# taz.de -- Verzicht auf Dating: Die Liebe, die ich habe | |
> Nach 15 Jahren Ärger und Enttäuschungen entscheidet unsere Autorin: Keine | |
> Männer mehr. Keinen Sex, keine Dates, keine Beziehung. Warum sie so | |
> glücklicher ist. | |
Noch fünf Minuten bis zur Abfahrt. Nach einer Woche Italienurlaub sitze ich | |
am Bahnhof von Verona im Zug. Die letzten Tage bin ich durch die | |
verwinkelten Gassen von Venedig geschlendert, habe in der Novembersonne | |
Cappuccino getrunken und am Gardasee Pizza Margherita gegessen. Und jetzt | |
sitze ich heulend im Großraumwagen. Nicht wegen einer | |
Post-Urlaubs-Depression, sondern wegen meiner neuen Beziehung. Nach drei | |
Monaten Dating haben wir es vor zwei Wochen offiziell gemacht, doch anstatt | |
mich wie auf Wolke sieben zu fühlen, spüre ich vor allem eins: Wut. | |
Was mein Freund spürt? Keine Ahnung, der schreibt mir mal wieder nicht. Ob | |
er mich vermisst, seitdem ich in Italien bin? Keine Ahnung, seine Gedanken | |
und Gefühle sind für mich wie eine Blackbox, sein Verhalten so | |
widersprüchlich, dass ich mich frage, ob er überhaupt mit mir zusammen sein | |
will. | |
„Warum tu ich mir das eigentlich an?“, frage ich eine Freundin am Telefon. | |
Vielleicht werde es besser, wenn ich ihm eine Ansage mache, meint sie. Bei | |
ihr habe das geklappt. Wenn er sich langfristig nicht mehr Mühe gibt, sagte | |
sie damals zu ihrem Freund, sei sie weg. Ein halbes Jahr gab sie ihm. Ich | |
gebe meinem Freund nach meiner Rückkehr vier Tage. Danach ist es vorbei. | |
Sieben Monate sind seitdem vergangen. Auf Dates war ich nicht mehr. Apps | |
wie [1][Bumble] und Hinge? Deinstalliert. Sex? Nur noch mit mir selbst. | |
Partnersuche? Ad acta gelegt. | |
Ich bin 31, heterosexuell und habe in den letzten Jahren immer wieder auf | |
Dates verzichtet – weil ich mit anderen Dingen beschäftigt war oder keinen | |
Bock hatte. Doch diesmal fühlt es sich anders an. Nicht nach einer Pause | |
oder Detox, sondern nach einem Schlussstrich. Weil es reicht. | |
Und nicht nur mir: Viele Frauen schwören aktuell den Männern ab, wie ein | |
Blick auf Instagram und Tiktok zeigt. Unter Hashtags wie #celibacy oder | |
#boysober berichten heterosexuelle Frauen von ihrer neuen Freiheit, seitdem | |
sie nicht mehr auf Dates gehen. Von erholsamerem Schlaf, der nicht von | |
Gedankenschleifen über den narzisstisch anmutenden Freund gestört wird, von | |
Urlaubstagen ohne Herzschmerz und von innerem Frieden, weil sie keine | |
Endlosnachrichten mehr in ihr Handy tippen müssen, um dem Ex sein | |
respektloses Verhalten zu spiegeln. Sie feiern ihre Freundinnen als die | |
eigentlichen Lieben in ihrem Leben und ihre Abende, die sie lieber allein | |
mit Tanzeinlagen im Wohnzimmer verbringen als mit einem weiteren Typen von | |
Bumble, der keine Fragen stellt. | |
Und sie lassen ihre Wut raus: auf Ex-Freunde, die sie erziehen mussten, auf | |
selbsternannte Feministen, die ihren Unwillen zur Verbindlichkeit in | |
intellektuellen Phrasen tarnen und auf Liebschaften, die ihnen ihre Gefühle | |
abgesprochen haben. Viele der Beiträge haben Zehntausende, manche | |
Hunderttausende Likes. In den Kommentarspalten teilen andere Frauen ihre | |
negativen Erfahrungen mit Männern, immer wieder schreiben sie: „We’re all | |
living the same life“ – Wir leben alle das gleiche Leben. | |
Als Vorbild für ihre Abkehr von den Männern sehen viele der Frauen die | |
4B-Bewegung in Südkorea, die Ende der 2010er Jahre im Kontext eines | |
Femizids entstanden ist. Gewalt gegen Frauen ist in Südkorea weit | |
verbreitet, Feministinnen riefen im Sinne des Selbstschutzes zum | |
Männerboykott auf. Der Name der Bewegung steht für die vier Dinge, die ihre | |
Anhängerinnen ablehnen: Dates mit Männern, Sex mit Männern, Ehe und | |
Mutterschaft. | |
Deutschland ist nicht Südkorea. Trotzdem übertreibe ich nicht, wenn ich | |
sage, dass es auch mir um Selbstschutz geht, wenn ich keine Männer mehr in | |
mein Liebesleben lasse. Aber von Anfang an. | |
Mit 16 Jahren habe ich mein erstes Date. Nach ein paar Monaten wird aus dem | |
Jungen in Röhrenjeans (es waren die Nullerjahre) mein erster fester Freund. | |
Unsere Beziehung ist eine Teenieromanze, wie sie im Buche steht. Doch | |
unsere Kennenlernphase davor ist ein Kampf. Tagelang warte ich, dass er auf | |
meine SMS antwortet. Einmal vergisst er unser Date, weil er verkatert ist. | |
Ein konstantes Gefühl von Unsicherheit und Ohnmacht begleitet mich in | |
diesen Wochen. Was ich damals nicht ahne: Dieses Gefühl, das sich bis heute | |
als ein dumpfes Ziehen in meiner Magengrube bemerkbar macht, wird mich | |
immer weiter begleiten. | |
Dabei gebe ich mein Bestes, die Kontrolle zurückzubekommen. Um | |
Enttäuschungen zu vermeiden, schraube ich meine Erwartungen herunter. In | |
der Hoffnung, dass ihr Interesse an mir steigt, mache ich mich Männern | |
gegenüber rar. Ich vermeide es zu fragen, ob wir inzwischen ein Paar sind, | |
und tue betont cool, wenn ich eigentlich verletzt oder wütend bin. Zu groß | |
ist die Angst, als die Frau zu gelten, die immer alles zerreden will und | |
die nicht „einfach locker daten“ kann, wie eine der Suchoptionen auf Bumble | |
heißt. Ich bin sicher: eine Forderung, eine Gefühlsbekundung zu viel, dann | |
kippt die Situation. Dann ist er weg. | |
Dass das normal ist, suggeriert mir die Popkultur. Zum Beispiel mein | |
damaliger Lieblingsfilm [2][„Eiskalte Engel“], in dem die schüchterne | |
Annette auf den Aufreißer Sebastian reinfällt, der so viel Angst vor seinen | |
Gefühlen hat, dass er Annette lieber abserviert. Oder nehmen wir | |
[3][Bridget Jones], die in „Schokolade zum Frühstück“ von ihrem | |
manipulativen Boss verarscht wird, um sich danach die Zähne an dem | |
emotional verarmten Mark Darcy auszubeißen. Selbst vermeintlich progressive | |
Formate wie [4][„Sex and the City“] machen es nicht besser. Auch hier wird | |
die alte Leier abgespult: Die Hauptfigur (Carrie) jagt einem Mann mit | |
Bindungsphobie (Mr. Big) hinterher. Carries Gespräche und all ihre Gedanken | |
kreisen um Mr. Big wie die Planeten um die Sonne. Sechs Staffeln braucht | |
es, bis er sich nach ewigem Hin und Her für Carrie entscheidet, nur um sie | |
dann im Kinofilm zur Serie am Tag der Hochzeit sitzen zu lassen. Dass | |
Carrie oder Bridget am Ende ihre Männer bekommen, zeigt mir: Wenn ich Liebe | |
will, muss ich leiden. Und die Macht über die Liebe haben die Männer. | |
So wie Carrie und Co gelitten haben, tue ich es auch. Fast jeder Mann, mit | |
dem ich zusammen bin, macht aus mir ein Nervenbündel, dem das | |
Selbstbewusstsein abhanden gekommen ist. Weil er mir tagelang nicht auf | |
meine Nachrichten antwortet, sich andere Frauen warmhält oder in seinem | |
Dating-App-Profil ein neues Foto hochgeladen hat. Wie eine | |
Dauerwerbesendung schwebt die immer gleiche Frage in meinem Kopf: Will er | |
mich oder nicht? | |
Dabei leide ich auch körperlich: Ich schlafe schlecht, esse zu wenig und | |
vernachlässige meinen Sport. Ich verschiebe Deadlines für Artikel und nehme | |
Karenztage, wenn ich zu ausgelaugt bin zum Schreiben, nachdem am Vorabend | |
ein Streit mit meinem Ex eskaliert ist, weil ich es gewagt hatte, ihn zu | |
kritisieren. Während andere wegen einer Erkältung ausfallen, sind es bei | |
mir Männer, die mich regelmäßig arbeitsunfähig machen. | |
Selbst meine Urlaube überschatten sie: In Verona weine ich nicht zum ersten | |
Mal wegen eines Typen, obwohl ich doch eigentlich chillen will. Davor weine | |
ich auf Korfu, weil der Mann, mit dem ich damals etwas habe, sich nicht | |
mehr bei mir meldet. Und ich weine an der Ostsee, weil mich Erinnerungen an | |
meine gewaltvolle Ex-Beziehung heimsuchen. Irgendwann versuche ich mein | |
Datingleben so zu timen, dass potenzieller Liebesstress nicht in meine | |
Urlaubszeiten fällt. Während ich das aufschreibe, muss ich lachen, weil es | |
zu absurd klingt, um wahr zu sein. | |
Die Ursachen für all das Drama suche ich lange Zeit bei mir. Ich zermartere | |
mir das Hirn: Bin ich bindungsunfähig? Sind meine Erwartungen zu hoch? Habe | |
ich einen Vaterkomplex oder ziehe ich unbewusst nur Arschlöcher an? Gut | |
gemeinte Anmerkungen aus meinem Umfeld wie „Vielleicht suchst du dir die | |
Falschen aus“ oder „Du willst es einfach zu sehr“ machen alles nur noch | |
schlimmer und verstärken meine Selbstzweifel zusätzlich. | |
So lange, bis der [5][Feminismus] in mein Leben kommt. Da erkenne ich, dass | |
das Patriarchat Männern ihre Verletzlichkeit und Frauen ihre Wut | |
abtrainiert. Dass wir in einer Gesellschaft leben, die Männer von | |
Care-Arbeit befreit und notorisch in Schutz nimmt, wenn sie ihre | |
Verantwortung nicht übernehmen, während sie von Frauen permanente | |
Beziehungspflege erwartet. | |
Ich lese die Zahlen: [6][Laut Bundesfamilienministerium] erlebt in | |
Deutschland etwa jede vierte Frau mindestens einmal in ihrem Leben einen | |
körperlichen oder sexualisierten Übergriff durch ihren aktuellen oder | |
Ex-Partner. Alle vier Minuten tut ein Mann seiner (Ex-)Partnerin Gewalt an. | |
[7][Und fast jeden Tag wird eine Frau getötet] – nicht selten von dem Mann, | |
der sie vermeintlich liebt. | |
Eine große [8][aktuelle Auswertung früherer Studien] durch ein | |
internationales Forscher*innenteam rund um die Psychologin Iris Wahring | |
von der Berliner Humboldt-Universität zeigt zwar, dass Frauen im Schnitt | |
von romantischen Beziehungen mit Männern profitieren, sie also zufriedener | |
und weniger depressiv sind als Single-Frauen. Allerdings profitieren Männer | |
noch mehr von diesen Beziehungen, das ergab die gleiche Auswertung. | |
Als eine mögliche Erklärung dafür nennt Wahring auf taz-Anfrage | |
Care-Arbeit: „Da in heterosexuellen Beziehungen Frauen immer noch den | |
Großteil der Care-Arbeit verrichten, kann eine Partnerschaft für Frauen | |
auch eine Mehrbelastung bedeuten. Ein Beziehungsende kann für sie demnach | |
eine Entlastung sein, während es bei Männern oft umgekehrt ist.“ | |
Welche Folgen dieses Ungleichgewicht haben kann, untersuchte eine 2025 in | |
der [9][Fachzeitschrift Archives of Sexual Behaviour] veröffentlichte | |
Studie. Laut der Autor*innen kann das hohe Maß an emotionaler Arbeit, | |
die Frauen in heterosexuellen Beziehungen oftmals leisten, nicht nur zu | |
einem höherem Stresslevel führen, sondern auch zu geringerer sexueller | |
Zufriedenheit. | |
Dass Frauen ohne Männer möglicherweise besser dran sind, legt eine | |
[10][Studie der Universität von Padua] aus dem Jahr 2016 nahe. Laut dieser | |
haben Männer nach dem Verlust der Ehepartnerin ein höheres Risiko, | |
gebrechlich zu werden, während es bei den Frauen umgekehrt ist. | |
Untersuchungen zeigen auch: Trennungen in heterosexuellen Beziehungen gehen | |
häufiger von Frauen aus und sie sind es auch, die danach lieber Single | |
bleiben. | |
Mit diesem Wissen fange ich nicht nur an, mein Liebesleben anders zu | |
betrachten. Ich höre auch meinen Freundinnen anders zu, wenn sie von ihren | |
Dates und (Ex-)Beziehungen mit Männern erzählen. Das hört sich dann oft so | |
oder so ähnlich an: | |
„Mein Ex ist psychisch krank, war aber nie in Therapie. Also musste ich | |
nach der Trennung in Therapie.“ | |
„Mein Freund kann sich nicht entschuldigen.“ | |
„Mein Ex zahlt keinen Unterhalt für unseren Sohn.“ | |
„Ich glaube, ihm ist es egal, wie ich unseren Sex finde.“ | |
„Er wollte unbedingt meine Nummer, aber hat sich danach nie gemeldet.“ | |
„Ich habe ihn gefragt, ob er mir hilft, in meiner neuen Wohnung klar Schiff | |
zu machen. Er sagte, er setze sich gerne mit einem Buch dazu und schaue mir | |
beim Putzen zu.“ | |
„Als ich ihn auf sein verletzendes Verhalten ansprach, sagte er, das | |
erinnere ihn jetzt viel zu sehr an seine Ex.“ | |
„Letzte Woche hat er gesagt, wie verliebt er in mich ist. Jetzt sind seine | |
Gefühle wieder weg.“ | |
„Mein Freund hat mich im Streit so lange festgehalten, dass ich danach ins | |
Krankenhaus musste.“ | |
„Als wir im Bett waren, habe ich mehrfach Nein gesagt, aber er hat nicht | |
aufgehört.“ | |
Sicher höre ich auch mal eine Lovestory mit Happy End, doch die meisten | |
Liebesgeschichten meiner Freundinnen sind Leidensgeschichten, die von den | |
immer gleichen Verletzungen handeln: vom Warten auf Antworten, dem Kampf um | |
Verbindlichkeit, fehlender Care-Arbeit – und von Gewalt. Ich finde mich in | |
vielen ihrer Geschichten wieder und frage mich irgendwann, ob wir alle mit | |
den selben Typen zusammen waren. | |
„Das Patriarchat hat Generationen von Männern erzeugt, die emotional | |
distanziert sind, weil ihnen seit der Kindheit beigebracht wurde, ihre | |
Emotionen zu verdrängen und der Liebe und emotionalen Nähe zu Frauen zu | |
widerstehen“, schreibt [11][die feministische Autorin Emilia Roig] in ihrem | |
Buch „Das Ende der Ehe“, in dem sie wie ich von einem latenten Gefühl | |
emotionaler Unsicherheit erzählt, das ihre romantischen Begegnungen mit | |
Männern prägte. Geht es nach Roig, verspüren Frauen einen „Durst nach | |
emotionaler Nähe, den Männer nicht befriedigen können, weil deren | |
Sozialisation ihnen das Gegenteil beibringt: emotionale Distanziertheit, | |
ein starkes Bedürfnis nach Unabhängigkeit und ein niedriges Level an | |
Engagement.“ | |
Was das für das Verhältnis zwischen Frau und Mann in der Liebe bedeutet, | |
bringt die Autorin Laura Melina Berling in ihrem Buch „Modern Heartbreak: | |
Feministischer Lieben“ auf den Punkt: „Die emotional distanziertere Person | |
hat eine größere Kontrolle über die Situation. Das Bild eines Mannes, der | |
keine Bindung braucht und viele Sexualpartnerinnen hat, gegenüber einer | |
Frau, die sich binden möchte, birgt Überlegenheit und Asymmetrie.“ | |
Dabei date ich in meinem Zwanzigern auch Männer, die nicht auf Distanz | |
bleiben. Im Gegenteil: Sie texten mich auf Whatsapp voll, drängen beim | |
Dating mit subtilen Aussagen auf den ersten Sex oder betteln danach um ein | |
weiteres Treffen, obwohl ich Nein gesagt habe. Aus ihrer anfänglichen | |
Begeisterung für mich wird Besitzanspruch. Womit wir wieder beim Thema | |
Kontrolle wären. | |
Was also, wenn das, was ich bislang für mein persönliches Pech hielt, das | |
Patriarchat ist? Wenn es nicht (nur) an mir liegt, dass ich in der Liebe so | |
leide, sondern vor allem an den Männern? Es ist ein Gedanke, der ein | |
rauschartiges Gefühl der Erleichterung in mir auslöst. | |
Nach all den verkorksten Dates und Beziehungsversuchen höre ich erstmals | |
auf, die Schuld allein bei mir zu suchen, meinem Bindungsstil oder meinen | |
Erwartungen, die mir oft als fehlende Gelassenheit ausgelegt wurden. Oder | |
wie es Brigitte Theißl [12][im feministischen Magazin] an.schläge im | |
Kontext des 4B-Trends auf Social Media formuliert: „Jedes Tiktok-Video, | |
jedes Reddit-Posting sendet nicht zuletzt die Botschaft: Nicht du | |
persönlich hast versagt, sondern Care-Arbeit auf Frauen abzuladen und sie | |
nicht einmal wertzuschätzen, hat im Patriarchat System.“ | |
Wenn ich feministisch lieben will, muss ich feministisch daten, denke ich | |
irgendwann, und treffe mich weiter mit Männern, fest entschlossen, die | |
Dinge einzufordern, die mir wichtig sind: Sprechen über Gefühle, Empathie, | |
Respekt, Fürsorglichkeit. Doch je mehr ich daraufhin für mich einstehe, | |
desto größer wird der Widerstand. Je selbstbewusster ich Grenzen ziehe oder | |
verletzendes Verhalten benenne, desto ätzender verhalten sich die Männer, | |
unter denen sich auch selbsternannte Feministen befinden. Als ich | |
Forderungen stelle, stellen sie diese in Frage. Als ich Kritik äußere, | |
lenken sie mit Gegenkritik ab. Wenn ich mich unabhängig mache, folgt die | |
Abwertung. Mein Selbstbewusstsein finden sie nur so lange sexy, bis es sich | |
gegen sie richtet. | |
Wenn ich mit meinen queeren Freund*innen zusammensitze und die einzige | |
Heteroperson am Tisch bin, kommt gern die Frage: „Und, wie scheiße ist es, | |
als Feministin auf Männer zu stehen?“ „Ziemlich scheiße“, sage ich dann… | |
lache, während mir auch ein bisschen zum Heulen zumute ist. | |
Vor einem Jahr etwa beginne ich deshalb, Frauen in den Blick zu nehmen, zu | |
denen ich mich nie körperlich hingezogen fühlte. Doch ich bin fest | |
entschlossen, meinem Schicksal im Heteropatriarchat zu entkommen. Also | |
treffe ich mich mit Anna – 33, Hydrobiologin, megacool, megaheiß. Unser | |
Date läuft super, doch ich warte vergeblich auf das Gefühl, was ich habe, | |
wenn mir ein Mann gefällt. Heute würde ich mir mehr Zeit geben, um mein | |
mögliches Begehren einer Frau gegenüber zu erkunden. Damals bin ich sicher: | |
Scheiße, ich bin hetero. Ein Jahr später lachen Anna und ich immer noch | |
über unser Fake-Date, denn inzwischen verbindet uns eine enge Freundschaft | |
– die einzige gesunde Beziehung, die eine Dating-App mir je beschert hat. | |
Einmal gebe ich einem Mann nach Anna noch eine Chance – seinetwegen finde | |
ich mich heulend am Bahnhof von Verona wieder. Seitdem halte ich nicht mehr | |
viel davon, Männer zu daten oder mit ihnen zusammen zu sein. Ein Schluss, | |
zu dem bereits der Zweite-Welle-Feminismus der 1970er Jahre kam. Die | |
Radikalfeministinnen von damals prägten den berühmten Satz „Das Private ist | |
politisch“ und kritisierten, dass Frauen in einer heterosexuellen Beziehung | |
sich niemals vom Patriarchat befreien können. | |
Es ist nicht so, dass ich denke, dass es keine Männer gibt, die Frauen auf | |
Augenhöhe lieben und wirklich Lust haben, eine Beziehung zu gestalten. Ich | |
glaube nur, dass sie eine verschwindend kleine Gruppe sind. Umso mehr | |
nerven mich heute Sätze wie „Der Richtige kommt noch“. Sie sollen mir | |
Hoffnung machen, doch stattdessen machen sie Druck – weiter zu suchen, | |
meine Anforderungen an eine Beziehung noch klarer zu machen, noch besser | |
auf frühe Warnsignale zu achten. | |
Vor jedem ersten Date, das ich zum Schluss hatte, erzählte ich meinen | |
Freundinnen von den Männern. Dabei fragte ich nicht, ob sie sie süß fanden, | |
sondern: Hast du was Schlechtes über den gehört? Ist der manipulativ? Hat | |
der ein Problem mit Gewalt? Anstatt auf der Suche nach Liebe meine Zeit | |
damit zu vergeuden, psychologische Gutachten und Führungszeugnisse von | |
Männern zu erstellen, die vielleicht ganz süß sind, richte ich meinen Blick | |
inzwischen lieber auf die Liebe, die ich schon habe. | |
Als ich im November in Verona im Zug sitze und mich trotz neuer Beziehung | |
so einsam wie lange nicht mehr fühle, fragt mich meine beste Freundin, ob | |
sie für mich einkaufen soll, damit ich nach meiner Rückkehr etwas im | |
Kühlschrank habe. Sie fragt auch, wann ich ankomme, damit sie mich vom | |
Bahnhof abholen kann. Ich weiß nicht, ob der Frust über die Lieblosigkeit | |
meines Freundes mich in diesem Moment sensibler macht oder ob sich meine | |
Freundin besonders viel Mühe gibt. Doch plötzlich umgibt mich ein tiefes | |
Gefühl der Geborgenheit, des Gesehen- und Verstandenwerdens und vor allem | |
das Gefühl, im Leben einer anderen Person wirklich Priorität zu haben. | |
Alles Dinge, die ich als Jugendliche einmal in einer eigenen Familie zu | |
finden glaubte, mit Mann und Kindern. Schon in der sechsten Klasse ging es | |
bei uns Mädchen nicht darum, ob wir einmal Kinder haben wollen, sondern | |
wann und wie viele. Erst als ich verstand, dass ich kein Kind kriegen muss, | |
erkannte ich auch, dass ich kein Kind kriegen will. Ein Fakt, der mir den | |
Ausstieg aus dem Dating deutlich leichter gemacht hat. | |
Auf Romantik muss ich seitdem nicht verzichten. Wenn meine Freundinnen und | |
ich Sprachnachrichten füreinander aufnehmen, sagen wir uns, dass wir uns | |
liebhaben und dass wir uns vermissen. Wenn wir uns sehen, machen wir uns | |
Komplimente, und manchmal auch Geschenk, einfach so. Wir sagen uns, wie | |
schön wir das letzte Treffen fanden und wie froh wir sind, uns zu kennen. | |
Wenn das nicht Romantik ist, was dann? | |
„Auch wenn es sehr schwer ist, denke ich, dass es einen großen Benefit | |
haben kann, von der großen romantischen Liebe abzurücken und Liebe anders | |
zu definieren“, sagt die Autorin Laura Melina Berling. „Das kann heißen, | |
dass man Rollenbilder hinterfragt und Liebe anders gestaltet, aber auch | |
dass man nicht mehr auf Dates geht, keine romantischen Beziehungen führt | |
und stattdessen andere Beziehungen wie Freund*innenschaften intensiver | |
lebt.“ | |
Berling wirft nicht nur in ihrem Buch „Modern Heartbreak“ einen | |
feministischen Blick auf die heterosexuelle Liebe. Auch auf Instagram macht | |
sie Ungerechtigkeiten im Dating für Frauen sichtbar, seziert in Memes die | |
Scheinheiligkeit linker Typen, die ihr mieses Verhalten gegenüber Frauen | |
mit wokem Vokabular schönreden. Zum Beispiel, in dem sie Frauen | |
Heteronormativität vorwerfen, nur weil die sich mehr Verbindlichkeit | |
gewünscht hatten. | |
In den Kommentaren unter Berlings Posts kommt von Männern immer wieder der | |
Einwand, dass auch Frauen sich im Dating unehrlich und unfair verhielten. | |
„Das stimmt auch“, sagt die 37-Jährige, „aber wir leben in einer | |
Gesellschaft, in der das Verhältnis zwischen Mann und Frau nach wie vor | |
nicht gleichwertig ist und Frauen in eine Abhängigkeit von Männern | |
hineinsozialisiert werden. Umso mehr Leid birgt dieses Machtgefälle in der | |
Liebe für sie.“ | |
Ob auch sie schon an dem Punkt war, die heterosexuelle Liebe aufzugeben? | |
„Ständig“, sagt Berling und lacht. „Aber ich hatte trotzdem immer diese | |
Sehnsucht nach einer romantischen Beziehung.“ Eine Sehnsucht, die ihrer | |
Meinung nach in feministischen Diskursen und bei aller Liebe für | |
Freund*innenschaften manchmal zu wenig Raum bekommt. „Es ist gut, wenn | |
wir uns von den Männern unabhängig machen wollen, aber das sollte nicht | |
dazu führen, dass wir gar nichts mehr fühlen und keinen Liebeskummer haben | |
dürfen, wenn es wieder mal nicht geklappt hat.“ | |
Auch mich holt nach dem Ende meiner letzten Beziehung die Traurigkeit ein. | |
Und ich erwische mich noch heute beim Tagträumen über verliebtes | |
Händchenhalten und Pärchenurlaub. Das sind Dinge, die meine Freundinnen | |
nicht ersetzen können. Aber ich brauche diese Dinge nicht, um glücklich zu | |
sein. Mit Männern, so erscheint es mir heute, bekam ich sie oft nur im | |
Tausch gegen meine psychische Gesundheit. | |
Ein schlechter Deal, den auch meine Freundin Anna (nicht die Hydrobiologin | |
von Hinge) oft eingegangen ist. Sie ist so alt wie ich und hat den Männern, | |
zufällig fast zeitgleich mit mir, ebenfalls abgeschworen. Wie es ihr | |
seitdem geht, will ich wissen, als sie sich auf meinem Balkon eine | |
Zigarette dreht. „Ich habe endlich Frieden“, sagt Anna. Ein Satz, der in | |
meinem ganzen Körper nachhallt, weil ich weiß, was sie meint. „Natürlich | |
habe ich mal Stress auf Arbeit oder so, aber ich habe nicht mehr diesen | |
Krieg.“ Mit Krieg meint sie Dating. | |
Davon war Anna schon zu Beginn unserer Freundschaft genervt. Als ich sie | |
vor zwei Jahren in einem Café kennenlernte, hatte sie nicht nur einen | |
Cappuccino vor sich, sondern auch einen Notizblock, auf dem sie einen | |
wütenden Brief an ihren Exfreund schrieb. Trotzdem träumte sie damals noch | |
davon, irgendwann einem Mann ihr Ja-Wort zu geben. Ein Traum, den sie | |
inzwischen begraben hat. | |
Dass sie einmal an diesen Punkt kommen würde, hätte sie nicht gedacht. „Es | |
ist nicht so, dass ich mich nicht über eine funktionierende Beziehung mit | |
einem Mann freuen würde. Ich bin aber nicht mehr bereit, mir von Männern | |
mein Zen nehmen zu lassen.“ Eine Einsicht, da ist sich Anna sicher, zu der | |
in Zukunft immer mehr Frauen kommen werden. | |
Und die Männer? Seit einiger Zeit beschäftigt sich das Internet aufgeregt | |
mit der Frage, ob die derzeit an einer „male loneliness epidemic“ (auf | |
Deutsch: männlichen Einsamkeitsepidemie) leiden – auch weil sie keine | |
Freundin mehr finden in einer Welt, in der Frauen ihre Ansprüche | |
hochgeschraubt haben. | |
Eine These, bei der Christoph May nur den Kopf schütteln kann. Der | |
Literaturwissenschaftler hat 2016 das Institut für Kritische | |
Männerforschung mitgegründet und berät seitdem zu Themen wie Männerbilder | |
und Kritische Männlichkeit. Dass es die „male loneliness epidemic“ gibt, | |
bezweifelt May, und verweist auf eine aktuelle Umfrage im Auftrag der | |
Bertelsmann Stiftung, laut der junge Frauen zumindest in Deutschland | |
häufiger von Einsamkeit betroffen sind als junge Männer. „In einer | |
patriarchalen Gesellschaft aber ignorieren Männer diese Fakten, rufen indes | |
eine männliche Einsamkeitsepidemie aus und fordern Mitleid, weil sie nicht | |
darüber sprechen wollen, was die eigentlichen Epidemien sind, nämlich | |
Sexismus, Misogynie und Gewalt an Frauen.“ | |
Was Frauen aktuell auf Social Media über Männer im Dating und Beziehungen | |
anprangern, findet May schockierend und augenöffnend. Wirklich überraschen | |
sollten die Berichte aber niemanden. „Dass viele Männer beim Dating | |
übergriffig sind und manipulieren, in Beziehungen den Mental Load ihrer | |
Partnerin nicht sehen und ihr die emotionale Arbeit aufdrücken: Das ist ja | |
alles nichts Neues“, sagt May. „Neu ist, dass Frauen das jetzt sichtbar | |
machen.“ | |
Durch Trends wie #boysober spürten Männer zum ersten Mal, „dass ihr | |
Verhalten Konsequenzen hat und sie für manche Frauen im Grunde keine Rolle | |
mehr spielen“. Entweder sie folgten als Trotzreaktion darauf dem Beispiel | |
von Andrew Tate, verhalten sich also erst recht mackerhaft und werten | |
Frauen ab – oder sie machten sich die Arbeit, sich mit ihrer Misogynie | |
auseinanderzusetzen. | |
Eine Auseinandersetzung, für die wir laut May auch an die Strukturen | |
ranmüssen. Er fordert feministische Bildung für Jungs von der ersten Klasse | |
an und die Bezahlung von Care-Arbeit. Darüber hinaus brauche es als | |
Gegenentwurf zum aktuellen Männlichkeitsbild mehr Männer, die im Erzieher- | |
und Pflegeberuf arbeiten und als Vorbilder auf allen Ebenen in Wirtschaft, | |
Politik, Kultur, Sport und Medien ihren Anteil der Care-Arbeit übernehmen, | |
drei Jahre in Elternzeit gehen und für die Karriere ihrer Partnerinnen ihre | |
Arbeitszeit deutlich reduzieren. | |
Er freue sich über jeden Post auf Instagram und Tiktok, in dem Frauen ihre | |
negativen Erfahrungen im Dating teilten, sagt Christoph May, betont aber: | |
„Die Verantwortung dafür, dass heterosexuelle Liebe langfristig | |
gleichberechtigter wird, liegt nicht bei den Frauen, sondern einzig und | |
allein bei den Männern.“ | |
Wenn nur ein paar von ihnen ihre Verantwortung erkennen und an sich | |
arbeiten, vielleicht ist unter diesen dann irgendwann auch einer für mich | |
dabei. Diesen Gedanken hätte mein Hirn nach den Worten von Christoph May | |
noch vor einiger Zeit produziert. Und vielleicht stimmt es ja auch. Aber | |
ich habe keine Lust mehr auf diesen Mann zu warten oder nach ihm zu suchen. | |
Stattdessen mache ich das, was sich wirklich lohnt – Urlaub mit meiner | |
besten Freundin. In ein paar Tagen fliegen wir für eine Woche nach | |
Kroatien. | |
Ich bin mir sicher: Es wird ein Urlaub ohne Tränen. | |
4 Jul 2025 | |
## LINKS | |
[1] /10-Jahre-Dating-App-Bumble/!5985455 | |
[2] /Eiskalte-Engel/!1274007/ | |
[3] /Kolumne-Trends-und-Demut/!5063683 | |
[4] /Sex-and-the-City-Reboot/!5818983 | |
[5] /Feminismus/!t5008172 | |
[6] https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/gleichstellung/frauen-vor-gewalt-schuet… | |
[7] /Schwerpunkt-Femizide/!t5514275 | |
[8] https://www.cambridge.org/core/journals/behavioral-and-brain-sciences/artic… | |
[9] https://link.springer.com/article/10.1007/s10508-024-03061-7 | |
[10] https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/26845424/ | |
[11] /Der-Hausbesuch/!5854065 | |
[12] https://anschlaege.at/dann-eben-ohne-maenner/ | |
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Laura Catoni | |
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