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# taz.de -- Brandanschlag in Solingen: Was weiß Innenminister Reul?
> Beim Brandanschlag in Solingen starben 2024 vier Menschen. Unklar bleibt,
> seit wann die Behörden von einem möglichen rechtsextremen Motiv wissen.
Bild: Der Tatort in Solingen im März 2024
Berlin/Frankfurt am Main taz | Im März 2024 brannte ein Mehrfamilienhaus in
Solingen. Eine bulgarisch-türkische Familie mit zwei Kindern, die im
Dachgeschoss wohnte, kam bei dem Feuer ums Leben. Katya, Kancho, Galia und
Emily Zhilova. 21 weitere Menschen wurden verletzt. Schnell war klar, dass
es sich um Brandstiftung handelte. Seit Januar steht Daniel S. wegen
vierfachen Mordes vor Gericht.
In dem Prozess, der derzeit vor dem Wuppertaler Landgericht verhandelt
wird, tauchen immer wieder Hinweise auf, die darauf hindeuten, dass die
Behörden einem möglichen rechtsextremen Tatmotiv nicht angemessen
nachgegangen sind – oder es sogar ignoriert haben. Die taz hat dem
Innenministerium in Nordrhein-Westfalen dazu mehrfach Fragen gestellt.
Gegenüber der taz gibt sich das Innenministerium zugeknöpft, es wollte
zunächst nicht oder nur verspätet und nicht auf alle Fragen antworten.
Mitte Mai dieses Jahres befragte der Innenausschuss des Landtags
CDU-Innenminister Herbert Reul zu den Ungereimtheiten rund um den
Brandanschlag: So waren etwa bei der Hausdurchsuchung des Angeklagten kurz
nach der Tat NS-Devotionalien gefunden worden. In die Ermittlungsakte wurde
der Fund allerdings nicht aufgenommen. Auch nicht in die Akte aufgenommen
worden war die Bewertung der Wuppertaler Polizei in einem [1][Dokument, das
den Täter zunächst als „rechts“ einstufte.] Diese Bewertung war später
durch einen handschriftlichen Vermerk gestrichen worden. Erst vor wenigen
Wochen, mitten im laufenden Prozess, tauchte das Dokument auf. Es war zuvor
weder den Nebenklageanwält*innen noch dem Gericht bekannt. Die
Nebenklageanwält*innen sprachen von einem „Skandal“.
Reul erklärt in dem der taz vorliegenden schriftlichen Bericht für den
Innenausschuss, bei dem neu aufgetauchten Dokument handele es sich um eine
„Checkliste“, anhand derer die Polizei stichpunktartig ein mögliches
politisches Motiv überprüfe. In der maschinenschriftlich abgefassten
Zusammenfassung des Prüfungsergebnisses habe die Wuppertaler Polizei
zunächst geschrieben, dass „die gefundenen NS-Devotionalien dem Angeklagten
und dessen Vater zugeordnet werden können“. Es könne von „einer tiefen
inneren Verbundenheit (…) mit dem rechten Gedankengut ausgegangen werden.“
Doch diese Textstellen wurden nachträglich handschriftlich verändert und
nicht mehr auf Daniel S., sondern auf dessen Vater bezogen.
## Wer hat das Dokument verändert?
Unklar ist bis heute, wer das Dokument so verändert hat, dass der Verdacht
auf einen rechtsextremen Hintergrund gestrichen wurde. Wer in der Polizei
und im Innenministerium wusste von dem frühen Hinweis auf ein politisches
Motiv? Wer hat letztlich entschieden, das Dokument nicht zur Akte zu
nehmen?
Die taz hat dem Innenministerium in Nordrhein-Westfalen dazu am Donnerstag
vergangener Woche Fragen gestellt. Dieses lehnte die Beantwortung zunächst
ab, mit Verweis auf das laufende Gerichtsverfahren. Dabei geht es hier
nicht um ermittlungstechnische Details. Die Frage, wer zu welchem Zeitpunkt
von einem möglichen rechtsextremen Motiv wusste, ist politisch – sie
berührt die Abläufe innerhalb der Behörden, nicht das juristische
Verfahren. Auch Reul selbst hatte vor dem Innenausschuss Aufklärung
angekündigt.
Zu beantworten wäre die Frage, ob Minister Reul oder sein Haus bereits im
April 2024 von der ursprünglichen politischen Bewertung als „rechts“
erfahren haben. Hat der zuständige Wuppertaler Polizeipräsident Markus
Röhrl seine Vorgesetzten, also Innenminister Herbert Reul, darüber in
Kenntnis gesetzt? Hat das Innenministerium einen Bericht zu einem möglichen
politischen Motiv angefordert?
Der zeitliche Ablauf ist auch deshalb relevant, weil die Staatsanwaltschaft
Wuppertal sowie das Polizeipräsidium Wuppertal zwei Wochen nach der
Brandstiftung bei einer Pressekonferenz am 10. April 2024 gesagt hatten,
„bisher keine Anhaltspunkte für ein rechtsextremes Motiv gefunden“ zu
haben. Heute ist allerdings klar, dass bereits einen Tag vor der
Pressekonferenz, am 9. April 2024, die NS-Devotionalien im Haus des
Angeklagten gefunden worden sind.
## War der Minister informiert?
Die taz hat das Innenministerium auch angefragt, ob der Minister über
diesen Fund informiert wurde. Und wie das Innenministerium die Aussage bei
der Pressekonferenz bewertet, dass keine Anhaltspunkte für ein
rechtsextremes Motiv gefunden werden konnten.
Das Ministerium hat der taz auf mehrfache Nachfrage bis Redaktionsschluss
nur auf einen Teil der Fragen geantwortet. Ein Sprecher sagte der taz, der
Vermerk zu dem rechtsextremen Motiv wurde dem Ministerium erstmals am 23.
04. 2025 durch das Landeskriminalamt per E-Mail übermittelt – also mehr als
ein Jahr nach dem Brandanschlag. „Soweit bekannt“, sei Minister Reul
„unmittelbar danach“ informiert worden, so der Sprecher.
Im Innenausschuss hatte Reul erklärt, sein Haus habe den handschriftlichen
Vermerk untersucht und an die Justiz weitergeleitet. Dieser Vermerk wurde
den Nebenklageanwält*innen und der Öffentlichkeit erst drei Wochen
später, im Gerichtsprozess gegen den Tatverdächtigen Daniel S., bekannt.
Doch weshalb wusste Reul vor der Staatsanwaltschaft, dem Gericht und den
Nebenklageanwält*innen von dem Vermerk? Auch diese Frage der taz
ließ er bis heute unbeantwortet.
Die Opposition im Landtag von Nordrhein-Westfalen dringt weiter auf
Aufklärung und nimmt dafür Innenminister Herbert Reul in die Pflicht.
Christina Kampmann, innenpolitische Sprecherin der SPD, sagte der taz, auch
nach dem Bericht des Ministers vor dem Innenausschuss gebe es zahlreiche
Fragen: „Unabhängig von dem juristischen Verfahren braucht es eine
politische Aufklärung durch den Innenminister Herbert Reul.“
## Nebenklage spricht von „Vertuschung“
Anfang April hatte die Nebenklageanwältin Seda Başay-Yıldız den
Polizeipräsidenten und mehrere Beamt*innen des Polizeipräsidiums
Wuppertal angezeigt, die bei der Hausdurchsuchung dabei waren.
[2][Başay-Yıldız sprach von „Vertuschung“], da „Beweismittel vorenthal…
wurden“. Die Staatsanwaltschaft Wuppertal lehnte jedoch bereits wenige Tage
später die Aufnahme von Ermittlungen gegen die Beamt*innen ab, da kein
Anfangsverdacht für ein strafbares Verhalten vorliege.
Im Laufe des Prozesses waren auf Druck von Başay-Yıldız auch Festplatten
von der Polizei ausgewertet worden. Darauf befanden sich unter anderem 166
Bilder, die den Nationalsozialismus verharmlosen. Später untersuchte die
Anwältin die Festplatten selbst und entdeckte weitere rechtsextreme Bilder.
Die Behörden ordnen die Festplatten bisher der Partnerin des Täters zu. Im
laufenden Gerichtsverfahren erfolgt zurzeit eine umfangreiche
Datenauswertung. Am zweiten Juni wird der Prozess gegen Daniel S. am
Landgericht Wuppertal fortgesetzt.
27 May 2025
## LINKS
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## AUTOREN
Kersten Augustin
Yağmur Ekim Çay
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