| # taz.de -- Geplatzte Richterinnen-Wahl: Keine Kompromisse mehr | |
| > Nach dem Eklat: Ein relevanter Teil der Union ist dabei, sich von der | |
| > Mitte zu verabschieden. Die SPD sollte nicht auf Merz vertrauen. | |
| Bild: Können sie die Regierungsmehrheit zusammenhalten? Kanzler Merz mit Finan… | |
| Nach gerade einmal zwei Monaten schwarz-roter Koalition weiß die SPD, dass | |
| sie sich auf Zusagen der Union nicht verlassen kann. Die zuerst | |
| versprochene, [1][dann doch verhinderte Wahl von Frauke Brosius-Gersdorf] | |
| zur Richterin am Bundesverfassungsgericht ist vor allem als Ausweis von | |
| schlechtem politischem Handwerk gedeutet worden. Schuld darin sollen | |
| wahlweise Jens Spahn, die Justiziare der CDU/CSU-Bundestagsfraktion oder zu | |
| wenig kompromissbereite Sozialdemokraten sein – aber allenfalls ein | |
| bisschen Bundes(außen)kanzler Friedrich Merz. All das ist nicht falsch. | |
| Aber es greift zu kurz. | |
| Zum dritten Mal binnen eines Jahres drängt sich der Eindruck auf, dass ein | |
| relevanter Teil der Union Kompromisse mit der linken Mitte des politischen | |
| Spektrums schlicht nicht will. Die im Nachhinein ebenfalls von vielen als | |
| „Unfall“ analysierte gemeinsame Abstimmung mit der AfD zum | |
| [2][„Zustrombegrenzungsgeset]z“ im Februar, die fehlenden Stimmen bei der | |
| Kanzlerwahl im Mai, nun die verweigerte Zustimmung zu einer gemeinsam von | |
| der Koalition vorgeschlagenen Richterin – alle drei Ereignisse zeigen: Wird | |
| auf X, bei Nius und in der AfD nur laut genug der Alarm gemacht, dann | |
| pfeifen hinreichend viele Christdemokraten auf Koalitionsdisziplin und | |
| parlamentarische Tradition. | |
| Vielleicht ist es deshalb gar nicht das schlechte Handwerk von Jens Spahn, | |
| das jetzt zu diesem Scheitern geführt hat? Angenommen, Spahn hat wirklich | |
| für die Wahl von Frauke Brosius-Gersdorf geworben. Und er ist schlicht an | |
| Dutzenden MdBs und Andreas-Rödder-Rechtsintellektuellen-Fans gescheitert? | |
| Dass auch einige überzeugte Katholikinnen und Katholiken in der Union | |
| Brosius-Gersdorf wegen deren Schriften zur Menschenwürde von Föten nicht | |
| wählen wollten, hat die Zahl der „Abweichler“ im konkreten Fall noch einmal | |
| vergrößert. | |
| Aus Rechts-außen-Perspektive sind diese Abgeordneten aber nicht mehr als | |
| „Beifang“. Den Hardcore-Rechten hingegen geht es nicht um Lebensschutz, | |
| nicht mal um eine zu linke Richterin – sondern um die Institution des | |
| Bundesverfassungsgerichts als solche. Diese Institution soll politisiert | |
| und damit diskreditiert werden. | |
| ## Das Erpressungspotenzial ist da | |
| Dieser relevante Teil der Union will die „Letzte Chance“ der politischen | |
| Mitte (Robin Alexander) gar nicht nutzen. Diese Menschen wollen etwas | |
| anderes. Wie genau dieses „Andere“ aussieht, wissen sie vielleicht selbst | |
| nicht. Aber irgendwie rechtsoffen, anti-„woke-links“ und ein bisschen | |
| kulturkämpferisch – das soll es sicher sein. Die Linke Heidi Reichinnek hat | |
| beim Recycling ihres „Auf die Barrikaden“-Auftritts im Bundestag vielleicht | |
| übertrieben, als sie eine nahende schwarz-blaue Koalition an die Wand | |
| malte. Aber es gibt sicher Menschen in der Union, die genau das wollen. | |
| Es wäre naiv zu glauben, dass die Untergrundströmungen im konservativen | |
| Lager einfach abreißen. Nach der Zufallsmehrheit mit der AfD in Sachen | |
| Zuwanderung hat die Union in den Koalitionsverhandlungen angeblich gelobt, | |
| dass so etwas nie wieder vorkommen werde. Im Fall Brosius-Gersdorf hat die | |
| Partei von Friedrich Merz zwar nicht die Hand mit den Rechten gehoben – | |
| aber eine nennenswerte Minderheit doch gemeinsam mit der AfD für eine | |
| negative Veto-Mehrheit gesorgt. | |
| Das Erpressungspotenzial ist also da, und zwar in fast jeder beliebigen | |
| politischen Frage. Und die Versuchung wird für viele in der Union zu groß | |
| sein, um dieses Potenzial nicht wieder und wieder zu nutzen. | |
| Disziplinierungsmacht in den eigenen Reihen hätte in dieser Frage | |
| vermutlich nur Friedrich Merz. Obwohl er mit seiner Rhetorik gegen | |
| Zuwanderer einem ideologischen Vorkämpfer der rechtskonservativen Wende | |
| glich – Merz ist in Habitus, Haltung und Wertekompass dennoch ein Kind der | |
| alten Bonner Bundesrepublik. Er will die AfD nicht; er lehnt sie ab. Die | |
| Frage ist, ob er nicht irgendwann aus Opportunismus oder weil der Druck so | |
| groß wird, den Kulturkämpfern auch in seiner Partei nachgeben wird. | |
| Die SPD sollte nicht darauf vertrauen, dass Merz qua Amtsautorität die | |
| Brandmauer aufrecht hält. Die geschwächten, aber als staatstragende | |
| Regierungspartei mittlerweile fast alternativlosen Sozialdemokraten müssen | |
| sich angesichts des Rechtsrucks auf den Wahlkampf vorbereiten, der kommen | |
| wird – nach Lage der Dinge eher früher als in erst knapp vier Jahren. | |
| In diesem nächsten Bundestagswahlkampf werden es SPD, Grüne und Linke mit | |
| einer Union zu tun bekommen, die irgendwo noch in der Mitte verharrt und | |
| sich mit Blick auf eine Post-Merz-Ära vermutlich alle Optionen offenhalten | |
| wird. Lars Klingbeil, der abgestrafte Parteichef und Mann an Merz’ Seite, | |
| wäre dabei kaum der passende Kanzlerkandidat. | |
| ## Mindestlohn reicht nicht | |
| Die neue Schlachtaufstellung sollte die SPD schon jetzt deutlich machen: | |
| Einerseits zur staatspolitischen Verantwortung und der Koalition stehen – | |
| und andererseits in inhaltlichen Fragen „hart spielen“. Und vor allem immer | |
| wieder klarmachen, wenn die Union auf Erpressung durch negative Mehrheiten | |
| von rechts setzt. Im Fall Brosius-Gersdorf heißt das: Die Richterin jetzt | |
| zurückzuziehen, würde heißen, dieser Erpressung nachzugeben. Richtig wäre | |
| das Gegenteil: Zur Kandidatin stehen – und „auf die Barrikaden“ rufen, we… | |
| die Union stur bleibt. | |
| Das wird nicht ohne Widerspruch bleiben: Die SPD schüre zu Unrecht die | |
| Angst vor Weimarer Verhältnissen, ihr falle immer nur Otto Wels als der | |
| „letzte Mann“ ein – die Argumente von politischen Gegnern und | |
| Hauptstadtjournalismus kann man sich ausmalen. | |
| Aber das ist immer noch besser, als irgendwann von einem Koalitionsbruch | |
| und einem Wahlkampf überrascht zu werden, in dem die Sozialdemokraten mal | |
| wieder honorig irgendwas zu Respekt, Rente und Mindestlohn plakatieren – | |
| und im Lärm zwischen rechten Kulturkämpfern und linken Antifa-Parolen | |
| ungehört untergehen. | |
| 15 Jul 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Martin Teigeler | |
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