# taz.de -- Der Hausbesuch: Der Disc Man | |
> Stephen Defty hat Anfang der 1980er Jahre den Sport Ultimate Frisbee nach | |
> Berlin gebracht. Heute nutzt er die fliegenden Scheiben für eine Art | |
> Golf. | |
Bild: Fast jeder Mensch hat eine Frisbeescheibe zu Hause. Stephen Defty hat Hun… | |
Stephen Defty ist im Herzen US-Amerikaner, einen Großteil seines Lebens hat | |
er aber in Deutschland verbracht. Hier wie dort organisiert er jedes Jahr | |
ein Frisbeeturnier. | |
Draußen: Eine Straße in Düppel, einem alten Ortsteil von Berlin-Zehlendorf. | |
U-förmig windet sie sich um einen Spielplatz. Die Sonne lässt die Blätter | |
in den Bäumen grün leuchten. Anders als erwartet, wohnt Stephen Defty nicht | |
in einem Reihenhäuschen, sondern in einer Wohnung im dritten Stock. Ein | |
Hauswart werkelt am Wegrand, ein Paketbote surrt in seinem Elektro-Miniauto | |
die Straße entlang. | |
Drinnen: Die Wohnung ist hell, der Platz effizient genutzt. Von der | |
Wohnungstür blickt man zunächst in die Küche, links geht es ins Wohnzimmer, | |
von dort weiter zu den Schlaf-, Arbeits- und ehemaligen Kinderzimmern. | |
Defty, 1,93 Meter, graue Haare, Jeans und T-Shirt, bietet Kaffee an, er | |
schäumt Milch auf und reicht die Gläser durch die Durchreiche ins | |
Wohnzimmer. Dort hängen über dem Esstisch Bilder, Deftys Vater hat sie | |
gemalt. Alle drei sind in Schwarz, Rot und Gelb gehalten, „Zufall“, sagt | |
Defty. Auf dem Esstisch hat er eine Reihe von Frisbeescheiben ausgebreitet, | |
große, kleinere, manche sehen ganz neu aus, anderen sieht man ihr Alter an. | |
Die Discs: Fast jeder Mensch hat eine Frisbeescheibe zu Hause. Defty hat | |
Hunderte. Die meisten bewahrt er im Keller auf. Sie sind Grün, Blau, Weiß, | |
mit und ohne Logo, klein und schmal. Defty nennt sie Discs, Englisch für | |
Scheibe, das ist die neutrale Bezeichnung. Frisbee nannte die | |
US-amerikanische Firma Wahm-O ihre Flugscheiben, die sie 1957 auf den Markt | |
brachte. Heute kann jeder Frisbeescheiben herstellen und unter dem Namen | |
verkaufen. Man kann sich auch selbst welche bedrucken lassen, Defty zeigt | |
eine mit dem Foto eines Freundes darauf. | |
Die Mauerstadt: „Das Frisbee und ich sind beide 1957 zur Welt gekommen – | |
seitdem begleiten wir uns“, sagt Defty. Er spielte Frisbee als Kind, „wie | |
alle US-Amerikaner“. Während des Psychologiestudiums an der Uni in Boston | |
war er Mitglied [1][der dortigen Ultimate-Frisbee-Mannschaft]. Bei einem | |
Auslandssemester in Tübingen lernte er seine spätere Frau kennen. 1982 zog | |
er zu ihr nach Berlin. Glück in der Liebe – Pech im Spiel: In Deutschland | |
gab es zwar schon ein paar Ultimate-Frisbee-Vereine, aber keinen einzigen | |
in Berlin. Kein Hindernis für Defty: Er gründete einfach selbst einen und | |
nannte ihn Wall City. | |
Rennsport: Mitspieler fand er über Kleinanzeigen im Stadtmagazin Tip und | |
über Zettel, die er vor Sportläden aufhing, die Frisbeescheiben verkauften. | |
Die erste Vereins-Disc war weiß, auf ihr abgebildet ein Loch in einer | |
Mauer, durch das eine Frisbeescheibe fliegt. Defty hat sie noch immer. Auch | |
den Verein gibt es noch. Gerade ist er zum zweiten Mal Deutscher Meister. | |
Defty selbst war da schon nicht mehr dabei. „Ultimate Frisbee ist ein | |
robuster Rennsport. Nichts für alte Männer.“ Aber er ist stolz auf die | |
Vereinssiege wie ein Kind, das zum ersten Mal etwas gewonnen hat. | |
Golf: Doch alte Männer müssen nicht aufhören, Frisbee zu spielen. Sie | |
können einfach die Disziplin wechseln. Defty findet man heute häufig | |
[2][beim Discgolf]. Das funktioniert, wie der Name sagt, ein bisschen wie | |
Golf: Doch statt mit Ball spielt man mit Scheiben, in einer Tasche trägt | |
man Discs unterschiedlicher Dicke, Form und unterschiedlichen Gewichts mit | |
sich. „Ich habe immer nur fünf Scheiben“, sagt Defty. „Ich kann gut | |
spielen, ich brauche nicht mehr.“ Viele junge Menschen trügen 30 | |
verschiedene Scheiben mit sich. „Aber wenn man sie hinterher fragt, wie | |
viele sie gebraucht haben, dann sind es auch oft nur fünf.“ | |
Anstelle eines Lochs muss man einen Korb treffen. Der Rest ist wie beim | |
Golf: Es gilt, Hindernisse meist über größere Distanzen zu überwinden, der | |
Wurfweltrekord liegt bei 338 Metern. Deftys persönlicher Rekord bei 115 | |
Metern. Bäume oder Hügel müssen überwunden werden. Defty erzählt, dass bei | |
der Weltmeisterschaft 1992 in Port Arthur, Texas, der Korb direkt neben | |
einem Teich befestigt war, in dem ein Alligator saß. | |
Zwei Asse: Selten trifft man den Korb mit einem einzigen Wurf. Wenn doch, | |
nennt man das Ass. Zwei Asse hat Defty in seinem Leben geworfen. „Die | |
Tradition ist, dass alle, die das Ass sehen, hinterher auf der Disc | |
unterschreiben. 21 Leute haben mein Ass gesehen, ich habe 21 Unterschriften | |
bekommen“, sagt Defty, auch darauf stolz, und zeigt die weiße | |
Plastikscheibe, deren Rückseite beschriftet ist. „White Lake Open – 18. 3. | |
2023“, steht darauf. Einmal im Jahr organisiert Defty die Disc Golf | |
Championship Berlin Open im Volkspark Rehberge, nun wieder am 21. und 22. | |
Juni. | |
Birding: Ans Wohnzimmer grenzt ein Balkon, der Blick geht direkt ins Grüne. | |
Eine Blaumeise fliegt heran und verschwindet im Loch eines Vogelhäuschens. | |
„Ah, da kommt das Männchen“, sagt Defty. Er entsperrt sein Smartphone und | |
ruft die Seite einer Kamera auf, die er im Vogelhäuschen installiert hat. | |
Drinnen flattern nun zwei Vögel, dazwischen geben sie den Blick auf ein | |
Nest frei. „Vier sind gerade geschlüpft“, sagt Defty. Die meisten Eier sind | |
noch geschlossen. „Viele Discgolfer entwickeln sich irgendwann [3][zu | |
Birdern]“, sagt er. „Es passt zum Sport – man ist draußen, es ist ruhig.… | |
Und: „Es macht Spaß.“ | |
Die Bixbys: Discgolf hat noch einen Vorteil gegenüber Ultimate Frisbee: Man | |
kann dabei spazieren und sich wunderbar unterhalten. Deshalb ist es auch | |
ein toller Familiensport, findet Defty. Auch seine Verwandten in den USA | |
sehen das so: Bei einer Umfrage unter 300 Familienmitgliedern vor einigen | |
Jahren gaben die meisten als Lieblingsaktivität Discgolf an. Sein | |
Urgroßvater Bixby machte sein Geld mit Eisenbahnwaggons und vererbte seinen | |
Nachfahren ein großes Sommergrundstück im Bundesstaat New York. Dort hat | |
Defty einen Parcours mit neun Körben installiert. Seit 39 Jahren | |
organisiert er dort die Bixby Disc Golf Open. | |
Die Kinder: Immer wieder sind auch Deftys Kinder dabei. Aus der ersten Ehe | |
gingen Nina, 40, und Vivian, 38, hervor. Mit seiner zweiten Ehefrau bekam | |
er zwei Mädchen und einen Jungen. Emma und Lucy sind heute 25 und 24 Jahre | |
alt, sie studieren noch, genauso wie ihr jüngerer Bruder Ben, 20 Jahre alt. | |
Zum Frisbee hat Stephen Defty sie alle hingeführt, wenn auch keines der | |
Kinder so tief eingetaucht ist wie der Vater. Ben immerhin ist Sportler | |
geworden, spielt allerdings Basketball, war Nationalspieler der deutschen | |
U18-Mannschaft. Aktuell hat er ein Studienstipendium für die Universität | |
Boston und ist Mitglied in deren Basketballmannschaft. | |
Der Keller: Spielen gelernt haben die Kinder mit kleinen, dicken | |
Schaumstoffscheiben, sie tun weniger weh, wenn man von ihnen getroffen | |
wird. Defty hat sie im Keller des Hauses in Zehlendorf aufgehoben, | |
teilweise stehen die Namen der Kinder darauf. Zunächst will Defty nicht, | |
dass Fotos vom Keller gemacht werden, zu unordentlich, zu chaotisch sei er. | |
Tatsächlich entpuppt er sich als sehr gut sortiert. Aus einem Fach fischt | |
Defty eine Frisbeescheibe mit dem Konterfei von John F. Kennedy und einem | |
abgeänderten Zitat des früheren US-Präsidenten: „Ask not, what your country | |
can do for you, ask, where you can play disc golf.“ Defty hat es auf | |
Frisbeescheiben drucken lassen für ein Turnier, das er an der | |
Kennedy-Schule in Berlin organisiert hat, die seine Kinder besucht haben. | |
Kanada als Tarnung: Seit 43 Jahren lebt Defty in Berlin, hat hier zweimal | |
geheiratet, fünf Kinder aufgezogen, bis zur Rente als Sozialarbeiter in | |
Wohnheimen für Menschen mit Behinderung gearbeitet. Er spricht Deutsch mit | |
US-amerikanischem Akzent – den werde man auch nach so langer Zeit nicht | |
los, sagt er. „In tiefstem Herzen bin ich US-Amerikaner.“ In der Zeit der | |
Obama-Jahre sei das etwas leichter gewesen, derzeit besonders schwierig. | |
„In letzter Zeit behaupte ich oft, ich sei Kanadier, dann erspare ich mir | |
die Nachfragen nach Trump.“ | |
Und was hält er von Merz? „Merz ist unsympathisch. Er hat ein | |
fürchterliches Lächeln und keine eigenen Überzeugungen“, sagt Defty. Eine | |
Hoffnung hat er in ihn: „Mal sehen, ob er die AfD aufhalten kann.“ | |
19 Jun 2025 | |
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## AUTOREN | |
Johanna Treblin | |
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