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# taz.de -- Ärztliche Versorgung auf dem Land: Der Mann, der Sachsen verarztet
> Seit Jahrzehnten kümmert sich Gottfried Hanzl um seine Patient:innen
> in Oderwitz. Der 74-Jährige will und kann nicht aufhören. Ein Ortsbesuch.
Oderwitz taz | [1][Gottfried Hanzl] will gerade zur Tür raus, da ruft die
Frau des Patienten ihm hinterher: „Doktor? Können Sie mich noch mal am
Nacken knacken?“ Hanzl dreht sich um, nickt und sagt „Nu!“. „Nu!“ ist
Sächsisch für „Ja!“ und Hanzl, Landarzt in Oderwitz in der Oberlausitz,
sagt „Nu!“ sehr oft. Während er den Nacken der Frau knackt, fragt der
eigentliche Patient, Herr Baum*, vom Sofa herüber: „Haben Sie Hoffnung, was
mich angeht?“ „Nu!“, sagt Hanzl, diesmal mit besonderem Nachdruck.
Herr Baum ist an diesem Donnerstagmittag Anfang Juni Hanzls vierter
Hausbesuch. Die beiden kennen sich seit fünfzig Jahren, das erste Mal
trafen sie aufeinander, als Herr Baum im Heizkraftwerk in den Bunker
gefallen war. „Da hab ich mir einiges zugezogen“, erzählt der 86-Jährige,
während Hanzl ein paar Minuten zuvor seinen Blutdruck misst. Heute hat er
es mit Schmerzen zu tun, die das Alter mit sich bringen. Hanzl klebt ihm
deswegen ein schmerzlinderndes Pflaster auf den Oberarm, das wirkt über
mehrere Tage, am Magen vorbei.
„Haben Sie denn jetzt gegessen?“, fragt Hanzl. Essen ist schwierig, Laufen
noch schwieriger, berichtet der Patient. „Einmal die Zunge zeigen.“ Hanzl
verordnet eine Infusionsserie, morgen komme Schwester Renate vorbei, oder
„die Evi“. „Die kontrollieren dann auch, ob Sie Nebenwirkungen vom Pflast…
haben, ob Sie plötzlich bunte Bäume sehen oder ganz hippiemäßig werden.“
Hanzl kniet am Couchtisch, tippt parallel ein paar Dinge in seinen Laptop.
Am Montag will er selber noch mal wiederkommen.
„Der Hanzl kennt unsere gesamte Krankheitsgeschichte, von der ganzen
Familie“, sagt Herr Baum. Es sei „ganz wichtig, gaaaaanz wichtig“, dass d…
Arzt bei ihnen zu Hause vorbeikomme, er und seine Frau seien ja nicht mehr
mobil und die Kinder woanders. Eigentlich möchte er schon seit einer Weile
zum Augenarzt, „aber das mach ich jetzt halt nicht.“ Termine gäbe es
frühestens in einem halben Jahr und er komme da ja auch gar nicht hin.
Zumindest würden die Schmerzen jetzt weniger, sagt Hanzl und geht nun
wirklich Richtung Haustür. „Herr Doktor, wir bedanken uns recht herzlich!“,
ruft Frau Baum. „Doktor! Danke!“, sagt ihr Mann. „Nu!“, antwortet Gottf…
Hanzl.
Zurück im Wagen legt Hanzl den Rückwärtsgang ein, im Radio singt
Schlagersängerin Trude Herr leise „Frau von Format“. Keine Stunde waren der
Arzt und Schwester Jona unterwegs, sie haben Verbände gewechselt,
Atemgeräusche abgehört, Blut abgenommen, Rezepte ausgestellt und
Folgetermine vereinbart. Rein ins Haus, Patient:in begutachten, zurück
ins Auto, Blick aufs Klemmbrett, weiter. Ausnahmslos alle Haustüren waren
nur angelehnt heute, die Bewohner:innen sind Menschen im hohen Alter,
denen schon ein paar Schritte durch den eigenen Flur Mühe bereiten. Den Weg
in die Praxis auf sich nehmen, dort auf unbestimmte Zeit im Wartezimmer
rumsitzen – undenkbar. Dass es Dr. Hanzl gibt, ist für sie ein großes
Glück.
Bundesweit herrscht auf dem Land [2][Ärztemangel]. In Sachsen sind fast 400
Stellen momentan unbesetzt – vor zehn Jahren waren es nur knapp 200. Ein
Drittel der Menschen im Freistaat sind medizinisch unterversorgt. Fragt man
die Leute in der Region um Oderwitz, was sich in ihrem Alltag zum Negativen
entwickelt, dann hört man immer wieder: Niemand da, der den so vertrauten
und sich nun im Ruhestand befindenden Hausarzt ersetzen möchte. Weite Wege,
lange Wartezeiten. Und von Spezialpraxen will man gar nicht erst anfangen:
40 Kilometer nach Bautzen zum HNO fahren? Das kommt vor.
[3][Laut einer Umfrage] aus dem Herbst vergangenen Jahres halten die
Menschen in Sachsen die medizinische Grundversorgung für eines der
drängendsten politischen Themen. In der Region Löbau-Zittau, wo sich Hanzls
Praxis befindet, fehlen ganz konkret gerade mehr als ein Dutzend Hausärzte,
etwas weniger als die Hälfte der noch Praktizierenden sind über 60. Hanzl,
74 Jahre alt, ist der wahrscheinlich älteste von ihnen. Ob er demnächst mal
in Rente gehen wolle, ist eine der wenigen Fragen, die Hanzl nicht mit
„Nu!“ beantwortet, sondern mit einem lang gezogenen „Nööööö!“. Das…
nicht aufhören will, trifft sich gut mit der Tatsache, dass er gar nicht
aufhören kann. Auch er findet niemanden, der die Praxis übernehmen will.
Aber alles halb so wild, er trete ja längst kürzer, mache nur noch 30
Stunden in der Woche und freitags um 15 Uhr Feierabend.
Dass das womöglich nicht ganz stimmt, verrät Schwester Jonas Blick auf dem
Beifahrersitz, und auch Hanzl gibt zu: „Es gibt Menschen, die behaupten,
ich mache mehr. Aber offiziell ist das so, wie ich gesagt habe.“ Während er
erzählt, klingelt sein Handy. Der Mann einer Patientin fragt nach einem
kurzfristigen Termin. „Übermorgen, am Samstag, um halb zehn soll sie
kommen“, sagt Hanzl. Da sei Spezialsprechstunde, für alle, die zu weit weg
wohnen oder viel arbeiten müssen.
Der Landarzt kümmert sich darum, dass für seine 2.800 Patient:innen
versorgungstechnisch alles recht komfortabel bleibt – und das seit mehr als
30 Jahren. Ende der Achtziger errichtete er sein Ambulatorium quasi
eigenhändig, fungierte als Bauleiter, Materialbeschaffer und Logistikchef.
Die Gemeinde und einige Betriebe in Oderwitz finanzierten den Umbau der
damals leer stehenden Baracke an der Scheringer Straße. Heute ist das
Ambulatorium 200 Quadratmeter groß und beheimatet noch eine Logopädie und
einen Mobilen Pflegedienst. Ungefähr ein Dutzend Ärzt:innen hat er in den
vergangenen Jahrzehnten dort ausgebildet, täglich werden über die Schwelle
seiner Praxis Neugeborene im Kinderwagen und Greise im Rollstuhl geschoben,
alle dazwischen betreut Hanzl auch – oder sucht sie gleich in ihren eigenen
Wohnzimmern auf.
Für den groß gewachsenen, jünger als Mitte 70 wirkenden Hanzl sind
Hausbesuche einer der Grundpfeiler seiner Arbeit. Während kaum noch
Ärzt:innen Kapazitäten dafür haben, beobachtet Hanzl, dass der Bedarf
eigentlich größer wird. Immer mehr Alten fehlt es an Angehörigen in
direkter Umgebung, deren Kinder gründen ihre eigenen Familien in den großen
Städten. Keiner da, der die betagten Eltern in die Praxis begleitet. Hanzl
teilt seine Hausbesuche auf in chronisch und akut. Es gibt Patient:innen,
die besucht er alle zwei, vier oder sechs Wochen. „Da macht man sich ’nen
Schlachtplan.“
Akut sind heute ein Herr, der über Schwindel klagt und eine Frau, die
gerade eine Hüft-OP hinter sich hat. All seine auszubildenden Ärzt:innen
bekommen die Hausbesuche „in die Wiege gelegt“, den meisten mache der
kleine Roadtrip durch die Umgebung Freude. Nicht zuletzt wohl auch wegen
der Dankbarkeit, die einem da als Arzt entgegenschlage. Denn die
Hausbesuchten rund um Oderwitz sind sich ihres Privilegs bewusst. All
seinen auszubildenden Ärzt:innen lege er nahe, sich irgendwo in der
Region eine Anstellung zu suchen. Gottfried Hanzl, jahrelanger
Hausärzte-Sprecher und gewählter Vertreter der Kassenärztlichen Vereinigung
Sachsens in der Region, sorge dann auch dafür, dass sie eine Stelle
bekommen. Aber niederlassen will sich eben kaum jemand auf dem Land.
Die Politik, findet er, habe genug getan, um gegenzusteuern. So werden seit
dem Wintersemester 2022/23 6,5 Prozent der Medizinstudienplätze in Sachsen
an angehende Hausärzt:innen vergeben, die auf dem Land praktizieren
wollen. Dazu gibt es das [4][Sächsische Hausarztstipendium] vom
Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz, das sich an
Medizinstudent:innen im ersten Semester richtet. Wenn sich die Studis
bereit erklären, ihre jährlichen Hospitationen in sächsischen
Hausarztpraxen zu absolvieren und im Anschluss sechs Jahre auf dem Land
praktizieren, bekommen sie für die Dauer ihres Studiums monatlich 1.000
Euro.
Wer in unterversorgten Gebieten eine Praxis neueröffnet oder übernimmt,
kann außerdem bis zu 100.000 Euro Förderung beantragen. Weitere geplante
Maßnahmen, die sich in den Wahlprogrammen der Parteien vor der
[5][Landtagswahl am 1. September] wiederfinden: die Einrichtung von
„Niederlassungsfahrschulen“, in denen Hausärzt:innen dabei geholfen
wird, eine eigene Praxis zu gründen, Stärkung kommunaler
Gesundheitszentren, leichterer Zugang zum Studium sowie mehr Telemedizin.
Aber Hanzl, der vier Mal im Semester als Dozent für Allgemeinmedizin an der
TU Dresden arbeitet, beobachtet eben auch, dass die jungen Leute glauben,
„das schönste Leben ist in der Großstadt.“ Weil man da jeden Abend in die
Oper könne. Und die Jungen generell ja so viel Wert legten auf ihre
Freizeitgestaltung. „Die wollen alle eine Work-Life-Crisis …?“ „Balance…
Balance!“, sagt er und lacht. Er sitzt jetzt im Pausenraum, das Knie an die
Brust rangezogen. Kurz verschnaufen, bevor es gleich im Behandlungszimmer
weitergeht. An der Pinnwand hinter ihm hängt der Essensplan für diese
Woche: heute Möhreneintopf, morgen Seelachsfilet. In einer Vitrine am
Kopfende des Raumes stehen mehrere dicke Bände „Praxischronik“, daneben
aufeinandergestapelte Pralinenpackungen von glücklichen Patient:innen.
„Die jungen Leute wollen 9 bis 15 Uhr, aber die werden schnell merken, dass
es mehr Zeit braucht für eine innere Festigkeit.“ Was er damit meint? Um
das mentale Gleichgewicht zu halten, müssten Erfolgserlebnisse her, sagt
er. „Drei, vier Menschen geholfen zu haben, nach einem Misserfolg.
Medizinisch, oder weil man ihnen einen Arbeitsplatz besorgt hat oder die
Erwerbsunfähigkeitsrente ermöglicht oder ein wichtiges Attest ausgestellt
hat. Das sind Kleinigkeiten, aber die braucht es.“
Hanzl hat viele Weisheiten solcher Art. Er meint sie alle gut, ihm ist
wichtig, dass der Nachwuchs einen realistischen Blick auf den Beruf
bekommt. Einmal ging das nach hinten los, da riet er einer seiner
Studentinnen das mit der Chirurgie besser sein zu lassen, „in dieser
Männerwelt, die machen dich kaputt“, habe er gesagt. Die Studentin ging zum
Gleichstellungsbeauftragten, Hanzl kam noch mal davon. Umstimmen, doch
Hausärztin zu werden, konnte er sie jedenfalls nicht.
In letzter Zeit beobachte er allerdings eine Art Kehrtwende, die ihn
optimistisch macht. Da seien ein paar junge Kollegen und Kolleginnen „in
der Pipeline“, die mit der ländlichen Region liebäugelten. Denn die
Medizinstudent:innen sehnten sich nach einer anspruchsvollen
Tätigkeit und Landarzt werden sei da genau das Richtige. „Weil man nämlich
immer mitdenken muss, dass die Fachärzte nicht um die Ecke sind.“ Anders
als in der Stadt könne man die Patienten hier nicht einfach eine Straße
weiter zum Orthopäden schicken, man sei da als Hausarzt selbst gefragt. Und
wenn dann doch kein Weg an der Überweisung vorbeiführe, dann müsse die
präzise sein – „ich kann da nicht ‚krummer Finger‘ draufschreiben.“ …
Fachärzt:innen in der Region seien so überlastet, und gute Beziehungen
zu ihnen essentiell.
Zu einem von diesen Fachärzten hat Hanzl eine ganz besondere Verbindung. Er
ist Dermatologe, heißt Ivo Hohlfeld und hatte einen Einfall, der bei Hanzl
sehr gut ankam. Denn rund um Oderwitz fehlen natürlich auch Hautärzte, alle
vier Praxen, die es einmal gab, stehen leer. Für genau diese
unterversorgten Regionen entwickelte Hohlfeld, damals tätig an der
Uniklinik Leipzig, vor ein paar Jahren das [6][„dermatologische
Telekonsil“.]
Die Idee: Hausärzt:innen werden ausgestattet mit besonderer Lupe, iPad
und einem darin eingespeicherten ausführlichen Fragebogen zu den Symptomen
des Patienten. Praxismitarbeiter:innen schicken die hochaufgelösten
Bilder der Hautauffälligkeiten zu Hohlfeld und seinen Kolleg:innen, die
melden sich innerhalb weniger Tage zurück, geben Diagnose und
Therapieempfehlung ab. Wenn nötig schickt Hanzl im Anschluss eine Probe in
die nächste Hautklinik nach Görlitz, „und Sie werden nicht glauben, zwei,
drei Mal im Monat ist da ein Hautkrebs dabei“, sagt Hanzl.
80 Prozent der Patient:innen, die sich mit Hautangelegenheiten an ihn
wenden, könne er so selbst versorgen, 20 Prozent müssten zum Spezialisten.
Für diese 20 Prozent gibt es einen Katalog mit acht Hautärzt:innen in
Bautzen, Hoyerswerda oder Görlitz, bei denen die Patient:innen sofort
einen Termin bekämen. Win-win, findet Hanzl, denn die Hautärzt:innen in
der Region müssten sich nur mit echten Fällen befassen und für seine
Schwestern, die in das gesamte Prozedere fest eingebunden sind – von der
Übermittlung der Daten bis zur Nachsorge der OP-Wunde – wäre das Ganze „e…
schöner Anreiz, mal was anderes zu machen“.
Insbesondere in Zeiten, in denen immer mehr Menschen an Hautkrebs
erkranken. Erst kürzlich teilte das Statistische Bundesamt mit, dass 2022
4.400 Menschen an den Folgen eines Melanoms starben – 63 Prozent mehr als
im Jahr 2002. Über die Hälfte der 2022 Verstorbenen waren 80 Jahre alt oder
älter. Dass die verstärkte UV-Strahlung durch den Klimawandel diese
Entwicklung noch begünstigt, ist lange bekannt. Die Kassenärztliche
Vereinigung Sachsens versucht nun in Löbau-Zittau mit einer von ihr
geführten Praxis gegenzusteuern. Dermatolog:innen, die sich nicht
niederlassen wollen, weil ihnen eine Praxisgründung zu risikoreich ist,
könnten dort als normale Angestellte arbeiten. Konkret umgesetzt ist das
Ganze aber noch nicht.
## Hautkrebs mit iPad und Lupe erkennen
Bis dahin also Lupe und iPad: „Zu sagen, dass die Telederma den Hautarzt
ersetzt, wäre absolut überheblich“, sagt Hanzl. „Aber es ist ein Versuch,
die Patienten heimatnah in der Region in der Versorgung zu belassen“,
ergänzt Ivo Hohlfeld ein paar Tage später am Telefon. Versorgung sei das
Stichwort – denn Online-Hautchecks, wie es sie schon eine ganze Weile von
verschiedenen Anbietern im Netz gibt, beinhalten zwar eine
Therapieempfehlung, aber der Patient stehe dann „weiterhin im Nirvana“.
Zwar hat er eine Idee, um was für eine Erkrankung es sich handeln könnte –
„aber er findet eben keinen, der ihn behandelt.“
Über Hanzl sagt Hohlfeld, der Mann sei „eine Ikone“. „Wenn wir in jeder
Region einen so engagierten Arzt hätten, sähe unsere medizinische
Versorgung besser aus in Deutschland.“ Denn Hanzl war nicht nur sofort
elektrisiert von Hohlfelds Idee – er setzte sich auch lange dafür ein, dass
das „dermatologische Telekonsil“ Kassenleistung wird und die Ärzt:innen
nicht selber für die Technikkosten aufkommen müssen. Ein Jahr dauerte es,
bis sich die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen mit den Kassen einigte,
Anfang des Jahres gab es in Hanzls Praxis dann einen kleinen Festakt.
Die sächsische Sozialministerin Petra Köpping (SPD) kam vorbei, verteilte
Glückwünsche und betonte, dass Projekte wie dieses keine Ersatzlösung,
sondern die Zukunft seien. Mittlerweile machen 31 Hausärzt:innen in der
Region mit. Deutschlandweit ist das Projekt bisher einmalig. Hanzl
inspiriert das alles zu mehr, am liebsten würde er gleich noch eine
„Tele-Rheuma“ implementieren. Denn Rheumatolog:innen gibt es noch viel
weniger als Hautärzt:innen. Auch hier würde eine Vorauswahl Sinn machen,
findet er. In Hanzls Büro hängt ein selbstgemaltes Bild mit der Aufschrift
„Lass dir nicht einfach erzählen, deine Pläne wären zu groß.“ Für den
Landarzt, der unter anderem vor ein paar Jahren in der Region die erste
Tagespflege für Demenzkranke gründete, scheint das keine Floskel zu sein.
2021 wurde er dafür von der Sächsischen Landesärztekammer mit einer
Ehrenmedaille ausgezeichnet. Der Laudator lobte seine „gelebte ärztliche
Kollegialität, Verlässlichkeit, Geradlinigkeit und Abneigung von
Populismus“. Letzteres trainiert er vor allem auf den Hausbesuchen, wenn
die Leute ihm wieder mal erzählen wollen, wie furchtbar alles ist. Hanzl
beobachte schon seit einer Weile, dass die Unzufriedenheit wachse, „dieses
tägliche Verarbeiten der Nachrichten“ über alle möglichen, auch unseriösen
Kanäle, „dass da vieles für bare Münze gehalten wird“, sagt er. Der Krieg
in Europa, die Inflation. Seine Patient:innen machten sich neuerdings
ständig Sorgen, das sei früher anders gewesen.
Hanzl ist CDU-Mitglied, engagierte sich lange im Oderwitzer Gemeinderat. Er
ist es gewohnt, dass seine Patient:innen mit ihm über Politik sprechen
wollen, „und das lasse ich auch auf jeden Fall zu, wenn das notwendig ist.“
Aber immer häufiger würde er den Leuten heute sagen: Schauen Sie sich doch
mal um, Sie haben ein schönes Häusl, da ist alles in Ordnung, machen Sie
sich abends ein Bier auf und gehen Sie mal rüber zum Nachbarn und reden mit
dem.“ Er betone dann: „Leute, seid doch froh, dass ihr hier wohnt.“ Es ge…
ausreichend Bahnanbindung, Kaufhallen, Schulen und Apotheken. „Was wir
alles haben, sag ich. Und dann sagen sie auch schon mal: Stimmt, da haben
Sie recht, Doktor.“
Die Menschen, die [7][im Nachbarort Zittau] zu den rechtsextremen
Montagsdemos gingen, seien alles furchtbare Besserwisser ohne Lösungen, die
am Tage keine Verantwortung hätten, sagt Hanzl. Immerhin sei in Oderwitz
noch alles halbwegs im Lot, die Freien Sachsen im Gemeinderat schon immer
chancenlos, und die AfD habe im Ort eh noch nie was auf die Kette gekriegt.
Bei der Kommunalwahl ein paar Tage später verlor sie ihren einzigen Sitz.
Doch auch wenn generell der Glaube sinke, an die Politik, die Verwaltung,
an das, was die Zukunft mit sich bringe – das Vertrauen in den Hausarzt,
das ist hier riesengroß, sagt Abraham Bucek, Mitarbeiter von Doktor Hanzl.
„Wenn die Leute vom Dach fallen, dann rufen die zuerst bei uns an.“ Kein
Problem, im Zweifel sei jemand aus der Praxis gerade eh in der
Nachbarschaft unterwegs.
*Name geändert
18 Jul 2024
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## AUTOREN
Leonie Gubela
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