| # taz.de -- Berliner Modedesigner Ferhat Kartal: Die Autorität höflicher Eleg… | |
| > Was passiert, wenn man die Poesie der Muttersprache mit Textilhandwerk | |
| > verbindet? Der Designer Ferhat Kartal schafft Mode, die spricht. Ein | |
| > Besuch. | |
| Bild: „Mode ist Sprache. Sprache ist Kultur und kann vermitteln,“ sagt der … | |
| Ferhat Kartal steht in der Mitte seines Wohnateliers in einer Kreuzberger | |
| Altbauwohnung. Sonnenlichtflecken kriechen über dunkle Dielen, aus der | |
| offenen Küche donnern helle, metallisch klingende Töne, über die sich ein | |
| gepresst summendes Blasinstrument schiebt. Kartal wippt in den Knien: | |
| „Jetzt feiert sie Hochzeit!“, ruft er strahlend, rupft ein Stück | |
| Musterstoff von seinem Moodboard und beginnt in Zeitlupe zur melancholisch | |
| eingefärbten Melodie der Sängerin Zozan einen Govend – einen traditionellen | |
| kurdischen Volkstanz – zu tanzen. | |
| Erst vor wenigen Tagen ist der Modedesigner aus dem türkischen Teil | |
| Kurdistans wiedergekehrt, aus dem Heimatdorf seiner Familie ganz in der | |
| Nähe von Batman. Verwandte hat er dort besucht, den aus Rojava geflüchteten | |
| Freund Serbest Salih unterstützt, [1][der dort ein analoges Fotostudio für | |
| junge Geflüchtete als Hilfsprojekt gegründet hat] – und gearbeitet. „Ich | |
| habe einen neuen Entwurf mitgebracht, basierend auf einem Kleidungsstück, | |
| welches mir als junger Mann dort maßgeschneidert wurde, als ich zum ersten | |
| Mal Kurdistan besuchte“, erzählt Kartal: „Es hat Tage gedauert, weil ich | |
| mit anderen Silhouetten arbeite. Doch es war ein Zu-Hause-Gefühl, in meiner | |
| Muttersprache arbeiten zu können. ‚Ferhat, Tu agir i‘ auf kurmancî – | |
| Ferhat, du bist Feuer', hat der Schneider zu mir gesagt. Und ich habe | |
| geantwortet: ‚Ich liebe deine Hände. Sie sind Gold.‘ Er hat ein | |
| ausgezeichnetes Handwerk.“ | |
| In Ferhat Kartals Sprache lauern viele dieser übertrieben poetischen | |
| Superlative. Ganz selbstverständlich schwingen sie in den sonst so klaren, | |
| kühlen Sätzen, in denen die Worte warm aufleuchten, sobald sie die Menschen | |
| in seinem Leben beschreiben. | |
| ## Seine gesamte Kollektion ist unisex | |
| Der Sohn kurdischer Einwanderer wird 1978 in Celle, Niedersachsen in eine | |
| Familie mit vielen Geschwistern geboren. Die Liebe zur Sprache wird schon | |
| zuhause gepflegt – zur kurdischen und zur deutschen, wie Ferhat Kartal | |
| betont. | |
| Er wächst in Bielefeld auf, macht Fachabitur für Gestaltung, beginnt eine | |
| Schneiderlehre: „Ich hab’s geliebt! Ich hatte eine Obsession. Ich hab den | |
| Starkstrom im Keller meiner Eltern für die Nähmaschine benutzt, meine | |
| Freunde und ich – wir hatten ständig neu Kleider und Looks.“ Kartal ist | |
| getrieben von der Idee, Modedesigner zu werden. Er fährt nach London, um | |
| das Central Saint Martins College zu besichtigen, ohne Mappe und ohne Geld | |
| fürs Studium: „Ich wollte es wenigstens mal sehen.“ Kartal braucht kein | |
| Studium, der Erfolg kommt auch so. Der junge Schneider macht schnell | |
| Karriere. Er pendelt von München nach Berlin, nach Hongkong, Shanghai, | |
| Tokio, in die ganze Welt. Kartal wird führender Designer in großen | |
| deutschen Häusern. Strenesse, Escada, Iris von Arnim. | |
| Dann kommt Corona. Während die Welt stillsteht, orientiert sich Kartal neu, | |
| wie so viele. 2022 launcht er seine erste eigene Kollektion. Zunächst ohne | |
| Verkaufsabsicht. „Es war ein Experiment, ein Versuch. Es ging nicht um | |
| Profit, sondern darum, meine Arbeit mit Kultur zu verbinden.“ | |
| Über das eigene Leben und seine Entscheidungen, spricht Kartal in knappen, | |
| entschiedenen Worten, mit der Autorität höflicher Eleganz. „Es ging um eine | |
| subtile, textile Erweiterung der Sprache. Mode kann vermitteln. Meine | |
| Stücke sind mehr als nur Bekleidung. In ihnen lebt die Poesie der | |
| kurdischen Sprache.“ Das gilt teils wortwörtlich. | |
| Seine Stücke tragen Namen. „Hozan“ heißt eine weit geschnittene Hose. Auf | |
| Kurmancî – kurdisch heißt das „Intellektuelle:r, Poetin“. Ebenso wie | |
| Kartals Kollektionen kennt die kurdische Sprache bei Namen kein Gender. | |
| Seine gesamte Kollektion ist unisex. Ferhat tauft seine Modelle, beseelt | |
| sie mit den Namen seiner Familie und Freund:innen: eine weitere Hose nach | |
| dem kurdischen Freund Serbest, dessen Name Freiheit und Unabhängigkeit | |
| bedeutet, das Hemd „Demhat“ – „es ist Zeit, eine neue Epoche hat begonn… | |
| – nach einem Bruder, der Rock „Kamilla“ nach der Berliner Stylistin Kamil… | |
| Richter, sowohl beruflich als auch privat eine langjährige Begleiterin des | |
| Designers. | |
| ## Ferhat Kartal ruht in seiner Getriebenheit | |
| Die Schnitte sind ausgearbeitet, die Silhouetten geometrisch, die | |
| Materialien hochwertig. Wolle, Seide, schwere Stoffe, weiche Texturen, | |
| komplizierte Webungen. Das von Kartal verwendete Textil ist größtenteils | |
| Restbestand aus Luxus-Produktionen aus Italien, „dead stock“. Er bezieht es | |
| über seine alten Kontakte „aus der Industrie“, fertigt damit sample pieces, | |
| Beispielmodelle, an, zeigt sie in wechselnden Schauräumen. Erst wenn die | |
| Käufer:innen bestellt haben, geht die Kollektion in Produktion. Heraus | |
| kommen kleine Auflagen, auf die Körper der Kund:innen zugeschnitten, ohne | |
| Lagerkosten und überschüssige Reststücke. | |
| Auch hier: kein Platz für Zweifel. Nicht an sich selbst, nicht am Schicksal | |
| und nicht daran, dass die Formalien unwichtig sind, dass es um mehr geht, | |
| als um kommerziellen Erfolg – auch oder obwohl schon die renommierte | |
| Investorengruppe Tomorrow Group London Gespräche über das Label mit ihm | |
| sucht. | |
| Ferhat Kartal ruht in seiner Getriebenheit. Seine Entwürfe, sein System | |
| lehnen sich auf. Er folgt weder der Logik der Branche noch derjenigen der | |
| Kunst. Ferhat Kartal macht, was Ferhat Kartal macht. Alles ist Widerspruch | |
| und darin doch mit sauber gestochenen Nähten zusammengefügt. Die Mode, die | |
| Sprache, die Poesie, die Jahrhunderte alte kurdische Kultur und der drei | |
| Sekunden währende Zeitgeist der Fashionindustrie. „Ich interessiere mich | |
| nicht für aktuelle Trends. Menschen, Musik, Kunst – daraus ziehe ich meine | |
| Inspirationen“, sagt Kartal und deutet vage in Richtung eines | |
| Rupprecht-Geiger-Drucks an seiner Wand. Daneben blickt eine alte Frau von | |
| einem Foto sanft-kritisch ins Zimmer. „‚Da Seve‘ – Mutter Seve. Meine O… | |
| Sie ist immer dabei. Seve bedeutet Apfel.“ | |
| Da ist sie wieder. Kartals Wärme. Das glucksende Kippen zwischen Strenge | |
| und fast kindlicher Ausgelassenheit. Der Designer stellt eine kleine | |
| Skulptur auf den Tisch. Zwei Menschen, lang wie eine Handfläche, | |
| nebeneinander. Beide tragen die gleiche Kleidung. „Diese Skulptur habe ich | |
| in Indonesien gekauft. Es sind der König und die Königin von Timur. Später | |
| habe ich verstanden, dass sie für mich auch meine Eltern bedeuten können. | |
| Sieh, wie stark und sphärisch sie sind. Ihre gleichberechtigte Kleidung. | |
| Wir haben in Kurdistan Feminismus schon immer anders gelebt. Auch die | |
| Frauen kämpfen. Was sollen die denn auf die Männer warten? Auch das ist in | |
| meinen Designs. Der Widerstand. Der Kampf. Die kurdischen Gefühle. Die | |
| kurdische Melancholie. Ich zelebriere sie, sie bewegt und inspiriert mich.“ | |
| Etwas von diesen Worten bleibt im Raum zurück. Setzt sich fest in der | |
| Kleidung wie ein Duft. Mode kommuniziert. Mode schützt. Mode setzt Grenzen. | |
| Ein Schutzraum für die Melancholie. Ein textiles Manifest für die Freiheit | |
| der Gedanken – und der Liebe. Kartal setzt nach: „Es gibt ein Lied vom | |
| Musiker Beyto Can aus einer Zeit, in der kurdische Musik in der Türkei | |
| verboten war. ‚Her tist Vire‘. Das heißt nicht, alles ist gut, sondern | |
| alles ist hier.“ Und dann lacht Ferhat Kartal wieder. Sein lautes, raues, | |
| warmes Lachen. | |
| 1 Jul 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.instagram.com/fotohanedarkroom/?hl=de | |
| ## AUTOREN | |
| Hilka Dirks | |
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