| # taz.de -- Theaterregisseur Jan Friedrich über AfD: „Was ist da passiert?“ | |
| > Mit „Onkel Werner“ ist Jan Friedrich bei den | |
| > Autor:innentheatertagen in Berlin dabei. Ein Gespräch mit dem | |
| > jungen Theaterregisseur. | |
| Bild: Das Nebeneinander der Figuren in „Onkel Werner“ | |
| Mit Händen greifbar scheinen die unguten Gefühle zwischen den Figuren, wenn | |
| das Stück „Onkel Werner“ beginnt. Aufgereiht stehen sie nebeneinander, viel | |
| leerer, mit Streitlust aufgeladener Raum zwischen ihnen. Was in ihnen | |
| rumort, die Angst vor der Zukunft, die Langeweile in der Provinz, die | |
| Traurigkeit und die Wut, formiert sich zwar zu Sätzen. | |
| Aber äußerlich bleiben sie wie festgeklebt an einem Punkt, nichts bewegt | |
| sich zwischen ihnen. Das ist der peinsame Anfang von „Onkel Werner“, | |
| inszeniert von dem jungen Regisseur Jan Friedrich am Theater Magdeburg und | |
| jetzt eingeladen zu den Autor:innentheatertagen (ATT) am Deutschen | |
| Theater in Berlin. | |
| „Onkel Werner“, so nennt sich eine heruntergekommene Pension in dem | |
| gleichnamigen Stück. Der Titel erinnert nicht zufällig an Anton Tschechows | |
| „Onkel Wanja“. „Tatsächlich sind fast alle Szenen und die Konstellationen | |
| aus dem Original. Die Dramaturgie ist erhalten geblieben. Selbst die | |
| Grundkonflikte“, erläutert Jan Friedrich. „Aber die Inhalte, über die | |
| verhandelt wird, haben sich verändert.“ Zusammen mit den | |
| Schauspieler:innen des Theaters Magdeburg hat er den Text auf den | |
| Proben weitergetrieben, bis in die Untiefen von Wutbürgertum und der | |
| Opferbehauptung des Beleidigten. | |
| Ihn und das Ensemble, erzählt Friedrich, habe umgetrieben: „wie es sein | |
| kann, dass Leute, die einmal links gewählt haben, jetzt auf einmal AfD | |
| wählen? Was ist da passiert? Hat das mit Werten oder persönlichen | |
| Frustrationen zu tun? Inwieweit geht es nur um das Dagegensein, gegen eine | |
| vermeintliche Elite?“ So entstand die Figur von Onkel Werner, Pensionswirt | |
| ohne Glück, der von sich behauptet, „einmal Ideale und eine linke | |
| Weltanschauung gehabt zu haben. Aber nach Enttäuschungen kehrt sich das um | |
| in eine komplette Abwertung und Hass“. | |
| ## Vorlagen in Ostdeutschland | |
| Jan Friedrich ist 1992 geboren, in Eisleben und in Halle aufgewachsen. Er | |
| fühlt sich durch seine Biografie persönlich betroffen von den erstarkenden | |
| rechten Tendenzen in Ostdeutschland, und nicht nur dort. Sein Stück | |
| überzeichnet die Charaktere, er sieht es nicht als „repräsentatives Bild | |
| der ostdeutschen Gesellschaft“. Aber dennoch sind solche Figuren in ihr | |
| präsent. Wenn er, der seit 12 Jahren in Berlin lebt, mit dem Regionalzug | |
| nach Magdeburg pendelt, denkt er manchmal, den Vorlagen seiner ausgedachten | |
| Figuren zu begegnen. | |
| Eisleben und Halle, das waren aber auch die Orte, an denen er in | |
| Theaterjugendclubs seine Zufluchten entdeckte und das Theater lieben | |
| lernte. In Magdeburg ist heute das Theater, an dem er bald zum vierten Mal | |
| inszeniert, [1][„Von Norden rollt ein Donner“, nach einem Roman von Markus | |
| Thielemann]. Das ist ein „toller Roman,“ schwärmt er, „halb realistisch, | |
| halb Fantasy. Ein Wolf kommt in die Lüneburger Heide.“ Und damit werden | |
| Prozesse ausgelöst, in denen völkische Fantasien wach werden und der | |
| Wahnsinn nicht nur unter der Oberfläche brodelt. | |
| Jan Friedrich hat an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in | |
| Berlin studiert, Schwerpunkt Puppenspiel. Seit er 2016 am Jungen Schauspiel | |
| Mannheim Goethes „Faust“ inszenierte, hat er an Theatern in Dortmund, Mainz | |
| und Oberhausen viele klassische Stoffe bearbeitet. Dabei versucht er immer | |
| wieder, die Stücke neu zu erfinden, einen besonderen Zugriff zu suchen. | |
| Das kann manchmal auch extrem formal sein, wie der „Woyzeck“, den er 2023 | |
| in Magdeburg mit der Ästhetik eines Videospiels erzählte. Woyzecks minimale | |
| Handlungsoptionen erscheinen als Inserts in Videobildern. In dieser | |
| düsteren Überschreibung von Büchner bewegen sich die Menschen wie | |
| mechanisch geführte Puppen, Bewegungsabläufe wiederholen sich, die Sprache | |
| schrumpelt auf wenige Sätze zusammen, von Schauspielern am Bühnenrand | |
| eingesprochen. Jeder Hauch von eigener Entscheidungsmacht geht unter in | |
| diesem Theater. | |
| ## Arbeit mit Videotechnik | |
| Das Interessante ist, dass diese „Woyzeck“-Fantasie nicht nur die Zwänge | |
| und die Erniedrigungen, denen die Titelfigur in Büchners Drama ausgesetzt | |
| ist, ins Unaushaltbare steigert, sondern dass damit zugleich das Medium des | |
| Videospiels, ein vermeintlicher Zufluchtsort für den Ausbruch aus der | |
| Realität, als kalter und trister Ort ausgewiesen wird, der die | |
| Vorstellungskraft ungeheuer einengt, statt sie zu beflügeln. | |
| Die Arbeit mit Videoaufnahmen ist für Friedrich immer attraktiv, er liebt | |
| das Nebeneinander von Film und Bühne und die Möglichkeiten, auch im Theater | |
| mit Nahaufnahmen der Gesichter zu arbeiten. Der Einsatz dieser technischen | |
| Mittel und wozu sie genutzt werden, gestaltet sich aber immer wieder | |
| anders. Mit der Inszenierung von [2][„Blutbuch“ nach dem Roman von Kim de | |
| l’Horizon, war Jan Friedrich zum Theatertreffen] in diesem Jahr eingeladen. | |
| Da ermöglicht der Dialog mit den Videobildern ein Mäandern der | |
| märchenhaften Zweige des Romans und so den Wucherungen der Fantasien zu | |
| folgen, die die Kindheit des Erzählers mit seiner Gegenwart verbinden. | |
| Nicht zuletzt deshalb funktionierte die gefeierte Inszenierung so gut. | |
| Für Friedrich war dieser Stoff, das differenzierte und mit Zweifeln | |
| durchschossene Umkreisen queerer Identität, seine bisher persönlichste | |
| Arbeit. Klar freut es ihn da sehr, dass die Inszenierung zu Festivals | |
| eingeladen wird, aber eben auch in Magdeburg großen Zuspruch erfährt. | |
| Da kommt ein gemischtes Publikum, alle Generationen, und widerlegt damit | |
| auch die Vorurteile gegenüber einer ostdeutschen Stadt und ihrem | |
| vermeintlich verengten Horizont. Das sieht er auch als Erfolg des jungen | |
| Leitungsteams dort, [3][des Dreierteams von Clara Weyde, Bastian Lomsché | |
| und Clemens Leander], die ihm die Dramatisierung des Romans anvertrauten. | |
| 10 Jun 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Roman-Von-Norden-her-rollt-ein-Donner/!6061514 | |
| [2] /Was-vom-subventionierten-Theater-bleibt/!6086426 | |
| [3] /Berliner-Theatertreffen/!6077360 | |
| ## AUTOREN | |
| Katrin Bettina Müller | |
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