| # taz.de -- Konflikt zwischen Iran und Israel: Tod des Völkerrechts | |
| > Das Völkerrecht ist faktisch davon abhängig, was die Mächtigen wollen. | |
| > Die Despoten der Welt nehmen diese Doppelmoral dankend an. | |
| Bild: Ein B-2 Spirit-Tarnkappenbomber, 11. Juni 2014 | |
| Nach dem Angriff Israels auf den Iran in der Nacht zum 13. Juni 2025 – | |
| offiziell mit dem Ziel, den Bau einer iranischen Atombombe zu verhindern – | |
| dauern die Kampfhandlungen unvermindert an. Westliche Verbündete Israels, | |
| allen voran die USA, verteidigen das Vorgehen als präventive Maßnahme. Die | |
| vage Ankündigung Donald Trumps, innerhalb von zwei Wochen eine Entscheidung | |
| über ein mögliches militärisches Eingreifen zu treffen, wandelte sich nach | |
| gerade einmal zwei Tagen in vollendete Tatsachen um: Auf den Angriffskrieg | |
| Israels folgt der völkerrechtswidrige Angriff der USA auf den Iran. | |
| Die Sprache, der sich Trump sowie US-Verteidigungsminister Pete Hegseth bei | |
| der Verkündung des Angriffs bedienten, steht dem orwellschen Neusprech und | |
| der Propaganda autokratischer Regime in nichts nach: die Glorifizierung der | |
| vermeintlichen Genialität Trumps, das iranische Atomprogramm in die Knie zu | |
| zwingen – und die Einschwörung auf patriotisches Heldentum. | |
| Jetzt den Iran aufzufordern, den Frieden zu wählen, ist unglaubwürdig. Der | |
| Iran hatte mit den USA und Europa einen gültigen Atomvertrag, den Trump | |
| während seiner ersten Amtszeit 2018 einseitig aufkündigte und faktisch | |
| unbrauchbar machte – torpediert durch die Sanktionsmacht der USA. | |
| Dass Israel den Iran mitten in den jüngsten laufenden Verhandlungen mit den | |
| USA bombardiert – Gespräche, die im April 2025 unter Vermittlung Omans | |
| begonnen hatten und eine mögliche Rückkehr zu einem Atomabkommen zum Ziel | |
| hatten – und eine Woche später die USA iranische Atomanlagen angreifen, | |
| während noch „deeskalierende“ Gespräche mit Europa laufen, markiert das | |
| Ende jeglicher diplomatischen Vernunft. Der anhaltende Versuch europäischer | |
| Politik, Teheran doch noch an den Verhandlungstisch zu bringen, mutet wie | |
| ein kalkulierter Akt politischer Selbsttäuschung an. | |
| ## Das Völkerrecht ist ein Papiertiger | |
| Es spielt keine Rolle mehr, wie sehr der „Wertewesten“ die Angriffe als | |
| friedenssichernde Maßnahmen zu deuten versucht. Denn es geht längst nicht | |
| mehr nur um den Iran und eine nach wie vor unbewiesene nukleare Bedrohung. | |
| Das Signal an die globale Weltordnung ist eindeutig: Entweder man frisst – | |
| oder man wird gefressen. Die Diplomatie ist tot, das Völkerrecht ein | |
| Papiertiger. | |
| Der [1][Tod des Völkerrechts] folgt auf die schon lange kritisierte | |
| Schwäche des Völkerrechts. Die UN sind nie über ein Forum hinausgekommen, | |
| in dem Augenhöhe und Gehör nur inszeniert werden. Der mit einem Vetorecht | |
| ausgestattete UN-Sicherheitsrat ist das institutionalisierte Veto gegen | |
| alles, was nicht den Interessen der Mächtigen entspricht. Jede Resolution, | |
| jeder Versuch international zu handeln, steht und fällt mit der | |
| Einstimmigkeit der fünf ständigen Mitglieder. | |
| Nicht nur heute, auch schon 1945 ging es nie um Gleichheit der Staaten, | |
| sondern um die Absicherung einer Nachkriegsordnung. Und diese Vetomächte | |
| müssen sich bis heute einig sein, wenn überhaupt etwas geschehen soll. Und | |
| der Rest der Staatengemeinschaft darf zusehen, wie sich Interessen | |
| gegenseitig neutralisieren. | |
| Die UN kann daher kein Recht durchsetzen, [2][weil sie vom politischen | |
| Willen der ständigen Sicherheitsratsmitglieder abhängig] ist. Sie konnte | |
| seit ihrem Bestehen kaum Kriege verhindern. So steht auch der | |
| Internationale Gerichtshof nicht mit besonders viel Glanz da. Was bringen | |
| Feststellungen durch ein Gericht, das Jahre braucht, um längst vollendete | |
| Tatsachen festzustellen – und dann Recht nicht einmal durchsetzen kann? | |
| Das gilt nicht zuletzt für das laufende Verfahren wegen eines möglichen | |
| Verstoßes gegen die Völkermordkonvention durch Israel. Was bringt es den | |
| bereits mehr als 50.000 Getöteten in Gaza, wenn am Ende „nur“ massenhaft | |
| Kriegsverbrechen festgestellt werden? | |
| Ob Völkermord, Angriffskrieg oder Besatzung – am Ende zählt nicht, was | |
| rechtens ist, sondern wer es will. Die Idee des Völkerrechts ist faktisch | |
| davon abhängig, dass die Mächtigen mitspielen. Tun sie es nicht, bleibt der | |
| Völkerrechtsbruch ohne Konsequenz. Hinzu kommt, dass das andere Organ, der | |
| Internationale Strafgerichtshof, fast ausschließlich Despoten aus dem | |
| Globalen Süden vor Gericht bringt. | |
| ## Die Maske fällt | |
| Dass Israel empört auf den [3][Haftbefehl gegen Netanjahu] reagierte und | |
| die „zivilisierten Nationen der Welt“ dazu aufrief, die Haftbefehle des | |
| Internationalen Strafgerichtshofs nicht zu vollstrecken, ist nichts anderes | |
| als ein deutliches Zeichen der tatsächlichen Verhältnisse – nämlich, dass | |
| „westliche“ Akteure grundsätzlich nicht auf die Anklagebank gehören. Und | |
| die von Friedrich Merz ausgesprochene Einladung an Netanjahu trotz | |
| Haftbefehls reiht sich ein in die Liste der Beispiele, dass das Völkerrecht | |
| nur für die Schwachen gilt. | |
| Man darf wohl von niemandem ernsthaft erwarten, in einer Welt, in der das | |
| Recht des Stärkeren gilt, das Schicksal des Schwächeren zu wählen. Wer | |
| jetzt schon Atombomben hat, wird sie gewiss nicht hergeben. Wer sie noch | |
| nicht hatte oder haben wollte, dem wird man nicht mehr vorwerfen können, | |
| danach zu streben. Das gilt eben nicht nur für den Iran, sondern für alle. | |
| Besonders im gesamten Globalen Süden. | |
| Es spricht vieles dafür, dass die Äußerungen von Bundeskanzler Merz, | |
| [4][der das israelische Vorgehen als notwendige „Drecksarbeit“ für den | |
| „Westen“ bezeichnet], keine Entgleisung darstellten, sondern das | |
| Fallenlassen der letzten Maske. Der Anspruch moralischer Überlegenheit | |
| besteht parallel zur Tatsache, dass Machtpolitik jenseits von | |
| Rechtsstaatlichkeit und internationalem Recht schon immer Methode war. Die | |
| Despoten der Welt nehmen die Doppelmoral dankend an. | |
| Mit der Verbindlichkeit des Völkerrechts ist es endgültig passé, wenn es | |
| einmal mehr von denen untergraben wird, die ständig seine Einhaltung | |
| einfordern. Und wer glaubt, dass dieser vermeintliche „Zivilisationskrieg“ | |
| auch nur annähernd Frieden und Sicherheit mit sich bringt, verkennt, dass | |
| wir spätestens seit heute in einer Welt leben, in der wir alle unsicherer | |
| geworden sind. | |
| 24 Jun 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.youtube.com/watch?v=nOMW8Kn4OLw | |
| [2] /Doppelveto-im-UN-Sicherheitsrat/!5041636 | |
| [3] /Den-Haag-zum-Gazakrieg/!6009842 | |
| [4] /Die-Sprache-von-Friedrich-Merz-Wenigstens-ehrlich/!6091664 | |
| ## AUTOREN | |
| Mina Jawad | |
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