaktionär inszeniert hatte], [3][wandelte er
sich] in der Weimarer Republik erst zum Demokraten und im Zweiten Weltkrieg
dann auch zum antifaschistischen Aktivisten. Mit einer „Rhetorik des
entflammten Zorns“ (so der Mann-Forscher Dieter Borchmeyer) wandte er sich
gegen die Nazis, vom kalifornischen Exil aus in Radioansprachen.
Hoffentlich sehen die konservativen Menschen, die sich jetzt zu seinem
Geburtstag auf Thomas Mann berufen, in Zeiten der erstarkten AfD auch
diesen Aspekt: Spätestens ab 1930 war er eine leibgewordene Brandmauer.
6 Jun 2025
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## AUTOREN
Dirk Knipphals
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