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# taz.de -- Objekttheaterfestival in Leipzig: Vom Mut, weiter Kunst zu machen
> Beim Objekttheaterfestival „Figure it out!“ im Leipziger Westflügel wurde
> der aktuelle Stand der internationalen künstlerischen Arbeit in
> politischen Krisen gezeigt.
Bild: Die polnisch-deutsche Koproduktion „Superheroes“ beim „Figure it ou…
Leipzig taz | Drei Mädchen spielen Bierball auf der Hähnelstraße in
Leipzig-Lindenau. Sie werfen mit einer gefüllten Wasserflasche auf eine
Bierflasche, die mitten auf dem Pflaster steht. Sie treffen nicht und
lachen über sich selbst. Die Atmosphäre ist entspannt hier im Leipziger
Westen. Einfache Spiele sind noch möglich im öffentlichen Raum, denn der
Autoverkehr hält sich in Grenzen.
Dass Objekte hier ungestört durch die Gegend fliegen können, passt auch
bestens. Denn nur ein paar Schritte entfernt richtet das
[1][Figurentheaterzentrum Westflügel] die neueste Ausgabe des Festivals
„Figure it out“ aus. Auch da fliegen Objekte durch die Gegend.
Spielfiguren etwa, die die Comic-Helden Asterix und Obelix in der Show
„Superheroes“ verkörpern. In „Sesame“, einer indisch-deutschen
Koproduktion entlang der Narrengeschichten des Till Eugenspiegel, tänzeln
aus Draht gefertigte Kleinstpuppen hoch über den Köpfen des Publikums.
In „À la carte“ hingegen war es in erster Linie die Imaginationskraft des
Publikums, die Geschichten und Gegenstände über Zeiten und Orte bewegte.
Die israelische Puppenspielerin Inbal Yomtovian hatte dafür eine Karte
angefertigt, die die Umrisse aller Objekte abbildete, die sich an einem
bestimmten Tag auf ihrem Tisch befunden hatten.
Den Objekten waren Zahlen zugeordnet, die das Publikum aufrufen konnte und
die zu Geschichten führten, die mit den Objekten verbunden waren. Ein
Laptop war darunter, ein Notizheft, aber auch Schlüssel zu einer nicht mehr
existierenden Tür. Die Schlüssel führten einst in ein Haus der Großeltern
der Performerin. Es existiert schon lange nicht mehr. Aufgrund der
Erzählungen in „À la carte“ erstand es aber vor dem inneren Auge von viel…
Zuhörenden.
## Schnell mitten in der Weltpolitik
Yomtovian berichtete auch von der Plantage von Zitrusfrüchten, die einst
ihrem Vater gehörte und auf der viele Jahre lang palästinensische Arbeiter
tätig waren. Im Zuge der Hamas-Attacke verloren sie aber ihre Arbeit – und
ihr Vater die Arbeitskräfte, die die Ernte einbringen konnten. Ihr Vater
gab deshalb den Zitronen- und Orangenhain auf.
Und weil es auch anderen israelischen Landwirten so geht, weil
palästinensische Arbeiter*innen nicht mehr in gleichem Maße wie früher
als Erntehelfer tätig sein können, seien an deren Stelle nun
Arbeitsmigrant*innen aus Asien getreten, erzählte Yomtovian später der
taz. „À la carte“ begann als unschuldig wirkendes Spiel, führte aber
schnell mitten hinein in die Weltpolitik, in die verstörenden
Kriegsszenarien an vielen Orten des Globus.
Die Frage danach, wie Kunst, wie internationale künstlerische
Zusammenarbeit in Zeiten von Polarisierung und kriegerischer Konfrontation
überhaupt noch möglich ist, beschäftigte dann auch das begleitende
Symposium. „Der eigenen Fantasie vertrauen und einfach weitermachen“,
lautete der Ratschlag von Paweł Chomczyk.
Gemeinsam mit seiner Partnerin Dagmara Sowa – beiden traten auch in der
Gemeinschaftsproduktion „Superheroes“ mit dem Leipziger Figurentheaterduo
Wilde & Vogel auf – baute Chomczyk in einem Wald im Osten Polens, [2][ganz
nahe der Grenze zu Belarus], das Kunstzentrum Solniki 44 auf. Im dortigen
Wald, umgeben vom Gesang der Vögel, so nahe aber auch an einer der
europäischen Konfliktzonen der Gegenwart, dass deutschen Besuchern schon
mal die Reisewarnungen des Auswärtigen Amts in die Mobilgeräte gerieten,
vertrauen Chomczyk und Sowa eben der Kraft ihrer Fantasie.
## Das Publikum für Proteste gegen Kürzungen mobilisieren
Das gab Mut. Wie auch der Bericht der kolumbianisch-argentinischen
Künsterin Omayra Martínez Garzón. Denn als eine Strategie zur
Rechtfertigung künstlerischer Arbeit auch in Zeiten größter Krisen wiesen
mehrere Teilnehmer*innen des internationalen Symposiums auf die
Notwendigkeit hin, das eigene Publikum für Proteste gegen Kürzungen stärker
zu mobilisieren.
„In Argentinien sind die Menschen es gewohnt, gegen Maßnahmen der Regierung
auf die Straße zu gehen und zu protestieren. Mit unserem Lambe Lambe
Theater gehen wir auch zu den Leuten. Wir können uns auf Marktplätzen, vor
Kirchen, auf der Straße, überall eben aufbauen, und wir erreichen die
Menschen in ihrem Alltag“, meinte Martínez.
Diesen Sprung nach draußen muss der Westflügel noch wagen, etwa zu den
Mädchen hin, die nur ein paar Flaschenwürfe entfernt Bierball spielten.
Die internationale Vernetzung, vom indischen Bangalore über das polnische
Białystok bis hin nach Buenos Aires, ist bemerkenswert. Auch
Nachwuchsförderung, etwa durch eine Sommerakademie, gehörte zum
Festivalprogramm.
Und immerhin sehr einladend ist die Atmosphäre in dem ehemaligen Ballhaus,
das zu DDR-Zeiten eine Ofenrohrfabrik war und sich den postindustriellen
Charme der 1990er noch bewahrt hat. Hier macht sich die einzigartige
Konstellation bezahlt, dass Compagnien wie Wilde & Vogel weiterhin im Haus
produzieren, es durch ihre Projekte auch prägen, und parallel ein durch die
Stadt Leipzig und das Land Sachsen unterstütztes Gastspiel- und
Festivalprogramm möglich ist.
25 Jun 2025
## LINKS
[1] /Figurentheater-im-Westfluegel-Leipzig/!5871490
[2] /Film-ueber-polnisch-belarussische-Grenze/!5985766
## AUTOREN
Tom Mustroph
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