| # taz.de -- Hausärztemangel in Ost-Berlin: Schlecht mit Hausärzten versorgt | |
| > In den Ostbezirken Berlins fehlen Hausärzte. Die Kassenärztliche | |
| > Vereinigung will dem mit der Eröffnung eigener Praxen entgegenwirken. | |
| Bild: Nach einem Leitungswechsel will die KV Berlin beim Ärztemangel im Osten … | |
| Berlin taz | Lichtenbergs Bürgermeister Michael Grunst (Linke) freut sich, | |
| [1][dass die Kassenärztliche Vereinigung Berlin in seinem Bezirk eigene | |
| Arztpraxen eröffnet], um den Ärztemangel abzumildern. Der Ostbezirk ist mit | |
| 82 Prozent im berlinweiten Vergleich am schlechtesten mit Hausärzten | |
| versorgt. | |
| „Es ist wichtig, dass da endlich gegengesteuert wird, denn die Uhr tickt“, | |
| sagt der Bezirksbürgermeister der taz. „Auf der einen Seite hat Lichtenberg | |
| in den letzten zehn Jahren rund 50.000 Bewohner hinzugewonnen und der | |
| Bezirk wächst weiter. Auf der anderen Seite gehen gerade jetzt viele | |
| Ärztinnen und Ärzte in Rente und sie finden keine Nachfolger.“ So | |
| praktiziere beispielsweise eine 84-jährige Ärztin in Lichtenberg noch | |
| immer, weil sie niemanden finde, der ihre Praxis übernimmt. „Sie ist eine | |
| beeindruckende Frau, die ihre Patienten nicht im Stich lassen will“, sagt | |
| der Bürgermeister. | |
| Ärzte sind in Berlin ungleich verteilt. Arztpraxen in | |
| Charlottenburg-Wilmersdorf und Steglitz-Zehlendorf müssen – statistisch | |
| gesehen – relativ wenige Kassenpatienten versorgen. Sie sind in der Lage, | |
| kurzfristig Termine zu vergeben und müssen ihre Kontingente für die | |
| Verschreibung von Medikamenten und Physiotherapien auf weniger Patienten | |
| verteilen. | |
| [2][Das andere Extrem in den Ostbezirken Lichtenberg, Treptow-Köpenick und | |
| Marzahn-Hellersdorf]: Wartezeiten von zwei Monaten auf Termine bei Haus- | |
| und einigen Fachärzten sind hier normal. Das Problem besteht seit Jahren, | |
| aber erst seit diesem Jahr steuert die Kassenärztliche Vereinigung dagegen. | |
| Sie unterstützt Hausärzte finanziell, die sich in den chronisch | |
| unterbesetzten Ostbezirken niederlassen wollen. Und sie betreibt seit | |
| wenigen Tagen eine Arztpraxis in eigener Trägerschaft in Lichtenberg. | |
| Weitere sollen folgen. | |
| ## Durch die halbe Stadt fahren | |
| Der Grund für die ungleiche Ärzteverteilung liegt auf der Hand: Ärzte | |
| lassen sich lieber dort nieder, wo es viele Privatversicherte gibt. Das | |
| sind die gutbürgerlichen Bezirke im Südwesten, zunehmend aber auch Teile | |
| von Mitte und Pankow. Die Kassenärztliche Vereinigung – also die | |
| Standesvertretung der niedergelassenen Ärzte –, hatte jahrelang die Augen | |
| vor dem Problem verschlossen. Aus ihrer Sicht war es ein Problem, wenn ein | |
| Arzt im Ruhestand aus dem bürgerlichen Steglitz seine gut gehende Praxis | |
| nicht am selben Standort gewinnbringend verkaufen konnte. Kein Problem | |
| schien es dagegen zu sein, wenn kranke Menschen aus Schöneweide durch die | |
| halbe Stadt fahren mussten, um einen Arzt zu finden. | |
| Uta F. aus Lichtenberg erzählt der taz, wie sie den Ärztemangel am eigenen | |
| Leib erfuhr: Nach einer Schulterfraktur mit Operation musste sie zuerst | |
| lange bei ihrer Orthopädin auf einen Termin warten. „Dann sagte sie, die | |
| vom Krankenhaus dringend empfohlene Physiotherapie könne sie mir erst im | |
| nächsten Quartal verschreiben, weil sie für dieses Quartal kein Kontingent | |
| mehr habe.“ Uta F. sprach das Problem bei der Nachsorgeuntersuchung im | |
| Krankenhaus an. „Der Arzt schüttelte den Kopf, er sagte, er könne das schon | |
| gar nicht mehr hören, und schickte mich zum Sozialdienst des | |
| Krankenhauses.“ | |
| Dort bekam die Frau eine Reha verschrieben. Eine andere Erfahrung machte | |
| José Z. aus Köpenick: Er musste mit Oberleibschmerzen die Rettungsstelle | |
| eines Krankenhauses aufsuchen, weil er keinen Arzt fand. „Seit ich in | |
| Berlin wohnte, ging ich mit Infekten immer zu einer | |
| Hals-Nasen-Ohren-Ärztin, einen Hausarzt fand ich nicht.“ Im Krankenhaus | |
| diagnostizierte man Gallensteine und riet ihm zur Operation. | |
| José Z. wollte eine zweite Meinung einholen. Eine Arbeitskollegin empfahl | |
| ihm die Arztpraxis in Zehlendorf, in der ihr Bruder arbeitete. „Dort bekam | |
| ich schon für den folgenden Tag einen Termin. Bei der Aufnahme musste ich | |
| einen Bogen ausfüllen. Darin wurde ich sogar gefragt, wer mir diese Praxis | |
| empfohlen hatte. Wahrscheinlich suchen sie neue Patienten.“ Notgedrungen | |
| nimmt der Mann seitdem eineinhalb Stunden Weg zum Arzt auf sich. | |
| ## „Ich musste zahlen“ | |
| Sabine N. aus Lichtenberg musste wegen eines schmerzhaften Hautausschlages | |
| die Rettungsstelle eines Krankenhauses aufsuchen. „Das war wenige Tage vor | |
| Ostern. Mein Hautarzt hatte Urlaub, meine Hausärztin keine Termine mehr bis | |
| Ostern.“ Auf der Rettungsstelle verschrieb man der Frau eine Salbe. Sabine | |
| N.: „Das war ein Privatrezept. Ich sollte es bei einem niedergelassenen | |
| Arzt gegen ein Kassenrezept eintauschen. Aber das war bis Ostern unmöglich. | |
| Ich musste zahlen.“ | |
| Dass die Kassenärztliche Vereinigung das Problem der ungleichen | |
| Ärzteverteilung in Berlin endlich ernst nimmt, erklärt Michael Grunst mit | |
| einem Wechsel in deren Leitung während der letzten Legislaturperiode. „Die | |
| neue Leitung ist da ganz anders sensibilisiert.“ Bei der alten hätten | |
| PolitikerInnen aus den Ostbezirken keine Gesprächsbereitschaft dafür | |
| gefunden, sagt er. | |
| Druck auf die Standesvertretung gab es von vielen Seiten, weiß Grunst. | |
| Beispielsweise aus den Krankenhäusern im Osten, weil viele Patienten mit | |
| ihren eher kleinen Anliegen zu den Notaufnahmen gehen. Wohin sollen sie | |
| auch sonst gehen? Das Sana-Klinikum in Lichtenberg habe, so Grunst, bereits | |
| ein Medizinisches Versorgungszentrum mit angestellten Ärzten aufgebaut, um | |
| den Ärztemangel aufzufangen. | |
| Der Bezirk habe sich im Januar mit der Kassenärztlichen Vereinigung, den | |
| Krankenhäusern und der HoWoGe an einen Tisch gesetzt und nach Lösungen | |
| gesucht, sagt der Bürgermeister. Die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft | |
| HoWoGe will in Neubaugebieten Räume für Arztpraxen schaffen, die in | |
| Lichtenberg ebenso fehlen. | |
| ## Es gibt einen Mentalitätswechsel | |
| Doch auch in der Ärzteschaft gibt es einen Mentalitätswechsel. Arbeiteten | |
| vor zehn Jahren nur 11 Prozent aller Berliner Hausärzte im | |
| Angestelltenverhältnis, sind es heute nach Angaben der Kassenärztlichen | |
| Vereinigung 24 Prozent. Neben den sozialen Vorteilen schätzen Ärztinnen und | |
| Ärzte da auch die Möglichkeit, in Teilzeit zu arbeiten und den besseren | |
| fachlichen Austausch, wenn sie mit vielen Kollegen unter einem Dach | |
| arbeiten. | |
| Dass das gemeinsame Arbeiten mit Kollegen geschätzt wird, sieht man in | |
| Berlin beispielsweise am [3][Gesundheitszentrum im Wissenschafts- und | |
| Technologiepark Adlershof.] Hier haben sich 35 hoch spezialisierte | |
| Arztpraxen beispielsweise für Internistik, Augenheilkunde und Radiologie | |
| mit modernen Diagnostik- und Behandlungsmethoden angesiedelt, die vom | |
| fachlichen Austausch miteinander profitieren. | |
| Rund vier Kilometer weiter in den wenig urban geprägten Ortsteilen | |
| Altglienicke und Bohnsdorf herrscht hingegen der berlinweit fast stärkste | |
| Ärztemangel. Wegen der Siedlungsstruktur und der weiten Wege machen hier | |
| für Hausärzte eher Einzelpraxen Sinn – und dafür gibt es kaum Bewerber. | |
| 26 Jul 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Aerztemangel-in-Berlin/!5865030 | |
| [2] /Aerztemangel-in-Berlin/!5864004 | |
| [3] https://gesundheitszentrum-adlershof.medicum-deutschland.de/ | |
| ## AUTOREN | |
| Marina Mai | |
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