# taz.de -- Mensch-Maschine-Beziehung: Fleisch gewordene Dystopie | |
> Wenn Algorithmen bald die Welt beherrschen, geht menschliche Solidarität | |
> verloren. Schon jetzt lässt sich eine geschäftsmäßige Herablassung | |
> beobachten. | |
Bild: Automatische oder echte Telefonstimmen sind freundlich im Ton, aber degra… | |
Die alte Frau ist nicht der Mühe wert. War es das? Angestrengt schaute ich | |
auf die Großmutter und versuchte, sie mit den Augen der anderen zu sehen. | |
Gerade eben hatte sie mit einer automatischen Telefonstimme diskutiert, als | |
gehörte die einem Menschen: „Sie müssen verstehen …“ Die Maschine mit d… | |
angenehm beruhigenden Sprachmodulation aber verstand überhaupt nichts. | |
Ich bin unsicher, ob die Großmutter den Unterschied bemerkte, als sie dann | |
doch noch jemand Lebendiges am Apparat hatte. Mir selber machte es beim | |
Zuhören Mühe, den menschlichen Ursprung dieser kalten, distanzierten | |
Gesprächsführung zu erkennen. | |
Es ging bei dem Telefonat nur darum, die offensichtlich viel zu hoch | |
angesetzte Stromabschlagszahlung zu korrigieren. Wie vom Bot vorher wurden | |
nun gelangweilt zur Identifikation die letzten sechs Stellen der IBAN | |
abgefragt. „Langsam und deutlich bitte.“ Der genervte Tonfall immerhin | |
verriet Biomasse am anderen Ende der Leitung. | |
Das muss, nach allem, was mir so erzählt wird, der Tonfall sein, der ihr | |
[1][beim Hausarzt] begegnet. Sie hat die neunzig überschritten. Ihre | |
Beschwerden interessieren dort nicht weiter. Ein paar Tabletten vielleicht? | |
Nicht der Mühe wert eben. | |
## Die gleichgültige Herablassung der Maschine | |
Könnte eine sogenannte [2][künstliche Intelligenz] einmal die Mitarbeiterin | |
bei der Hotline des Stromversorgers ersetzen? Den Arzt? So wie die | |
kommunizieren, ist das vorstellbar. Denn bestimmt kann eine hinreichend | |
konfigurierte Maschine viel zuverlässiger die gleichgültige Herablassung | |
präsentieren und Menschen zu rechtlosen Bittsteller*innen degradieren. | |
Da besteht dann auch keine Gefahr, dass einmal versehentlich ausgebrochene | |
Empathie den Betriebsablauf störte. | |
Die angebliche Überlegenheit ihrer elektrifizierten Schieberechner versucht | |
die [3][KI-Hype-Industrie] ja zu illustrieren: mit an den Haaren | |
herbeigezogenen Fantasien der Machtübernahme durch das digitale | |
Bewusstsein. Tag der Abrechnung, Skynet wird uns alle töten und dergleichen | |
mehr. Das ist selbstverständlich völliger Quark. Und es verschleiert wenig | |
subtil, dass nicht die Maschinen uns immer ähnlicher werden, sondern wir | |
ihnen. | |
Diese geschäftsmäßige Herablassung in jeder menschlichen Interaktion | |
außerhalb des privatesten Schutzraumes allein ist Fleisch gewordene | |
Dystopie einer Welt beherrscht von Algorithmen und Funktionen im Dienste | |
des Profits. Die Maschine ist dabei nur vorgeschobene Objektivität. Sie | |
zeigt die verbindliche Stimme und spiegelglatte Maske der | |
Alternativlosigkeit einer Welt ohne Solidarität. Wirklich niemand ist hier | |
der Mühe wert. | |
Die gegenwärtigen, menschengemachten Verhältnisse sind es, aus denen die | |
digitale Zukunft erwächst. Das ist das Beängstigende. Kein | |
herbeigesponnener künftiger Terminator macht mir so viel Sorgen wie der | |
ganz reale heutige Hausarzt meiner Großmutter. Denn die Maschinen mögen | |
hilfreich sein bei der Erschaffung der Hölle auf Erden, aber wir kriegen | |
das auch ohne sie schon ganz gut hin. | |
27 May 2025 | |
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## AUTOREN | |
Daniél Kretschmar | |
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