| # taz.de -- Comic zum Nahostkonflikt: Schwimmen, weinen, reden | |
| > Der Comicband „Wie geht es dir?“ versammelt „Sechzig gezeichnete | |
| > Gespräche nach dem 7. Oktober 2023“. Die Auswahl ist wohltuend | |
| > multiperspektivisch. | |
| Bild: Die yezidisch-kurdische Multimediakünstlerin Jacqueline Saki Aslan besch… | |
| „Momentan fühle ich mich definitiv nicht sicher“, sagt die jüdische | |
| Amerikanerin Lily. „Manchmal möchte ich mich aufblasen. Wie ein großer | |
| roter Luftballon […] Mit meinem großen weichen Bauch finge ich jede Patrone | |
| ab“, fabuliert die in Berlin lebende yezidisch-kurdische | |
| Multimediakünstlerin Jacqueline Saki Aslan. Und der in Berlin lebende | |
| israelische Dirigent und Pianist Itay Dvori teilt trocken mit: „Ich fühle | |
| mich verpflichtet, optimistisch zu sein.“ | |
| Drei sehr unterschiedliche Antworten auf die Frage: „Wie geht es dir?“, die | |
| 48 Comiczeichner:innen aus Deutschland nach dem [1][7. Oktober 2023] | |
| Menschen gestellt haben, die von Antisemitismus, Hass und Rassismus | |
| betroffen sind oder sich beruflich mit menschenfeindlichen Ideologien | |
| auseinandersetzen. Was aus einem spontanen menschlichen Bedürfnis heraus | |
| als ehrenamtliches Projekt einiger Zeichner:innen begann und zunächst | |
| Woche für Woche im Internet veröffentlicht wurde, füllt inzwischen einen | |
| Sammelband mit 60 gezeichneten Gesprächen, publiziert vom Berliner | |
| Comicverlag Avant. | |
| Mit dabei sind bekannte Namen wie das muslimisch-jüdische Ehepaar [2][Saba | |
| Nur-Cheema] und Meron Mendel oder die Berliner Imamin Seyran Ateş, | |
| Holocaustüberlebende wie die in Israel lebende Emmie Arbel, | |
| Aktivist:innen wie Daniel Burghardt von der „Erlanger Initiative | |
| kritisches Gedenken“ oder Künstler:innen wie Naama Friedman. Und einige, | |
| die lieber anonym bleiben wollen. | |
| Kontrapunkt zu Lagerbildung und Bekenntniszwang | |
| „Wie geht es dir?“ Die Frage mag banal oder naiv wirken angesichts der | |
| Gewalt in Nahost. Und doch setzt dieses vielfältig-bunte Gesprächsbuch | |
| einen wichtigen Kontrapunkt in einem Diskursklima, das von Lagerbildung und | |
| Bekenntniszwang geprägt ist. Der Druck, sich zum Nahostkonflikt | |
| (vermeintlich) konform zur eigenen Herkunft, politischen Sozialisation oder | |
| den Erwartungen der Mehrheit zu äußern, lastet erkennbar auf allen | |
| Befragten. | |
| „Manchmal verspüre ich Angst, nicht die richtige Haltung zu haben“, äuße… | |
| sich die ehemalige Mitbewohnerin der Zeichnerin Nadine Pedde auf die Frage, | |
| die sie unter dem Pseudonym „Betty“ beantwortet. Betty gibt Workshops zu | |
| Radikalisierung, Antisemitismus und Verschwörungsideologie. Die | |
| Teilnehmer:innen, so berichtet sie in knallbunt kolorierten Panels, wollten | |
| von ihr „schnell erfahren, was richtig ist und was falsch“. Betty fragt: | |
| „Können mir im Krieg in Nahost nicht einfach alle leidtun, oder ist das zu | |
| wenig?“ | |
| Unter den Jüdinnen und Juden überwiegt das Gefühl, wieder schutzlos zu | |
| sein. In einigen kommt verdrängte Familiengeschichte hoch, wie bei der | |
| Berliner Autorin [3][Lea Streisand], die nach dem 7. Oktober 2023 in einen | |
| Zustand der Panik verfiel und 14 Tage ihre Wohnung nicht verlassen konnte. | |
| „Es ist wie eine Verbindung in eine Zeit, die wir selber nicht erlebt | |
| haben, die jedoch in uns gespeichert ist“, sagt ihre von [4][Flix] in | |
| Knubbeloptik gezeichnete Comicversion. | |
| Die KZ-Überlebende Emmie Arbel erwischt die Frage „Wie geht es dir?“ | |
| ausgerechnet in der Gedenkstätte Ravensbrück, wohin sie einmal im Jahr als | |
| Zeitzeugin reist und nach dem 7. Oktober festsitzt. Verrückterweise fühle | |
| sie sich ausgerechnet in Ravensbrück sicher, schreibt sie an die Zeichnerin | |
| Barbara Yelin. Diese porträtiert Abel in dunklen Pastellkreidestrichen – | |
| allein im Gästehaus, in dem früher die Aufseherinnen wohnten und bewacht | |
| von einem Wächter, der die Gedenkstätte vor Nazis schützen soll. Man | |
| kümmere sich wunderbar um sie, so Abel. Doch wolle sie wieder nach Hause: | |
| „Es ist nicht sicher in Israel. Und trotzdem ist es für mich der beste | |
| Ort.“ | |
| Erschüttertes Zugehörigkeitsgefühl | |
| Auch das gesellschaftliche Zugehörigkeitsgefühl von | |
| Palästinenser:innen und Menschen aus muslimischen geprägten Ländern | |
| ist seit dem 7. Oktober erschüttert. Die saudi-arabischstämmige Autorin | |
| Rasha Khayat, die in Hamburg lebt, beklagt einen Generalverdacht gegen | |
| arabische Menschen. Man sieht sie, dynamisch schraffiert, im schwarzen | |
| Badeanzug ins Wasser steigen: „Ich bin wütend. Ich wünsche mir einen | |
| Regierungsvertreter, der sagt: Wir beschützen euch und die plurale | |
| Gesellschaft. Aber an Wut erstickt man. Ich schwimme, das hilft mir.“ | |
| Nur sehr wenige positionieren sich so deutlich wie die Autorin Naama | |
| Friedman, die sagt: „… aber du kannst nicht tolerant mit den Intoleranten | |
| sein. Es gibt keine Erlösung für Simwar“ – der in der Zwischenzeit vom | |
| israelischen Militär getötete ranghöchste Hamas-Führer in Gaza steht im | |
| Comic mit hängenden Armen vor dem gehörnten Teufel. | |
| Politische Analysen kann man von diesem Buch nicht erwarten, dafür wird man | |
| eindrücklich immer wieder an die eigentlich banale Tatsache erinnert, dass | |
| Kriege und Konflikte nicht abstrakte Staaten und Gebiete betreffen, sondern | |
| Menschen und deren Familien. | |
| Die meisten Geschichten, die in verschiedensten Zeichenstilen dargestellt | |
| werden, drücken Hilflosigkeit und Trauer aus von Privatpersonen, deren | |
| Biografien seit dem 7. Oktober drohen, zerdrückt zu werden zwischen altem | |
| und neuen Antisemitismus, antimuslimischem Rassismus und | |
| Instrumentalisierung von allen Seiten. | |
| Ablehnung von Gewalt | |
| Dass es überhaupt gelingen kann, 128 Seiten zum Nahostkonflikt zu erzählen, | |
| ohne in übliche Hass- und Opfererzählungen zu verfallen, ist bemerkenswert. | |
| Da wird zwar angesichts eines alten Olivenbaums in Palästina der „Verlust | |
| von Menschen, von Land, von Recht und von Selbstbestimmung“ benannt und | |
| „ein fortwährendes, nie endendes Gefühl von Verlust“ beklagt. Aber auch d… | |
| Ablehnung von Gewalt betont. Keine Wassermelone weit und breit, keine roten | |
| Dreiecke. | |
| Empathie und Anteilnahme sollten im Vordergrund stehen, betont Véronique | |
| Sina, die das Projekt als Beraterin begleitet hat. Wie sehr diese basale | |
| Anteilnahme in Deutschland fehlt, davon erzählt etwa der Bericht der Ärztin | |
| Dunja Zaouali aus Erlangen: Ein Kind, das Angehörige in Gaza verloren habe, | |
| müsse sich „von der Lehrerin anhören, dass es gar keinen palästinensischen | |
| Staat gibt und auch nie gab“. | |
| „Wie geht es dir?“ will dagegen den Emotionen, Sorgen und Ängsten | |
| Betroffener einen Raum geben. Mit seiner Multiperspektivität sei das Medium | |
| Comic dafür besonders gut geeignet, sagt Véronique Sina. | |
| „Miteinander sprechen ist das Radikalste, was wir heute machen können“, | |
| findet die von Amelie Persson gezeichnete Saaba Nur-Cheema. Auch die | |
| Deutschpalästinenserin Amal, die einen Teil ihrer Familie in Gaza verloren | |
| hat, findet Hoffnung im Dialog: Sie hat eine Vertreterin der jüdischen | |
| Gemeinde zum Kaffee eingeladen. Seither trifft man sich monatlich in | |
| größerer Runde. Der deutsch-israelische Jude Shai Hoffmann pflegt den | |
| Dialog schon länger im Podcast „Über Israel und Palästina sprechen“. Auf | |
| die Frage, wie es ihm gehe, sagt er: „Es geht weiter.“ | |
| 13 May 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Nina Apin | |
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| 7. Oktober 2023 | |
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