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# taz.de -- Meinungskampf und Parteienproganda: Keine Alternative zur AfD
> Am Beginn der Regierungszeit von Union und SPD spricht einiges dafür,
> dass die Türen zur Macht für die AfD offenstehen. Unter anderem das
> Versagen der Medienöffentlichkeit.
Bild: Gesenktes Haupt: Mit diesen drei Herren regiert die Angst vor der AfD
taz FUTURZWEI | Es braucht jede Woche eine neue, medial aufgeblasene
Ungeheuerlichkeit, welche die sich erschöpfende Erregung aus der letzten
Ungeheuerlichkeit auf einem konstant hohen Niveau hält.
Im Dauerfeuer aufgeblasener und tatsächlich bedrohlicher Nachrichten
verliert das Argumentieren, die reflektierende Auseinandersetzung mit den
tatsächlich schwierigen Zeitfragen an Gewicht. Die Chancen zu aufgeklärtem
Begreifen, zu zivilisierter Auseinandersetzung um den richtigen Umgang mit
den Ungeheuerlichkeiten und Zumutungen der Wirklichkeit werden bestenfalls
im Diskurs elitärer Zirkel in einigen Feuilletons großer Tageszeitungen
genutzt.
Eine politische Öffentlichkeit, in der politische Positionen sich aus dem
reflektierenden Abwägen richtiger und falscher Argumente herausbilden, sich
zu politischem Handeln verdichten, sich für den politischen Kampf um die
Macht organisieren, also zivilisierten demokratischen Meinungskampf, gibt
es nicht.
## Vereinfachung und Parteien-Propaganda
Stattdessen bestimmen den Diskurs die zur Perfektion weiterentwickelten
Methoden der vereinfachenden Parteien-Propaganda, die aus selbst erzeugten
Stimmungen abgeleiteten autoritären Forderungen und auf der anderen Seite
die in ihren Blasen festgezurrten „Haben wir schon immer
gesagt“-Besserwisser.
Folge: Die Verachtung der Partei-Eliten nimmt zu, das Gewicht
populistischer Versprechen findet im Aufstieg rechtsradikaler Rattenfänger
seinen Ausdruck. Die herrschende Politik nimmt diesen Aufstieg allerdings
nicht als das Menetekel an der Wand für ihren eigenen Untergang wahr.
So glaubt die [1][CDU/CSU], dass sie durch die Übernahme der populistischen
Lügen der [2][AfD] den Wirkungsraum entziehen könnte. Das Gegenteil ist der
Fall.
Nachdem nun die neue [3][Regierung im Amt ist], könnte man annehmen, dass
es Raum für einen Neuanfang gäbe, ein Ende der aufwiegelnden Populismen und
der ritualisierten Antworten der linken Kritiker.
Die neue Regierung konstruktiv zu kritisieren, politische Alternativen
jenseits der eigenen Lagerwahrheiten und ohne Besserwisserei zu formulieren
– das böte sich an.
Stattdessen geht das alte Spiel munter weiter, als wäre die AfD nicht die
stärkste Opposition im Parteiengefüge geworden, mit guten Chancen, an der
CDU vorbei zur stärksten Partei zu werden, als wären die [4][Grünen] nicht
kopf-, führungs- und sprachlos im Abseits gelandet.
## Populismus pur
Der neue Innenminister [5][Alexander Dobrindt] schafft mal eben „par ordre
de mufti“ das [6][Asylrecht] und die europäischen Asylregeln für den
[7][Schengenraum] im deutschen Rechtsraum ab.
Populismus pur, weder national rechtsstaatlich noch europarechtlich
abgesichert. Die Wirtschaft ist wegen der kostentreibenden Folgen der
Grenzkontrollen entsetzt, [8][Polen], [9][Österreich] und die anderen
Nachbarn müssen zur Kenntnis nehmen, dass jetzt „Deutschland first“ gilt.
Grüne, [10][Linke] und linke SPDler raunen, sie hätten immer gewusst, dass
die CDUler die wahren AfDler seien und diese nicht bekämpfen wollten,
sondern mit ihnen regieren.
Die neue Regierungspolitik wirkt bis hinein in mein Berliner
Fitness-Studio. Zwei mittelalte Fitnesshelden klatschen sich mit der
Bemerkung ab: „Da siehst Du's mal, mit einem einfachen Dekret hält der
Dobrindt uns die Ausländer jetzt vom Hals. Zehn Jahre haben Grüne und Sozis
unsere Sicherheit aus Spiel gesetzt, damit ist jetzt Schluss. Wir haben
endlich wieder Grenzen.“
Auf meine vorsichtigen Einwände hin folgt die Drohung, wenn ich nicht die
Fresse hielte, würden sie mich aus dem Fitness-Studio „entfernen“.
Beigesprungen ist mir niemand.
Bei der [11][Kanzler-Wahl] habe ich gehofft, dass die mutigen Abweichler
standhaft bleiben und [12][Merz] den Einzug ins Kanzleramt verweigern
würden.
Seine wütenden Aussetzer über seine ganze politische Karriere hin, seine
Eitelkeit, sein schnarrendes Ego disqualifizieren ihn in meinen Augen für
die Aufgabe, uns alle durch die laufenden Jahrhundertkrisen zu führen.
Ob er der CDU Perspektiven als sich konservativ erneuernde Kraft
verschaffen kann, scheint zweifelhaft. Ich träume weiter von [13][Robert
Habeck] als Kanzler, wegen seiner über das politische Geschäft
hinausreichenden Klugheit und seiner regierungsstarken Persönlichkeit.
Es war bezeichnend, dass ihn seine Mitarbeiter im Ministerium letzte Woche
mit minutenlangem Beifall verabschiedet haben.
## Angst vor der AfD
Im Nachgang wird auch deutlich werden, dass Kanzler [14][Scholz] und seine
[15][Ampel] mehr erreicht haben, als die skandalisierungsgeeichte
Medienwelt zur Kenntnis nehmen wollte. Dass der SPD-Vorsitzende [16][Lars
Klingbeil], der für das selbstverschuldete 16 Prozent-Debakel
verantwortlich ist, nun Vizekanzler und Finanzminister geworden sind, zeigt
nur, wie wenig auch die führenden Sozis von individueller politischer
Verantwortung für Versagen halten.
Übrigens erstaunt die Begründung der anderen Parteien, warum sie ohne Not
den Weg für einen direkten, zweiten Wahlgang der Kanzlerwahl frei gemacht
haben.
Die Grünen und die Linken sonnten sich, Staatsverantwortung vorschiebend,
in der Rolle, gebraucht zu werden, obwohl sie wissen mussten, dass sich
dieses Verhalten für sie im zukünftigen politischen Alltag nicht auszahlen
wird.
Alle Parteien, die die Merz-Wahl ermöglicht haben, sind aus Angst vor der
AfD eingeknickt. Ihre angeblichen Sorgen wegen Neuwahlen zeigen nur, wie
wenig sie sich selbst zutrauen.
## Versagen des grün-linken Spektrums
Dass die Linke in einem auf jung getrimmten Retrolook den Kampf gegen den
Kapitalismus wieder aufnehmen will, ist nicht mehr als leere
Geschichtsvergessenheit.
Was die Grünen als Alternative zur Gschaftlhuberei der neuen Regierung
aufbieten wollen, wie ein ökologisch runderneuerter [17][Kapitalismus], ein
dauerhaft stabilisierter Sozialstaat und eine der ökologischen Krise
angepasste, demokratische Gesellschaft aussehen sollen, ist bisher nicht
erkennbar.
Deshalb spricht im Moment viel dafür, dass die Türen zur Macht für die AfD
offenstehen. Dass Demokratien sich selbst abschaffen, dass es für sie keine
Ewigkeitsgarantie gibt, ist keine neue historische Erfahrung. Am Beginn der
Regierung von Union und SPD ist ein solcher Niedergang nicht mehr
auszuschließen.
12 May 2025
## LINKS
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[17] /Kapitalismus/!t5010783
## AUTOREN
Udo Knapp
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