Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Drogenplattform „Archetyp“ ist offline: Macht, Moral und Monero
> Er war einer der größten Drogenmärkte im Darknet – jetzt haben Ermittler
> „Archetyp“ abgeschaltet. Doch der nächste illegale Marktplatz kommt
> bestimmt.
Bild: Soll Käufer und Händler abschrecken: animiertes Video der international…
Am 11. Juni nimmt die spanische Polizei einen 30-jährigen Deutschen in
Barcelona fest. Der Vorwurf: Er soll einen der weltweit größten
[1][Darknet]-Handelsplätze betrieben haben. „Archetyp“ heißt die Plattfor…
Tage zuvor zierte noch das in Blautönen simplistisch gehaltene Logo die
Website. Weiter kamen Nutzer nicht – „Market in Maintenance“ stand tagela…
dort – Wartungsarbeiten. Zugriff auf das, was sich dahinter verbarg, auf
die Listen [2][voller Drogen] und verschreibungspflichtiger Medikamente,
per Klick bestellbar, hatten die Nutzer nicht.
Auf Reddit spekulierten sie, ob sich der Betreiber der Seite aus dem Staub
gemacht hätte. „Exit Scam“ heißt das: Wenn die Betreiber der Seite
Zahlungen annehmen, jedoch weder die Ware verschicken noch die Zahlungen an
die Drogenverkäufer weiterleiten.
Exit Scams sind bedingt durch das akzeptierte Zahlungsmittel:
[3][Kryptowährungen]. 2019 versuchten die Admins des Drogenhandelsplatzes
„Wall Street Market“, sich mit 14,2 Millionen US-Dollar in den
Kryptowährungen Bitcoin und Monero aus dem Staub zu machen, bevor sie von
den deutschen Behörden festgenommen wurden.
Krypto braucht keine Bank als Mittelsmann für Transaktionen. Alles läuft
über Blockchains ab, Ketten aus Blöcken, die die Informationen der
Zahlungen speichern. All das ist nicht verfälschbar, weil die Info auf
unzähligen Rechnern weltweit gespeichert und immer wieder gegengecheckt
wird. Weil keine Bank im Spiel ist, lässt sich keine Rücküberweisung
vornehmen.
## Lob für Aufmachung und einfache Bedienung
Wer einmal Kryptowährung an einen Handelsplatz geschickt hat, ist sie
los, ob das Keta oder Koks zu Hause ankommt oder nicht. Bei wem sollte man
sich auch beschweren? Immerhin wird der Kauf von Drogen im Internet nach
Paragraf 29 Betäubungsmittelgesetz (BtMG) genauso geahndet, mit bis zu fünf
Jahren Freiheitsstrafe.
Auch wenn es aus den genannten Gründen riskant ist, sich Drogen im Darknet
zu bestellen, machen es europaweit Hunderttausende – Archetyp hatte laut
Angaben des BKA mehr als 600.000 Nutzer. Die Seite, die während der
Coronapandemie im Mai 2020 online ging, hatte einen guten Ruf.
Leute auf Reddit lobten die Aufmachung und einfache Bedienung. Auch wenn es
lukrativ scheint, Geld von Nutzern einzusammeln und dann in der
Unendlichkeit des Internets unterzutauchen, ist es bei genauerer
Betrachtung nur ein kurzes Vergnügen. Das Vertrauen ist dann für immer
verspielt.
Auf Archetyp waren Produkte in Kategorien gelistet, bebildert, gezahlt
wurde in der Privacy Coin Monero. Es gab dort nur Drogen. Andere illegale
Güter wie Waffen oder geklaute Daten – wie es sie auf anderen
Darknet-Handelsplätzen gibt – waren nicht im Sortiment. Geliefert wurde nur
innerhalb der EU.
Die Erfahrung mit den jeweiligen Händlern wurde – ähnlich wie bei Amazon –
mit Sternen und Kundenbewertungen untermalt. Kam eine Bestellung nicht an,
konnten Nutzer eine Art Kundenservice zur Schlichtung beiziehen und eine
schlechte Bewertung schreiben. Archetyp hatte sich über die Jahre einen Ruf
aufgebaut.
## International koordinierte Operation Deep Sentinel
Dennoch wurden die Nutzer unruhig, als die Seite vor einer Woche nicht mehr
erreichbar war. Sie wussten noch nichts von der koordinierten Aktion von
Ermittlungsbehörden mehrerer Länder, der Festnahme des Deutschen in
Barcelona, von den Razzien, den sieben Festnahmen in Schweden, den
Durchsuchungen in Rumänien, der Abschaltung der Server in den Niederlanden
und den Dutzenden beschlagnahmten Computern und Smartphones.
Am 16. Juni zierte dann nicht mehr das blautönige Design den Webauftritt
des Drogen-Online-Shops, sondern der Schriftzug „This domain has been
seized“ – „Diese Seite wurde beschlagnahmt“. Darunter ein Link zur
[4][„Operation Deep Sentinel“] und die Logos der beteiligten Behörden aus
den Niederlanden, Deutschland, Rumänien, Schweden, Spanien und den USA. Das
BKA schreibt auf Anfrage, dass es auch mit Frankreich, Irland, Litauen und
Tschechien kooperiert und von den dortigen Behörden Beweismittel erlangt
habe.
Als mutmaßlichen Betreiber der Seite nennen Bundeskriminalamt (BKA) und die
deutsche Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT) einen
30-jährigen Deutschen, der in Barcelona wohnte und im Netz unter dem
Nutzernamen „ASNT“ bekannt ist. ASNT gab 2021 dem Netzpolitikportal
[5][tarnkappe.info], das von dem Journalisten Lars Sobiraj geführt wird,
ein Interview zu den hinter Archetyp stehenden Gedanken und Ideen. Damals
hatte Archetyp in weniger als einem Jahr schon 40.000 Nutzer und rund 500
Händler versammelt.
Wie kommt ein Journalist in Kontakt mit einem
Darknet-Drogenhandelbetreiber? Sobiraj schreibt der taz, dass ASNT ihn
kontaktierte. „Da der Betreiber offenkundig viel von seiner Materie
versteht, habe ich zugestimmt“, sagt Sobiraj. Um sicher zu sein, dass ASNT
wirklich verantwortlich für Archetyp ist, prüfte er, ob ASNT die Website
kontrolliert und dort etwas ändern kann.
In dem Interview von 2021 erzählt ASNT, dass er aus finanziell schwierigen
Verhältnissen komme und früh in Kontakt mit Drogen gekommen sei. „Als ich
jünger war, habe ich mich für unbesiegbar gehalten. Dachte, ich bin klüger
als andere, habe gekonnt jede Warnung ignoriert und täglich gemacht, worauf
ich Bock hatte“, schieb ASNT in verschlüsselten Nachrichten an Sobiraj. Der
Archetyp-Admin erzählt, dass er früher viel getrunken und sich mit
„Dummköpfen“ umgeben habe. Nach einem „Ego-Tod“ während eines LSD-Tri…
soll ASNT dann Anfang seiner 20er laut eigenen Angaben sein Leben
umgekrempelt und sich vom Alkoholkonsum verabschiedet haben.
Klingt ein wenig nach Netflix-Drehbuch? Ja. Es gibt durchaus
Überschneidungen mit der Story der Serie „How to Sell Drugs Online (Fast)“.
Sie beruht auf der wahren Geschichte des damals 18-jährigen Maximilian
Schmidt, der zwischen 2013 und 2015 aus seinem Leipziger Kinderzimmer
heraus unter dem Decknamen „Shiny Flakes“ einen Onlinedrogenhandel
startete. Im Stern-Porträt zu Schmidt beschreibt ein Psychiater die
„klassische Selbstüberschätzung“ des jungen Erwachsenen, der mittlerweile
wieder auf freiem Fuß ist.
Auch ASNT überschätzte sich laut eigenen Angaben selbst. Beide
Drogenhandelbetreiber wollten anders sein als die Menschen um sie herum.
Beide strebten nach Selbstwirksamkeit, bauten sich im Schatten des
Internets ein Imperium auf. Beide wurden erwischt.
Im Forum des ersten großen Darknet-Handelsplatzes Silk Road kam ASNT nach
eigenen Angaben mit Philosophie und Ethik in Kontakt. Er tauschte
Nachrichten mit Menschen aus, die ihn aus seiner Sicht besser zu verstehen
schienen als die in seiner Heimat. Er sah Drogenpolitik kritisch, wollte
nicht, dass Menschen im Darknet über den Tisch gezogen werden, und wünschte
sich „Dekriminalisierung und/oder Legalisierung“ von Drogen.
## Ein bisschen wie bei „Hydra“
In einem Darknet-Forum schrieb er, dass die Handelsplätze ein Symptom des
Drogenverlangens seien, nicht die Ursache. Nach eigenen Angaben soll er
zuvor Websites gehackt und im Bereich der Cybersicherheit gearbeitet haben.
Über die Identität der sieben in Schweden Festgenommenen ist weniger
bekannt. „Viele der größten Händler auf Archetyp kommen aus Schweden“, s…
Caroline Wiklund, Pressesprecherin der schwedischen Polizei der taz. Dort
wurden sowohl Verkäufer als auch Moderatoren der Plattform verhaftet.
„Nach der Schließung des nationalen Marktplatzes Flugsvamp 3.0 im November
2021 wussten viele schwedische Händler und Käufer erst mal nicht, wohin.
Deswegen etablierten sich die schwedischen Händler schnell auf Archetyp. Im
Zusammenhang mit Archetyp haben wir seit 2022 mit dem BKA
zusammengearbeitet“, sagt Wiklund.
## Das Ende vom Drogenkauf?
Ist dieser große Schlag gegen Archetyp das Ende vom Drogenkauf im Darknet?
Nein. „Es hat aber eine unheimliche Symbolkraft“, sagt Julia Kramer, die am
Institut für Informationssicherheit der Hochschule Niederrhein zu
Cyberkriminalität forscht. „Cyberkriminelle werden dadurch verunsichert.
Wird ein Handelsplatz runtergenommen, kommt ein neuer.
Die Frage ist, ob es die neuen Betreiber schaffen, schnell und mit den
nötigen Sicherheitsvorkehrungen eine neue Plattform aufzuziehen –
insbesondere, wenn sie durch die Signalwirkung einer internationalen
Polizeiaktion eingeschüchtert sind.“
Darauf, dass die Behörden auf Signalwirkung und Abschreckung abzielen,
lässt auch das Video auf der Website zu „Operation Deep Sentinel“
schließen. Der zweiminütige Clip wirkt wie der Trailer zur animierten
Version von „How to Sell Drugs Online (Fast)“. Er richtet sich an die
„Underground Economy“: die Händler, Betreiber und Moderatoren von
Drogenhandelsplätzen. Er fasst die Arbeit der Behörden zusammen, die in
Sachen Cyberkriminalität kooperieren müssen – weil diese Bereiche der
Kriminalität vor Landesgrenzen nicht haltmachen.
Ein BKA-Sprecher bestätigt auf Anfrage, dass das Video Teil der Stategie
zur Bekämpfung von Cybercrime ist und die Vorgehensweise als „disruptive
Kommunikation“ bezeichnet wird, mit dem Ziel der „Prävention weiterer Taten
durch Tatgeneigte.“
2022 legte das BKA den damals umsatzstärksten Handelsplatz im Darknet
weltweit lahm. Sein Name: „Hydra“. In der griechischen Mythologie ein
Wesen, dem zwei Köpfe nachwachsen, wenn einer abgeschlagen wird – den Teil
kennen die meisten. Dass es Herakles gelang, die Hydra zu besiegen, ist
weniger bekannt.
Es ist wahrscheinlich mit den Darknet-Drogenmärkten ähnlich wie in der
griechischen Mythologie: Eine Lösung zum Umgang mit Drogenhandel im
Internet ist weder schnell noch geradlinig noch offensichtlich.
18 Jun 2025
## LINKS
[1] /Schlag-gegen-Kinderporno-Netzwerk/!6080259
[2] /Diskussion-um-Cannabis-und-Heroin/!6087281
[3] /Gewaltverbrechen-haeufen-sich/!6086885
[4] https://operation-deepsentinel.com/
[5] https://tarnkappe.info/
## AUTOREN
Klaudia Lagozinski
## TAGS
Darknet
Cyberkriminalität
Drogenhandel
Drogen
Drogendealer
Kryptowährung
Bitcoin
BKA
GNS
Cyberkriminalität
Clubmusik
Cyberkriminalität
Hacker
## ARTIKEL ZUM THEMA
Nachtleben: Wie ich mein Verhältnis zu harten Drogen geändert habe
Unsere Autorin geht gern feiern in Clubs, illegale Drogen gehörten für sie
bislang dazu. Nun wird „Sober Nightlife“ für sie ein Thema.
Einsatz von illegaler Schadsoftware: Razzien gegen Cyberkriminalität
Einem Team aus internationalen Ermittler*innen ist ein großer Schlag
gegen weltweite Internetkriminalität gelungen. Sie konfiszierten über 100
Server.
Cyberangriff auf Krankenversicherung: Patientendaten im Darknet gelandet
Eine australische Versicherung wollte kein Lösegeld zahlen, dann wurden
Kundendaten geleakt. Die Polizei macht russische Hacker verantwortlich.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.