# taz.de -- Puppenspiel Neville Tranters in Berlin: Selbst der Tod ist schlecht… | |
> Von den letzten Tagen im Führerbunker erzählte Puppenspieler Neville | |
> Tranter in „Schicklgruber“. Nikolaus Habjan inszeniert es am Deutschen | |
> Theater neu. | |
Bild: Der Tod hat Riesenhände, neben ihm sind der Führer, Blondi und Manuela … | |
Auch der Tod will mal Spaß haben. Er möchte einmal wenigstens etwas | |
Lebendiges aus seinem riesigen Zylinder zaubern. Große Gesten, | |
beschwörendes Murmeln, Schickl, Schickl, Gruber, Gruber, komm Birdie, komm | |
Vögelchen. Doch höchstens ein totes Huhn findet sich im Zylinder. | |
Sein riesiges Gebiss ist golden, seine Augen glühen rot im clownesken | |
Totenkopf. Er ist nicht gut gelaunt an diesem Tag im April 1945, im Bunker | |
des Führers in Berlin. Jetzt ist der Mann dran, der ihm viele Jahre so viel | |
Arbeit gemacht hat. Der Tod spielt mit ihm ein bisschen, jagt ihn dreimal | |
durch den Raum, reitend auf Blondi, seinem Schäferhund. Der Tod weiß, dass | |
sie alle sterben werden, die sich hier unter der Erde verschanzt haben, | |
beschäftigt mit abstrusen Fantasien, weit entfernt von der Realität des | |
Krieges draußen, der sich dem Ende nähert. | |
Der Führer und Eva Braun, Goebbels und Göring, Blondi und der Tod, sie | |
werden von Klappmaulpuppen gespielt in dem Stück „Schicklgruber“. [1][Der | |
australische Puppenspieler Neville Tranter] schrieb es 2003, ein Jahr vor | |
dem Film „Der Untergang“ von Oliver Hirschbiegel, der ebenfalls die | |
Geschichte der letzten Stunden im Führerbunker erzählt. „Schicklgruber“ | |
gehört zu den Stücken, mit denen es Tranter gelang, das Puppenspiel als | |
Kunstform für Erwachsene zu etablieren, das mit der Distanz zu den Figuren, | |
dem ambivalenten Verhältnis zwischen Spieler und Figur, auch schwer | |
aushaltbare Stoffe auf die Bühne bringen kann. Jetzt hat Tranter das Stück | |
an [2][Nikolaus Habjan] übergeben, mit dem er viele Stücke zusammen gemacht | |
hat. Die neue Koproduktion vom Deutschen Theater und dem Theater in der | |
Josefstadt in Wien kam in Berlin zur Premiere. Mit Habjan bewegt Manuela | |
Linshalm die Puppen und leiht ihnen ihre Stimme. | |
Es ist ein groteskes Kammerspiel, wie könnte es anders sein. Hitler brütet | |
über seinem Horoskop und will niemanden sehen, die beleidigte Eva Braun, | |
die endlich geheiratet werden will, flirtet derweil mit Goebbels. Der macht | |
am liebsten Witze über Göring, bei denen niemand mitlachen kann. Eifersucht | |
auf die Nähe zum Führer treibt sie um, dass der Krieg wohl verloren ist, | |
beschäftigt sie weniger als das Rauchverbot im Bunker. Mit den Masken und | |
Kostümen, die Tranter für sie erfunden hat, sehen sie längst schon aus wie | |
Gespenster. | |
Natürlich muss man über diese Puppen oft lachen. Ihre Armseligkeit steht in | |
krassem Gegensatz zu der Macht, die ihre Rollengeber verkörperten. Ihre | |
Scheinhaftigkeit ist ihr Vorteil. Sie sind berüchtigte Untote. | |
Die Verbrechen, für die der Nationalsozialismus verantwortlich war, spielen | |
in dieser Inszenierung eine schwer wahrnehmbare Rolle. Mit ihnen hat sich | |
Nikolaus Habjan in seinem dokumentarischen Stück „F. Zawrel – Erbbiologisch | |
und sozial minderwertig“ auseinandergesetzt, einer berührenden Geschichte | |
über Selektion, ermordete Kinder und die langlebigen Karrieren ehemaliger | |
NS-Gefolgsleute in Österreich. „Schicklgruber“ ist anders gestrickt. Es | |
beleuchtet Charaktere, die sich ohne einen Funken Bewusstsein und | |
Verantwortung für ihre verbrecherischen Taten aggressive und | |
selbstmitleidige Scharmützel liefern. | |
Schicklgruber, so lautete der Name von Adolf Hitlers Vater, bevor er – der | |
Vater – sich umbenannte. Der Tod benutzt diesen Namen als Zauberspruch. Er | |
wird zu einer Maske, abgelegt und ausgetauscht in der Hoffnung auf | |
Neuanfang und neue Reputation. Er steht für den Wunsch nach sozialem | |
Aufstieg, der auch ein Teil der Geschichte des Diktators Adolf Hitlers ist. | |
Das Stück buchstabiert diese Geschichte nicht aus, allein der Titel | |
verweist darauf. | |
Gehorchen, dienen, sich der NS-Ideologie unterwerfen; das war unabdingbar | |
für das nationalsozialistische System. Im Stück verkörpern Goebbels | |
Kindermädchen Martha und Hitlers Kammerdiener Heinz Linge diese angepassten | |
Charaktere. Nikolaus Habjan und Manuela Linshalm spielen diese beiden ohne | |
Masken. So erscheinen sie auf der Bühne in einem doppelten Sinn als [3][die | |
Diener und Bediener der Puppen]. Allein auf ihrer Seite wird ein Funken | |
Menschlichkeit sichtbar, wenn sie am Ende versuchen, Goebbels’ Kinder zur | |
Flucht zu bewegen, statt sie, den Anweisungen folgend, mit Zyankali | |
umzubringen. Doch es gibt keinen Ausweg aus diesem beklemmenden Totentanz. | |
1 Jun 2025 | |
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## AUTOREN | |
Katrin Bettina Müller | |
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