Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- SPD-Kritik an Aufrüstung: Ein Manifest der Realitätsverweigerung
> Einige SPD-Politiker fordern „gemeinsame Sicherheit“ mit Russland. Dem
> zugrunde liegt eine Fehleinschätzung des mörderischen russischen Regimes.
Bild: Derweil die Realität: Tägliche Drohnenangriffe, wie hier in Kyjiw
Die nächtlichen russischen Drohnenattacken auf die Ukraine haben einen
traurigen Rekord erreicht. Am Montag teilte die ukrainische Luftwaffe mit,
Russland habe über Nacht 499 Waffen auf die Ukraine abgefeuert, 479 Drohnen
sowie Marschflugkörper und Raketen.
In der Nacht darauf folgte einer der schlimmsten Angriffe auf die
ukrainische Hauptstadt seit Beginn der Großinvasion. Es wurden mehrere
Wohnhäuser getroffen, der Luftalarm dauerte fünf Stunden an. Man stelle
sich vor, nach einer solchen schlaflosen Nacht seinen alltäglichen
Verpflichtungen nachkommen zu müssen. Monat für Monat nehmen die
nächtlichen Luftangriffe zu, werden Zivilist:innen verletzt und
sterben. An der Front schreitet derweil die Offensive der russischen Armee
voran, die Kämpfe erreichen Sumy und wohl auch die Region Dnipropetrowsk,
die bisher verschont geblieben waren.
Wolodymyr Selenskyj bestätigte, dass die Trump-Regierung 20.000
versprochene Antidrohnenraketen statt in die Ukraine nun an US-Truppen in
den Nahen Osten schicke. Es sind 20.000 Geschosse, mit denen russische
Angriffe auf ukrainische Städte abgewehrt werden können, die jetzt fehlen.
Die ukrainische Luftabwehr braucht diese Waffen. Ohne sie wären die
ukrainischen Zivilist:innen den brutalen nächtlichen Angriffen
schutzlos ausgeliefert.
Die Ukraine benötigt in Zeiten der Abkehr der USA mehr denn je
entschlossene Unterstützung aus Europa in Form von Waffenlieferungen und
hartem Vorgehen gegen Russland. Alles andere versteht der Kreml als
Zugeständnis, als Zeichen der Schwäche und Einladung, weiterzumachen. Es
ist ein wichtiges Signal, dass Verteidigungsminister Boris Pistorius für
weitere Gespräche über Militärhilfe am Donnerstagmorgen in Kyjiw eintraf.
Doch überschattet wird sein Besuch von einem [1][zwei Tage zuvor
veröffentlichten „Manifest“ seiner SPD-Parteigenossen].
Bei dem mit „Friedenssicherung in Europa durch Verteidigungsfähigkeit,
Rüstungskontrolle und Verständigung“ überschriebenen Grundsatzpapier
handelt es sich in Wahrheit um ein zynisches Putinversteher-Manifest, das
die derzeitige Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung und der
eigenen Parteispitze infrage stellt. Mehrere mehr oder weniger prominente
Parteilinke fordern darin eine „schrittweise Rückkehr zur Entspannung der
Beziehungen und einer Zusammenarbeit“, also Appeasement mit Russland,
kritisieren „einseitige Schuldzuweisungen“ im Ukrainekrieg, die
Stationierung von US-Mittelstreckenraketen und die im Koalitionsvertrag
festgesetzte Erhöhung der Militärausgaben.
Das Wort Ukraine kommt im „Manifest“ nur viermal vor, die schrecklichen
russischen Luftangriffe, die ukrainische Zivilist:innen Nacht für Nacht
terrorisieren, schon gar nicht. Es wird zwar eine „möglichst schnelle
Beendigung des Tötens und Sterbens in der Ukraine“ gefordert, doch wie das
geschehen soll, verrät man nicht.
Stattdessen wird die Ostpolitik Willy Brandts idealisiert im Glauben,
Putins Russland ließe sich mit den alten Mitteln mäßigen. „Wandel durch
Annäherung“ mag den damaligen Kalten Krieg entspannt haben, trug aber auch
dazu bei, autoritäre Regime in Osteuropa zu stabilisieren – und legte den
Grundstein für eine Energieabhängigkeit, die später massiv ausgebaut wurde.
Die deutschen Gaseinkäufe über Nord Stream ermöglichten es Russland, seine
Kriegführung in der Ukraine seit 2014 mitzufinanzieren.
Federführend beim „Manifest“ ist der Bundestagsabgeordnete Ralf Stegner,
der in der vergangenen Legislaturperiode im Parlamentarischen
Kontrollgremium saß, das die Arbeit der Geheimdienste überwacht und damit
über für die deutsche Sicherheit kritische Informationen verfügt. Erst
kürzlich reiste er heimlich zu einem angeblich „privaten“ Treffen mit
hochrangigen russischen Vertretern in einem Luxushotel in Baku. Das müsste
eigentlich ein Skandal sein, doch die Empörung währte nur kurz.
Konsequenzen blieben aus, und zwei Monate später folgt nun dieses Papier.
## Kooperation in Cybersicherheit mit einem Cyberaggressor?
Es verhöhnt nicht nur die Menschen in der Ukraine, die darin geäußerten
Forderungen würden zudem die Sicherheit Deutschlands und Europas bedrohen.
Man müsse „wieder an einer Friedenspolitik mit dem Ziel gemeinsamer
Sicherheit arbeiten“, heißt es darin. Und wie stellen sich die
Genoss:innen das vor? Unter anderem durch „erste technische
Kooperationen etwa im Katastrophenschutz oder der Cybersicherheit sowie die
behutsame Wiederaufnahme diplomatischer Kontakte“. Das ist wahrlich absurd,
führt doch Russland schon längst einen hybriden Krieg mit Desinformation,
Cyberattacken und „[2][Wegwerfagenten“] gegen Deutschland.
Der bisherige BND-Chef Bruno Kahl sagte am Montag im Podcast „Table.Today“,
er sei sich sicher und habe dafür auch nachrichtendienstliche Belege, dass
die Ukraine „nur ein Schritt auf dem Weg nach Westen“ sei. In Moskau gebe
es „Leute, die glauben nicht mehr, dass Artikel 5 der Nato funktioniert.
Und sie würden das gerne testen.“ Die einzige Lösung, so Kahl, sei
militärische Abschreckung.
Das „Manifest“ ist in der Tat ein bitteres Zeugnis der
Realitätsverweigerung. Pistorius hat recht, wenn er das benennt und meint,
es missbrauche den Wunsch der Menschen nach Frieden.
Es war Putin, der nicht bei den von ihm selbst vorgeschlagenen
Verhandlungen in Istanbul erschienen ist. Der Kreml will nämlich überhaupt
keinen Frieden, er beansprucht die gesamte Ukraine für sich. Das
verheimlicht er ebenso wenig wie seinen Hass auf Europa.
Die Fantasie, Berlin einzunehmen oder alternativ eine Atombombe darauf
abzuwerfen, wird immer wieder von russischen Politiker:innen und
Propagandist:innen geäußert. Einer neuen Umfrage des
Meinungsforschungsinstituts Lewada-Zentrum zufolge werde Deutschland in der
Bevölkerung als Hauptfeind wahrgenommen. Sicherheitsexpert:innen
befürchten, dass Russland in den nächsten Jahren weitere Länder angreifen
könnte. Polen und die baltischen Staaten stellen sich schon auf das
Schlimmste ein.
Wer immer noch nicht verstanden hat, dass Putins imperialistisches Russland
dringend gestoppt werden muss und nur zu einem Frieden gezwungen werden
kann, der ist nicht einfach nur naiv, sondern schlägt einen
brandgefährlichen, russlandapologetischen Kurs vor. Und ein solcher ist
nicht nur existenziell bedrohlich für die Ukraine, sondern auch für
Deutschland und den Rest des Kontinents.
12 Jun 2025
## LINKS
[1] /Hohe-Verteidigungsausgaben/!6090283
[2] /Spionage-Prozess-in-Muenchen/!6085965
## AUTOREN
Yelizaveta Landenberger
## TAGS
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Frieden und Krieg
SPD
Aufrüstung
Russland
Nato
SPD
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
## ARTIKEL ZUM THEMA
Manifest der SPD-Linken: Kritik ist kein Verrat
Das Manifest der linken Sozialdemokraten mag nicht bis ins Detail
durchdacht sein. Doch in der Debatte um Aufrüstung verdient es
Aufmerksamkeit.
Hohe Verteidigungsausgaben: SPD-Linke warnen vor Rüstungswettlauf
Ein Manifest fordert Abrüstung und stellt das Ziel von fünf Prozent für
Verteidigung infrage. Die Debatte dürfte auch den SPD-Parteitag
beschäftigen.
Krieg in der Ukraine: Wie Russland Jugendliche für den Terror gewinnt
Über Telegram werden ukrainische Jugendliche rekrutiert, um Terroranschläge
zu verüben. Für die jungen Täter geht der Auftrag oftmals tödlich aus.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.