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# taz.de -- Ärztemangel in Berlin: Nachwuchs verzweifelt gesucht
> Praxen sind in der Hauptstadt höchst ungleich verteilt – vor allem im
> Osten herrscht Ärztemangel. Bezirke suchen nach Wegen, junge Mediziner zu
> locken.
Bild: Ein Stethoskop, das klassische Insignum des Hausarzts, ist mangels Praxen…
Berlin taz | „In Schöneweide darfst du nicht krank werden“, sagt Lena M.
Die 21-Jährige studiert an der HTW und wohnt in Treptow-Köpenick. „Am
schlimmsten ist es mit Augenärzten und Gynäkologen. Überall heißt es, wir
nehmen keine neuen Patienten an. Ich bin aber neu in Berlin.“ Nach viel
Telefonieren hat sie einen Augenarzttermin in Mitte bekommen – mit drei
Monaten Wartezeit.
Berlin sei in weiten Teilen mit niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten gut
versorgt, sagt Kathrin Weiß von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV). Doch
die Versorgung ist innerhalb der Stadt nicht einheitlich. Während in den
gutbürgerlichen Bezirken in der City West überdurchschnittlich viele Ärzte
arbeiten, gibt es in Marzahn-Hellersdorf, Treptow-Köpenick, Lichtenberg und
Spandau eine zum Teil dramatische Unterversorgung.
Beispiel Hausärzte: Hier weist Charlottenburg-Wilmersdorf einen
Versorgungsgrad von 121 Prozent auf, Marzahn-Hellersdorf ist mit nur 79
Prozent Schlusslicht. Bei Frauenärzten hat Treptow-Köpenick als am
schlechtesten versorgter Bezirk nur 87 Prozent. Berlin bekommt aber keine
zusätzlichen Arztsitze, denn im gesamten Stadtgebiet ist der
Versorgungsgrad offiziell ausreichend. In Charlottenburg-Wilmersdorf
beträgt der Versorgungsgrad bei Frauenärzten tatsächlich 184 Prozent. Die
Aufzählung ließe sich fortsetzen.
„Die Ungleichverteilung ist leider größer geworden“, sagt Gordon Lemm
(SPD), der Gesundheitsstadtrat von Marzahn-Hellersdorf. Dazu hat
beigetragen, dass gerade in den ohnehin unterversorgten Bezirken im Osten
und in Spandau in den vergangenen Jahren viele neue Wohnungen gebaut
wurden. Die Einwohnerzahl stieg also, ohne dass es mehr Ärzte gibt.
## Sozialpsychiatrischer Dienst unbesetzt
Dazu komme das schlechte Image seines Bezirkes, so Lemm. Auch im
bezirklichen Gesundheitswesen gibt es deshalb große Probleme: Der
sozialpsychiatrische Dienst in Marzahn-Hellersdorf habe fünf Arztstellen,
von denen keine einzige besetzt sei.
Die Zukunft sieht noch düsterer aus. Denn viele Ärzte gehören zu den
Babyboomern, die bald den Ruhestand erreichen. Gordon Lemm: „Ein Drittel
aller Allgemeinmediziner in unserem Bezirk ist 60 Jahre und älter.“ Im
Nachbarbezirk Treptow-Köpenick sind laut der dortigen Gesundheitsstadträtin
Carolin Weingart (Linke) die Hälfte aller Ärzte älter als 55 Jahre, 12
Prozent sogar älter als 65 Jahre.
Berlinweit sieht es ähnlich aus. Kathrin Weiß von der KV sagt, dass in der
ganzen Stadt ein großer Teil der Vertragsärztinnen und -ärzte in den
kommenden Jahren in den Ruhestand treten werde.
Und der Nachwuchs? Glaubt man dem ehemaligen Bundesgesundheitsminister Karl
Lauterbach (SPD), verlassen bundesweit weniger Medizinstudierende die
Universitäten als Ärzte in den Ruhestand geben. Carolin Weingart sieht in
Berlin noch ein zusätzliches Spezifikum: Hier liege im Medizinstudium der
Numerus clausus zum Teil bei 1,0. Das sind oft sehr ambitionierte
Studierende, denen mit solchen Noten alle Türen offen stehen und die
umworben werden. „Viele zieht es weniger in eine Hausarztpraxis als in die
Forschung, die Pharmaindustrie oder ins Ausland.“
## Gezielte Förderprogramme
Die Kassenärztliche Vereinigung, die das Problem der unterschiedlichen
Ärzteverteilung lange ignoriert hat, [1][versucht seit wenigen Jahren
dagegenzuhalten]. Neue Ärzte dürfen sich nur in unterversorgten Gebieten
niederlassen. Es gibt gezielte Förderprogramme für diese Gebiete. Zudem
werden „an fünf engagierte Studentinnen und Studenten der Humanmedizin, die
bereit sind, nach Abschluss ihres Studiums eine hausärztliche Tätigkeit in
einem von der uns definierten Fördergebiet aufzunehmen“, Stipendien in Höhe
von 1.000 Euro vergeben, sagt Kathrin Weiß. Außerdem werden digitale
Angebote ausgebaut.
Weil für immer mehr Ärztinnen und Ärzte eine Anstellung attraktiver ist als
eine eigene Niederlassung, in der man sich selbst um die Bürokratie kümmern
muss, hat die Kassenärztliche Vereinigung zudem vier Hausarztpraxen in den
Ostbezirken in eigener Trägerschaft aufgebaut. Weitere sind in Planung.
Eine, die den Weg vom überversorgten Charlottenburg-Wilmersdorf in den
unterversorgten Bezirk Lichtenberg gegangen ist, ist die
Allgemeinmedizinerin Mai Ty Phan-Nguyen. Den Entschluss fasste sie in der
Coronazeit, wo die vietnamesischstämmige Ärztin in der Praxis am
Kurfürstendamm, in der sie damals arbeitete, regelrecht von vietnamesischen
Patienten aus Lichtenberg überrannt wurde. „Sie wollten alle eine
Coronaimpfung. Und immer öfter merkte ich, dass selbst viele, die seit 20
Jahren hier leben, keinen Hausarzt haben. Sie vertrauten fragwürdigen
Geschäftsleuten im Dong-Xuan-Center, die illegal Antibiotika verkaufen.“
Da sah die 38-Jährige eine soziale Verantwortung, näher zu den Patienten zu
ziehen, die sie dringend brauchten. Obwohl sie die Praxis erst seit
zweieinhalb Jahren betreibt, sei sie immer voll. „Das geht auch einer
Nachbarpraxis so, die erst seit einem Jahr hier ist“, sagt sie. Sie habe in
Lichtenberg ganz andere Patienten als in Charlottenburg. „Ich habe kaum
Privatpatienten. Viele Patienten sind junge Mütter oder Neuberliner. 60
Prozent sind Vietnamesen. Die Arbeit ist anstrengender, weil ich mehr
erklären muss.“
## Hilfe bei der Raumsuche
Damit sich Ärzte einfacher in ihrem Bezirk Treptow-Köpenick ansiedeln
können, hat Gesundheitsstadträtin Carolin Weingart eine Praxisraumbörse
eingerichtet. Dort können Vermieter Räume melden, die sich für Arztpraxen
eignen, Ärzte können dort Räume suchen. Weingart sagt: „Das ist ein
Lösungsansatz, der als Bezirk in unserer Hand liegt. Wir werden im Oktober
auf diesem Weg die erste Neuansiedlung im Park-Center in Alt-Treptow haben.
Mit einem weiteren Arzt verhandeln wir. Mit 18 weiteren gibt es Kontakte.“
Marzahn-Hellersdorf will dieses Modell nachnutzen. „Das wird nur kleine
Effekte bringen, aber wir nutzen jeden Weg“, sagt Stadtrat Gordon Lemm. Ein
zunehmendes Problem seien die zu hohen Mietpreise für Arztpraxen, so
Weingart und Lemm. Der SPD-Politiker Lemm fordert dazu Verhandlungen mit
den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften, die Linke Weingart eine
Bundesratsinitiative von Berlin zur Deckelung von Gewerbemieten.
3 Jun 2025
## LINKS
[1] /Hausaerztemangel-in-Ost-Berlin/!5867133
## AUTOREN
Marina Mai
## TAGS
Ärztemangel
Ärzte
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Schwerpunkt Landtagswahl Sachsen 2024
Hausarzt
Kinderarmut
Kassenärztliche Vereinigung
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