# taz.de -- Staatsanwalt über überlastete Gerichte: „Das ist, salopp gesagt… | |
> Die Hamburger Staatsanwaltschaft klagt seit Jahren über Überlastung. | |
> Sebastian Koltze über neue Stellen und die Probleme, diese zu besetzen. | |
Bild: Viele Verfahren und viel zu wenig Leute, die sie durchführen: Akten in e… | |
taz: Sind Sie als Staatsanwalt selbst auch überlastet, Herr Koltze? | |
Sebastian Koltze: Die Frage kann ich so nicht beantworten. Ich habe viel zu | |
tun. | |
taz: Laut Hamburger Senat ist die Zahl der offenen Verfahren innerhalb von | |
drei Monaten um 18 Prozent auf 56.975 gestiegen. Warum sind es so viele? | |
Koltze: Darauf gibt es keine einfache Antwort. Wir haben in den letzten | |
Jahren häufig erst dann Stellen bekommen, wenn es konkrete Aufgaben zu | |
erledigen gab. Zum Beispiel bei den Encrochat-Verfahren oder im Bereich von | |
[1][Hate-Speech]. Aber allein mit dem Argument Arbeitsbelastung war in den | |
letzten Jahren nichts zu gewinnen. Und die Stellen waren dann an die | |
Bearbeitung dieser Verfahren geknüpft. Das heißt, [2][für den | |
Verfahrensstau in den allgemeinen Abteilungen] nützen sie nichts. | |
taz: Der Senat hat letztes Jahr 28 neue Stellen versprochen. Bedeutet das | |
Entwarnung? | |
Koltze: Die Wirksamkeit dieser Stellen kommt ja nicht sofort. Sie müssen | |
erst mal geschaffen werden, sie müssen besetzt werden. Und die Kolleginnen | |
und Kollegen, die dann für eine Tätigkeit gewonnen werden, müssen hier | |
ausgebildet werden. Bis eine Entlastung spürbar ist, kann sich das sechs | |
bis neun Monate hinziehen. | |
taz: Was ist aus Ihrer Sicht das das größte Problem an den unerledigten | |
Fällen? | |
Koltze: Ein Problem ist sicher, dass sich Zeuginnen und Zeugen im Verfahren | |
nicht mehr richtig erinnern können, wenn die Taten so lange zurückliegen. | |
Und ein anderes ist der Grundsatz, dass gerade bei Jugendlichen und | |
Heranwachsenden die Strafe möglichst auf dem Fuße folgen sollte. Der ist | |
dann nicht mehr gewährleistet. Und die unerledigten Verfahren machen selber | |
Arbeit. Ich bekomme als Staatsanwalt dann Sachstandsanfragen von | |
denjenigen, die Anzeige erstattet haben. Darauf hat der Bürger Anspruch und | |
er soll gerne Auskunft bekommen – es hält einen aber von der Bearbeitung | |
anderer Akten ab. | |
taz: Ein Lösungsvorschlag, den der Hamburgische Richterverein für die | |
unbesetzten Stellen gemacht hat, war schlicht ein höheres Gehalt. Das liegt | |
im Bundesvergleich im oberen Mittelfeld. Wie kommt es, dass Sie trotzdem | |
mehr Geld fordern? | |
Koltze: Wir kämpfen seit 2008 für eine höhere Besoldung. Wir sind der | |
Ansicht, und das ist auch zum Teil gerichtlich bestätigt, dass die | |
Besoldung von Richterinnen und Richtern und Staatsanwältinnen und | |
Staatsanwälten In Hamburg verfassungswidrig niedrig ist. Wir möchten | |
verfassungsgemäß besoldet werden. | |
taz: Inwiefern verfassungsgemäß? | |
Koltze: Das Grundgesetz verpflichtet den Dienstherren, also den Bund und | |
die Länder, seine Beamtinnen und Beamten ihren besonderen Aufgaben und | |
ihrer Ausbildung entsprechend zu bezahlen. Dazu haben die | |
Verwaltungsgerichte in den letzten Jahren bestimmte Kriterien, sogenannte | |
Parameter, aufgestellt. Und die werden regelmäßig von den | |
Landesbesoldungsgesetzen gerissen. Ich glaube, wir haben in Hamburg | |
eigentlich gute Startvoraussetzungen. Wir sind ein attraktiver Stadtstaat, | |
wir haben an den Gerichten und der Staatsanwaltschaft große Einheiten, in | |
denen sich vielfältige Aufgaben bieten. Die jungen Kolleginnen und Kollegen | |
sind ja häufig auf der [3][Suche nach einer Tätigkeit, die man so gerne | |
sinnstiftend nennt]. Das können wir bieten. | |
taz: Wo also ist das Problem? | |
Koltze: Wichtig ist, dass wir die jungen Kolleginnen und Kollegen weiter | |
bei uns halten, dass wir sie begeistern. Und da, glaube ich, ist noch Luft | |
nach oben. Der Stadtstaat Hamburg hat wiederum Standortnachteile, weil es | |
hier selbst für die mit der entsprechenden Besoldung ausgestatteten | |
Kolleginnen und Kollegen kaum möglich ist, eine citynahe Wohnung zu mieten | |
oder gar Eigentum zu erwerben. | |
taz: Und was ist mit Stellschrauben wie Arbeitszeitflexibilisierung und | |
Möglichkeit zum Homeoffice? | |
Koltze: Da sind wir dabei und ich glaube, dass das Faktoren von einiger | |
Wichtigkeit sind. Gerade die Möglichkeit zum Homeoffice. Da verspreche ich | |
mir einiges von der Einführung der E-Akte, die es dann also nicht mehr | |
erforderlich macht, eine Papierakte vor sich zu haben. Wir haben bereits | |
flexible Arbeitszeiten. Das reduziert sich allerdings in der Praxis durch | |
die hohe Arbeitsbelastung, die gerade bei den jüngeren Kolleginnen und | |
Kollegen bei 50 Stunden liegt. | |
taz: Es wird ja immer argumentiert, dass die besten Studierenden statt in | |
den Staatsdienst in die freie Wirtschaft gehen. Aber da arbeitet man genau | |
so viel. | |
Koltze: Aber wenn ich als junger Jurist vor der Wahl stehe, arbeite ich bei | |
der Staatsanwaltschaft 50 oder 60 Stunden und bekomme eine verhältnismäßig | |
geringe Besoldung oder gehe ich in eine Großkanzlei und bekomme für 60 | |
Stunden das Doppelte oder mehr, dann kann das manchmal schon ein | |
entscheidender Faktor sein. | |
taz: Das Argument sinnstiftend hilft da nicht? | |
Koltze: Nein, irgendwann helfen dann auch eine sinnstiftende Tätigkeit und | |
eine kollegiale Atmosphäre nicht mehr. Wir erleben auch eine höhere | |
Flexibilität der jungen Leute. Als ich Anfang der 2000er zur | |
Staatsanwaltschaft gekommen bin, war es eine Option, innerhalb der Justiz | |
oder in ein anderes Bundesland zu wechseln. Aber jetzt wechseln sie | |
komplett. | |
taz: Wohin? | |
Koltze: Ich weiß nicht, wo die Kolleginnen und Kollegen hingehen. Da fehlt | |
nach meinem Dafürhalten auch ein Stück weit das Nachfassen. Es wäre | |
möglicherweise ja auch für die Personalplanung interessant, nachzufragen: | |
Warum gehst du? Wohin gehst du? Was versprichst du dir davon? Wir haben | |
letztes Jahr das Phänomen gehabt – und das hat es nach meiner Kenntnis in | |
den letzten Jahrzehnten in Hamburg nicht gegeben –, dass uns eine | |
Oberstaatsanwältin und ein Oberstaatsanwalt verlassen haben. Wo die | |
hingegangen sind, weiß ich ziemlich genau. | |
taz: Nämlich? | |
Koltze: In Wirtschaftskanzleien. Das ist das, was man salopp Braindrain | |
nennen kann. Da geht uns Kompetenz verloren, die mühsam wiederaufgebaut | |
werden muss. | |
5 Jul 2025 | |
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## AUTOREN | |
Friederike Gräff | |
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