Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Neues Album von Drangsal: Satanische Fersen
> Vieles ist anders auf dem neuen Album von Drangsal. Stärker als früher
> mischt der Musiker Genres und findet doch seine eigenwillige Poesie.
Bild: Dynamischer Hüftschwung: Drangsal beim Auftritt am Rock am Ring am 6. Ju…
Es gibt eine schwer zu übersetzende englischsprachige Formulierung, die
Kunst beschreibt, die selbst nicht unbedingt kommerziell erfolgreich ist,
dafür aber großen künstlerischen Einfluss auf andere, erfolgreichere Werke
ausübt. Im Musikbereich spricht man von einer „band’s band“ – einer Gr…
die vor allem von Musikerkolleg:innen gehört und geschätzt wird, dem
Durchschnittskonsumenten aber nicht unbedingt etwas sagen muss.
Als prägend für seinen Schaffensprozess stellte der Musiker Max Gruber,
bekannt unter seinem Künstlernamen Drangsal, zur Promotion für sein neues
Album auf seinem Instagram-Kanal 30 Alben vor. Er wolle dadurch „gerne ein
wenig Musik teilen, die mich auf dem Weg zur Entstehung des neuen Albums
begleitet hat“, schrieb er dazu.
Wenn ein Künstler wie Drangsal seine Einflüsse so offenlegt, ist es nicht
selten eine zweischneidige Angelegenheit. Allzu schnell läuft man Gefahr,
dass elitäre Fans und Presse nach eben jenen Einflüssen suchen, sie dann
gefunden haben wollen – vielleicht sogar da, wo sie gar nicht sind –, sich
plötzlich der unvermeidlichen Entlehnungen kreativer Prozesse gewahr werden
und das Werk mehr als Fundus anstatt als Genussmittel verstehen. Ehe man
sich’s versieht, macht man Musik mit Gebrauchsanweisung.
Nun ist Drangsal aber nicht mehr nur Max Gruber und Max Gruber nicht mehr
„nur“ Drangsal. „Nach einem Zusammenbruch“, erläutert der Pressetext z…
Album mit dem massiven Titel „Aus keiner meiner Brücken die in Asche liegen
ist je ein Phönix emporgestiegen“, sei unter dem Namen Drangsal künftig ein
Trio zu verstehen. Neben Gruber an Gesang und Gitarre sind Lukas Korn –
Gitarrist und Produzent, unter anderem in der Band Lyschko – sowie der
Komponist und Jazz-Musiker Marvin Holley Teil der Gruppe.
Gruber selbst ist inzwischen mit mehreren musikalischen Projekten in
Begleitung unterwegs – etwa beim [1][Duo Die Mausis] mit Die
Heiterkeit-Sängerin Stella Sommer oder in der Supergroup die Benjamins
unter anderem mit der Deutschpunk-Visionärin Annette Benjamin (Sängerin von
Hans-A-Plast).
## Jauchzet, frohlocket
Drangsal ist also tot und zugleich – jauchzet, frohlocket – wiedergeboren,
und tatsächlich klingt er gleich ganz anders: Mit „Love Will See Us Through
This“ beginnt das Werk tragisch und festlich. Eine Orgel, dann Klavier,
woraufhin Gruber mit seiner typischen, helldunklen Stimme einsetzt, die er
nach eigenen Angaben jüngst noch nachgeschult hat.
Ein Gospelchor, ein Gitarrensolo später ist klar: Unüberhörbar vorbei sind
die Zeiten der Vorgängeralben [2][„Harieschaim“(2016)] und „Zores“ (20…
die noch mit enormer Detailliebe einen präzisen 80s-Gothicwave-Sound
beschworen, der wie aus der Zeit gepurzelt daherkam. Als notwendige
Vorbedingung für den Ego-Death der Kunstfigur hören ließe sich noch das
Album „Exit Strategy“ (2021), schließlich hieß es im titelgebenden Track
noch „Manchmal wünscht ich, ich wär’ nicht da.“
„Da“ sind jetzt allerlei musikalische Mächte: Violine und Saxofon,
Kirchenchoräle und Falsett, trockene Akustik und bis zum Anschlag
aufgedrehte Verzerrer. 17 Tracks in knapp einer Stunde Spielzeit sind an
sich ein freundlicher Mittelfinger an Tiktok, die Streaming-Industrie und
ihre auf kurze Konsumption getrimmten Mechanismen.
Noch wilder wird’s beim Arrangement: Von glasklaren Pop-Balladen („Die
Bestie mit dem brennenden Schweif“) über spielerische Intermezzi („Hab
Gnade!“) und einem Walzer („Ich hab von der Musik geträumt“) bis zur
Klangflächenkatharsis („Your Fears Are Well-Founded“) folgt das Album kaum
Single-Logik. Musikvideos? Nein, danke.
## Mit der Sprache malen
Auch textlich gibt es auf dem nunmehr vierten Drangsal-Album mehr zu suchen
als zu finden. „Mein Eid“ baut Drama auf und richtet es gegen anonym
bleibende Feinde, die für „all den Hass“ büßen sollen, was jeder versteh…
der es soll. Auch, wenn Gruber erneut ausschließlich auf Englisch singt,
malt er mehr mit der Sprache. Auf Deutsch akzentuiert er das Konkrete mal
rein, mal raus aus den Wörtern und erlaubt sich zwischen viel Düsterkeit
und Ambivalenz auch Sprachwitz („Die satanischen Fersen“).
Dass es hier und da holpert und knarzt, mag der Produktion von Max Rieger
geschuldet sein, der als Sänger und Gitarrist bei [3][Die Nerven] und
seinem Soloprojekt All Diese Gewalt mit allen Bereichen von extremer
Lautstärke durchaus zu arbeiten weiß. In jedem Song bricht mindestens eine
kleine Erwartung, letztlich findet aber jedes Laut sein Leise, jeder Break
seinen Takt zurück und nichts fällt daneben. Auch das einzige Feature – in
„Mein Mo(nu)ment“ duettiert Gruber brillant mit der österreichischen
Songwriterin Sophia Blenda – ist sauber in der dichten Collage platziert.
Emo, Indie, Jazz, Pop – Einflüsse sind auf „Aus keiner meiner Brücken die
in Asche liegen ist je ein Phönix emporgestiegen“ mannigfaltig zu hören.
Und dennoch wird es Drangsal erspart bleiben, mit diesem Album zur „band’s
band“ zu avancieren. Die Musik ist viel zu schön dafür.
14 Jun 2025
## LINKS
[1] /Debuetalbum-Die-Mausis/!6024521
[2] /Debuetalbum-von-Drangsal/!5299102
[3] /Neues-Album-von-Rockband-Die-Nerven/!5887697
## AUTOREN
Konstantin Nowotny
## TAGS
Musik
Neues Album
Gitarre
Sprache
Musikerinnen
Festival
HipHop
Debütalbum
## ARTIKEL ZUM THEMA
Macherinnen über Immergut Indie-Festival: „Dinge ausprobieren ist toll“
Das Immergut Festival in Neustrelitz feiert sein 25-jähriges Jubiläum.
Seine zwei Macherinnen sprechen über Konzerte nach Corona und Indie trotz
AfD.
Leipziger Rapper HeXer auf Tour: Das Räuspern des Chorknaben
Er ist ein HipHop-Lokalheld mit bundesweitem Punch. Der Battlerapper HeXer
bringt Leipzig auf die Landkarte und ist gerade auf Tour.
Debütalbum „Die Mausis“: Mundwinkel in die Höhe treiben
Das Duo Die Mausis stellt sich mit dem Album „In einem blauen Mond“ vor.
Sie kontrastieren wohlige Zweisamkeit zu Ängsten und anderen Fiesheiten.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.