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# taz.de -- Fentanylkrise in den USA: Hundertmal stärker als Morphium
> Die Fentanylkrise wurde durch die liberale Drogenpolitik in San Francisco
> befördert. Jetzt setzt ein Umdenken ein. Trumps Maßnahmen helfen dabei
> kaum.
Bild: „Wir machen Fortschritte in die richtige Richtung, aber wir haben noch …
Neulich klopfte es an die Tür einer Wohnung am Martin Luther King Jr. Way
in Oakland. „Hier ist die Polizei.“ Beamte verschiedener Einheiten,
darunter der San Francisco Police (SFPD) und der Drug Enforcement
Administration (DEA), hatten die Ein- und Ausgänge abgeriegelt. Eine Flucht
war ausgeschlossen. Alles musste schnell gehen, Beweismittel durften nicht
vernichtet werden. Gefunden wurden mehr als fünf Pfund Drogen, darunter
4,87 Pfund Fentanyl. „Die Drogen waren für San Francisco bestimmt. Einsätze
wie diese haben erhebliche Auswirkungen darauf, unsere Stadt sicherer zu
machen“, erklärte der Polizeichef für San Francisco, Paul Yep.
Es war nicht das erste Mal, dass größere Mengen Drogen außerhalb von San
Francisco beschlagnahmt wurden, im Januar 28 Kilo Fentanyl in East Oakland
– tödliche Drogen, die ganz gezielt in die Nachbarschaften gebracht und
dort verkauft werden sollten. In der Metropole am Golden Gate ist Fentanyl
in den vergangenen fünf Jahren für nahezu zwei Drittel der mehr als 3.700
Drogentoten verantwortlich. Für San Franciscos Supervisor Matt Dorsey ist
daher klar: „Wenn wir so viele Menschen hier durch Schießereien verloren
hätten, dann ließe der Gouverneur die Nationalgarde auf den Straßen
patrouillieren.“ San Francisco habe seit den dunkelsten Tagen der Aidskrise
nicht mehr [1][so viele Menschen auf einmal verloren].
Doch lange Zeit passierte nichts oder zu wenig. Die liberale Drogenpolitik
von San Francisco mit einer Entkriminalisierung von Kleindealern und
Süchtigen erwies sich im Kampf gegen Fentanyl als ein massives Problem,
genau dadurch wurde die Fentanylkrise erst befördert. Dealer konnten
ungestört an den Straßenecken die Droge verkaufen, die [2][50-mal wirksamer
ist als Heroin und 100-mal stärker wirkt als Morphin].
Im Jahr 2020 beschlagnahmte die Polizei in San Francisco fünfeinhalb Kilo
Fentanyl, ein Jahr später 25 Kilo. Im Jahr 2022 wurden dann allein 65,37
Kilogramm Fentanyl im berühmt-berüchtigten Tenderloin-Stadtviertel
beschlagnahmt. Die Herstellungskosten für ein Kilo Fentanyl liegen bei
32.000 Dollar, daraus lassen sich etwa eine Million Tabletten produzieren
mit einem Marktwert von 20 Millionen Dollar. Zwei Milligramm Fentanyl sind
eine tödliche Dosis. Mit 65 Kilo Fentanyl könnte man alle Erwachsenen in
Kalifornien töten – 31 Millionen Menschen. Fentanyl wurde zu einer
Public-Health-Krise, und das nicht versteckt, abseits und am Rande der
Stadt, sondern in aller Öffentlichkeit.
Die Stadt sei relativ [3][gut durch die Coronapandemie gekommen], sagt
Supervisor Matt Dorsey, gleichzeitig aber fielen Hilfen für Süchtige weg,
Einrichtungen wurden geschlossen, mit Zoom-Gesprächen erreichte man
niemanden auf der Straße. Das alles passierte zu einer Zeit, als Fentanyl
den Drogenmarkt in den gesamten USA überschwemmte und San Francisco 2020
mit Chesa Boudin einen neuen und äußerst progressiven Staatsanwalt ins Amt
gewählt hatte, der nicht länger einfache Drogendealer strafrechtlich
verfolgen wollte. Zur Polizeiführung erklärte er: „Bring me kilos, not
crumbs.“ Man möge ihm also Kilos bringen und keine Krümel. „Er hatte ein
total veraltetes Bild im Kopf, das vielleicht noch für Heroin oder Meth
galt“, sagt Supervisor Dorsey: „Aber wenn wir über Fentanyl sprechen, dann
sind es die Krümel, die die Leute umbringen. Das muss ernst genommen
werden.“
Adam sitzt auf dem Boden, an eine Hauswand gelehnt. An der Ecke ein Corner
Store, ein billiges Hotel. Der 27-Jährige trägt Jeans, Turnschuhe, ein
schwarzes Sweatshirt. Neben ihm steht ein Rucksack, etwas versteckt
dahinter eine Glaspfeife. Seit ein paar Jahren sei er hier in San
Francisco. Er schlafe in einem Hotel ein paar Straßen weiter und sei
ursprünglich aus einer kleinen Stadt in Idaho, erzählt er. Irgendwann
wollte er einfach nur weg, das Golden Gate lockte aus der Ferne. Vom
konservativen Idaho ins liberale Kalifornien. Er hatte Pläne, „irgendwas
mit Informatik“. Doch hier begann sein Absturz. Erst Heroin, dann Fentanyl.
Wie es weitergehen soll, weiß er nicht. „Es hat sich hier viel verändert in
den letzten Monaten, das Zeug war billig, leicht zu bekommen. Doch so ist
das nicht mehr“, sagt er. Viel Polizei, viele Verhaftungen von Dealern, er
selbst werde ständig verjagt.
Genau das hatte auch Corey erlebt. Er war immer wieder obdachlos, schlief
in einem Zelt in einem Park in Oakland, kam mit der U-Bahn nach San
Francisco, um sich hier seine Drogen zu besorgen. Erst Heroin, dann sechs
Jahre lang Fentanyl. Nach 14 Jahren auf Droge sei er endlich in einer
Rehabilitationseinrichtung, erzählt seine Mutter, Jacqui Berlinn. Sie
engagiert sich bei den Mothers Against Drug Deaths, den Müttern gegen
Drogentote. Vor Jahren streifte Jacqui durch die Tenderloin, sie suchte
nach ihrem Sohn auf den verdreckten Straßen unweit des historischen United
Nations Plaza. Sie ging auf schlafende Personen auf dem Bürgersteig zu, auf
jene, die in sich zusammengesunken an einer Hauswand saßen, ihre Gesichter
unter Kapuzen oder Decken versteckt.
Jeder hätte ihr Sohn sein und einsam auf den Straßen San Franciscos sterben
können. Empathie für die Drogenabhängigen gab es nicht, Passanten liefen an
den leblosen Körpern vorbei. „Das ist furchtbar, so zu tun, als gebe es sie
nicht“, sagt Jacqui. Doch nun lächelt sie, ihr Sohn sei nun länger als 50
Tage clean. Sie zähle jeden Tag und sei dankbar für jeden einzelnen. Er sei
ein ganz anderer Mensch. Was geholfen habe, sei eine Neuausrichtung auf den
Straßen von San Francisco unter dem neuen Bürgermeister Daniel Lurie
gewesen. Er wurde im November 2024 gewählt, die Polizei schaut seitdem
nicht mehr weg, Drogendealer werden verhaftet und verurteilt.
Auch die Arbeit der Streetworker veränderte sich, erzählt Jacqui Berlinn.
Ihr Sohn Corey habe immer gefragt, was diese Sozialarbeiter anböten, wenn
er sie gesehen habe. „Jetzt fragten sie ihn, was er bräuchte“, sagt sie.
Sie gaben ihm nicht einfach eine Telefonnummer, sondern brachten ihn in
eine Entzugsklinik. Die 60-Jährige strahlt: „Ich glaube, diesmal schafft er
es.“
## Dann bemerkte sie, wie ihre Tochter abrutschte
Neben ihr sitzt Gina McDonald, ebenfalls bei den [4][Mothers Against Drugs
Deaths]. Eine energische Frau mit verrauchter Stimme, selbst mal
drogenabhängig. Dann bemerkte sie, wie ihre 24-jährige Tochter Sam
abrutschte. An einem Abend fand sie sie in der Tenderloin von San
Francisco, zerrte sie ins Auto. „Da hielt neben mir eine Polizeistreife,
sie wollten wissen, was ich mache. Die Drogendealer an der Straßenecke
interessierten sie gar nicht, auch nicht die Süchtigen, die sich da auf dem
Bürgersteig etwas spritzten, aber sie fragten mich. Da habe ich ihnen
gesagt: Das ist meine Tochter, die ich hier weghole. Entweder verhaftet ihr
uns beide, oder ihr lasst mich jetzt in Ruhe.“ Ihre Tochter ist seit
dreieinhalb Jahren clean und weggezogen aus San Francisco. Sie hat eine
Wohnung und studiert. „Ich werde aber noch immer nervös, wenn ich einen Tag
lang nichts von ihr höre.“
Jacqui und Gina kämpfen gegen das Drogenproblem, Jacqui ist
Ansprechpartnerin für Mütter, die ihre Kinder suchen, Gina draußen auf den
Straßen unterwegs. Sie sehen den Unterschied auf den Straßen San
Franciscos, die Lage hat sich verbessert. Aber sie ist nicht perfekt, wie
es auch Supervisor Dorsey beschreibt. Er wohnt nur einen Block weit
entfernt vom United Nations Plaza, dem einstigen Zentrum der Drogenszene.
Er sagt: „Der 24-Stunden-Drogenmarkt ist verschwunden, aber in den
Nachtstunden ist da immer noch sehr viel los.“
Vor allem geholfen hätten Eingriffe der Generalstaatsanwaltschaft für San
Francisco unter Ex-Präsident Joe Biden, Verhaftungen von Straßendealern
waren nun Realität. „Normalerweise machen die sich mit dieser Form von
Straßenkriminalität nicht die Finger dreckig. Die konzentrieren sich mehr
auf Wirtschaftskriminalität und die Machenschaften des organisierten
Verbrechens“, sagt Dorsey.
## Mit neuen Antidrogenansätzen allein in der Stadt
Mit seinen Ansätzen, die Drogenkrise offensiv anzugehen, stehe er
weitgehend allein da in einer Stadt, [5][in der seit der Hippiezeit der
späten 1960er Drogenkonsum als Teil des „California Spirit]“ gesehen werde.
Dorsey hatte im Stadtrat eine Änderung der Schutzverordnung für
undocumented migrants vorgeschlagen, die jedem, der mit Fentanyl handelt,
den Schutz dieser „Sanctuary City“ entziehen sollte. „Für mich ist klar,
wir sollten niemandem Schutz gewähren, der an dem wohl zweifellos
tödlichsten Verbrechen in der Geschichte San Franciscos beteiligt ist“,
sagt Dorsey. Dafür erhielt er keine Unterstützung.
Wie ist die Zusammenarbeit mit der Trump-Administration?„Nicht gut“, meint
der Supervisor. Trump konzentriere sich darauf, gegen „Sanctuary Cities“
vorzugehen und streiche zudem wichtige Fördermittel, die die Kommunen
dringend im Kampf gegen Fentanyl brauchten.
Und doch sinken die Todeszahlen: Starben 2023 noch 110.037 Menschen in den
USA an einer Überdosis, waren es im vergangenen Jahr 80.391. Trump macht
dafür die abgeriegelte Grenze geltend, obwohl der Rückgang der Drogentoten
nachweislich früher begann. Trump verweist auch auf große Mengen
beschlagnahmten Fentanyls an der Grenze, doch das Gegenteil ist der Fall –
im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ging diese Menge um 30 Prozent zurück.
„Wir machen Fortschritte in die richtige Richtung, aber wir haben noch
einen langen Weg vor uns“, meint Matt Dorsey. Er hofft, dass US-Präsident
Donald Trump erkenne, dass man nur in Kooperation zwischen lokalen,
bundesstaatlichen und Bundesbehörden diesen Kampf gewinnen kann. „Ich habe
noch Hoffnung, dass die Trump-Regierung und San Francisco zusammenkommen
können“, sagt Dorsey, „aber warten wir ab.“
Anm. d. Red.: In einer vorangegangenen Version des Beitrags war zu lesen,
dass zwei Gramm Fentanyl eine tödliche Dosis darstellen. Tatsächlich sind
bereits ca. zwei Milligramm tödlich.
30 Aug 2025
## LINKS
[1] /Drogenepidemie-in-den-USA/!5472566
[2] /Fentanyl-Konsum-in-Europa/!5955059
[3] /Covid-19-Pandemie-in-den-USA/!5781925
[4] https://madaad.org/
[5] /Geschichte-des-Summer-of-Love/!5415784
## AUTOREN
Arndt Peltner
## TAGS
Schwerpunkt USA unter Trump
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Sozialarbeit
San Francisco
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