# taz.de -- Vorkaufsrecht in der Warschauer Straße: Housing first oder Profit … | |
> In der Warschauer Straße verfällt ein Haus, viele Wohnungen stehen leer. | |
> Der Bezirk will das Vorkaufsrecht ziehen. Der Senat sagt erst mal nicht | |
> nein. | |
Bild: Kann es die Hexe richten? | |
Berlin taz | Kurz vor Ende der DDR wurde das Wohnhaus an der Ecke | |
Warschauer Straße/Kopernikusstraße noch mal frisch gestrichen – schließlich | |
lag es an der Protokollstrecke für Parteifunktionäre und Staatsgäste. „Doch | |
seitdem hat da niemand mehr was dran gemacht“, sagt Claudia Winkler-Görbe, | |
die seit 33 Jahren im vierten Stock des Gebäudes wohnt. | |
Noch immer wird überwiegend mit Kachelöfen geheizt, viele der | |
Mieter:innen müssen aufs Außenklo, eine Toilette auf halber Treppe. | |
Selbst einen Badeofen zum Aufheizen des Badewassers gab es bis vor einiger | |
Zeit noch in der Wohnung unter der von Winkler-Görbe. Vom gesperrten | |
Eckbalkon dient eine Holzstatue in Form einer Hexe Tourist:innen als | |
Fotomotiv. | |
Fragt man Florian Schmidt, grüner Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, | |
wird die Mängelliste noch viel länger: gesperrte Balkone, verschlissene | |
Elektroanlagen, unsanierte Wasser- und Abwasseranlagen, offene | |
Stromleitungen, beschädigtes Dach und einiges mehr. Bis zu 14 von 28 | |
Wohnungen stehen leer, viele seit zehn oder mehr Jahren, wie Winkler-Görbe | |
sagt. | |
Trotzdem – oder gerade deshalb – will Schmidt das Haus in kommunale Hand | |
holen. Bislang gehörte es einem großen institutionellen Anleger mit Sitz in | |
Luxemburg. Jüngst wurde es in einem Paket an einen anderen Luxemburger | |
Fonds verkauft. Doch Schmidt will das Vorkaufsrecht ziehen. | |
Der Hebel, um das nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts 2021 nur | |
noch in Ausnahmefällen zur Verfügung stehende Instrumentarium zur Anwendung | |
zu bringen, ist die Sanierungsbedürftigkeit. Mit jener Begründung gelang es | |
bislang zweimal, Häuser vor einem Verkauf an Private zu retten und damit | |
die Bewohnerschaft vor einer Aufwertung und drohenden Verdrängung zu | |
schützen: 2023 übernahm die landeseigene Gesellschaft Stadt und Land ein | |
Haus in der [1][Neuköllner Weichselstraße] und im vergangenen Jahr die | |
Stiftung Edith Maryon das [2][Tuntenhaus in Pankow], jeweils nach zähem | |
Ringen um Zuschüsse durch den Senat. | |
## Leerstand als Chance | |
Schmidts Idee, um den Senat für das Vorhaben eines Vorkaufs zu gewinnen: | |
Die leerstehenden Wohnungen sollen an besonders bedürftige Gruppen | |
vermietet werden, über Housing First und Azubi-Wohnkonzepte. Mit | |
entsprechenden Trägern sei man bereits im Gespräch. Der Leerstand sei „eine | |
besondere Chance“, da man dort „sofort Menschen unterbringen kann“, so | |
Schmidt. | |
Die Wohnungen müssten dafür saniert werden, die entsprechenden Kosten lässt | |
der Bezirk derzeit ermitteln. Einen interessierten, gemeinwohlorientierten | |
Träger, der das Haus als Drittkäufer übernehmen könnte – bei entsprechend… | |
Unterstützung – gibt es bereits. | |
Sowohl das Konzept, Obdachlose von der Straße zu holen, als auch Wohnungen | |
für Azubis zur Verfügung zu stellen, etwa für junge Menschen, die ihre | |
Ausbildung bei Polizei, Feuerwehr oder der Charité machen, sind auch | |
Anliegen der Senatsverwaltung für Arbeit und Soziales von Cansel Kiziltepe | |
(SPD). | |
Inzwischen gibt es sieben Housing-First-Projekte und Pläne für ein | |
Azubiwerk, das bezahlbaren Wohnraum organisieren soll. Die Idee eines | |
[3][landeseigenen Sozialunternehmens] zur Unterbringung von Wohnungslosen | |
und Geflüchteten nach Hamburger Vorbild erhielt im vorigen Haushalt jedoch | |
kein Geld. | |
## Finanzierung ungewiss | |
Ob die Senatsverwaltung für Finanzen angesichts des aktuellen Spardrucks | |
Fördermöglichkeiten für einen Ankauf des Hauses findet, ist die | |
Achillesferse der Idee. Schmidt argumentiert: „Ankauf und Sanierung sind | |
günstiger als der Neubau“ von Wohnungen für diese besonderen | |
Bedarfsgruppen, erst recht in innerstädtischer Lage. | |
Zudem würde sich der schlechte Zustand des Hauses bestimmt im | |
Verkaufspreises „widerspiegeln“. Die Sanierungskosten dürften allerdings | |
hoch sein, auch wenn Winkler-Görbe sagt: „Wir haben uns mit den Zuständen | |
arrangiert.“ | |
Im Bezirk, der die Prüfung eines Vorkaufs in Gang gesetzt hat, wartet man | |
nun, ob der Käufer auf eine Einladung zum Gespräch reagiert. Möglich wäre | |
für ihn, mit einer Abwendungsvereinbarung den Vorkauf abzuwenden. | |
Festgehalten werden könnten darin Schutzrechte für die Mieter:innen oder | |
auch die Vermietung der leerstehenden Wohnungen unter Achtung der | |
Mietpreisbremse. | |
Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung teilte auf taz-Anfrage mit, dem | |
Bezirk „unterstützend zur Seite“ zu stehen. Dabei priorisiere man den | |
Abschluss einer Abwendungsvereinbarung, da auch auf diesem Wege die Ziele | |
des Milieuschutzes erreicht werden könnten. | |
Die Bewohner:innen, insgesamt sind es derzeit 37, haben sich in einer | |
internen Umfrage für das von Schmidt vorgeschlagene Konzept und ihre | |
möglichen neuen Nachbarn ausgesprochen, wie Winkler-Görbe sagt. Die | |
Hausgemeinschaft sitze derzeit jeden Tag zusammen. Sie plant Proteste, etwa | |
am kommenden Samstagnachmittag vor ihrem Haus, hat eine umfangreiche | |
[4][Website] erstellt und Briefe an mehrere Senatsverwaltungen geschrieben. | |
Kommt der Vorkauf nicht zustande, befürchten die Mieter:innen und | |
Schmidt die Verdrängung. Bei einer teuren Sanierung sei zu befürchten, dass | |
Kosten auf die Altmieter umgelegt werden, so Schmidt. | |
Auch greife bei einer umfassenden Modernisierung die Mietpreisbremse für | |
die bislang leerstehenden Wohnungen nicht. Zudem droht die Gefahr von | |
Entmietung und Obdachlosigkeit, wenn die neuen Käufer erfolgreich | |
argumentieren, dass das Betreiben des Hauses unwirtschaftlich sei. | |
Bislang sind die Mieten im Haus gering, teilweise auch weil aufgrund der | |
Mängel hohe Mietminderungen durchgesetzt wurden. Winkler-Görbe sagt: „Viele | |
von uns sind angewiesen auf soziales Wohnen. Auf dem freien Wohnungsmarkt | |
finden wir nichts.“ Für die Mieter:innen geht das Bangen weiter – bis | |
zum 12. Juni, wenn die Frist für die Ausübung des Vorkaufsrechts abläuft. | |
21 May 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Verdraengung-in-Berlin/!5960224 | |
[2] /Queeres-Hausprojekt-in-Berlin/!6007800 | |
[3] /Neues-Konzept-in-der-Wohnungslosenhilfe/!6012088 | |
[4] http://www.warschauer25.de/ | |
## AUTOREN | |
Erik Peter | |
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