| # taz.de -- Bas-Jan-Ader-Ausstellung in Hamburg: Über das Suchen und das Fallen | |
| > Die Hamburger Kunsthalle widmet dem niederländisch-amerikanischen | |
| > Künstler Bas Jan Ader, der 1975 bei einer Segeltour verschwand. | |
| Bild: In die Gracht gesteuert: „Fall 2/Amsterdam“, 1970 | |
| Wie lange kann man sich an einem Ast festhalten, den Körper vom eigenen | |
| Gewicht in die Länge gestreckt? 20 Sekunden, 30 Sekunden, eine Minute? Und | |
| wie ist der Mann, der jung und kräftig aussieht, überhaupt auf den Baum | |
| gekommen und wie hat er sich zu dem Ast gehangelt, an dem er nun in drei, | |
| vier Metern Höhe hängt? Was hat er gedacht, als ihn langsam die Kräfte | |
| verließen? War da Erleichterung oder hat er sich nochmal zusammengerissen, | |
| die Hände um den Ast gepresst und gedacht: ‚Das muss doch zu schaffen | |
| sein!‘? Bis es nicht mehr ging und er ungebremst in den schmalen Bach fiel, | |
| der unter ihm floss. | |
| „Broken Fall (organic)“ von [1][Bas Jan Ader] ist eine Arbeit, die einen | |
| körperlich packt. Dokumentiert auf Film, 16 Millimeter, Schwarz-weiß, 1.44 | |
| Minuten lang, entstanden 1971, später nachkoloriert. Der Film mit dem Mann | |
| im Baum ist einer von vier kurzen Filmen, in denen der Künstler immer | |
| wieder fällt und fällt, mal von einem Hausdach, mal fährt er mit dem | |
| Fahrrad ungebremst in eine Gracht, mal fällt er stehend aus eigener Kraft | |
| einfach um. Dieser Werkzyklus ist nicht der einzige Höhepunkt in der | |
| sagenhaft guten Ausstellung „I’m searching …“, in der Hamburger Kunstha… | |
| Knapp 20 Jahre ist es her, dass die letzte große monografische Ausstellung | |
| von Bas Jan Ader zu sehen war, in Rotterdam war das. Und genau 50 Jahre ist | |
| es her, dass der zuletzt niederländisch-amerikanische Künstler in sein | |
| Segelboot „Ocean Wave“ stieg, hinaus auf den Atlantik segelte, um ihn | |
| ostwärts Richtung Europa zu überqueren: Gedacht war die Überfahrt als | |
| zweiter Teil eines Projektes mit dem Titel „In search of the miraculous“; | |
| als dritter Teil sollte unter anderem eine Dokumentation der Überfahrt als | |
| Ausstellung im Groninger Museum folgen. | |
| Aber er sollte nie ankommen. Nur sein Boot wurde leckgeschlagen Monate | |
| später entdeckt. „Es war gewagt, es war abenteuerlich, aber es war kein | |
| Selbstmordunternehmen“, sagt Kuratorin Brigitte Kölle. „Der Künstler war | |
| ein erfahrener Segler, er hatte die Tour monatelang genauestens | |
| vorbereitet, und er war guten Mutes.“ Zugleich ist damit angesichts seiner | |
| Arbeiten zu den Themen Scheitern, Fallen und Kontrollverlust eine | |
| Verknüpfung von Werk und Lebensende angelegt, die nicht ohne Weiteres aus | |
| der Welt zu schaffen ist. | |
| ## Vater von den Nazis erschossen | |
| Bas Jan Ader wurde 1942 in der Kleinstadt Winschoten bei Groningen in eine | |
| evangelikale Familie hineingeboren. Letzteres ist in den Niederlanden nicht | |
| ungewöhnlich. Er verlor seinen Vater Bastiaan Jan Ader, als Zweijähriger: | |
| Der, Prediger von Beruf und Berufung her, war im [2][Widerstand gegen die | |
| Deutschen], gegen die Nazis, die ihn schließlich erwischten und in einem | |
| Waldstück erschossen. | |
| Vaterlos also wuchs Bas Jan Ader auf, wollte Künstler werden, das wusste er | |
| von Anfang an. Mit 14 Jahren verließ er Mutter und jüngeren Bruder, lebte | |
| lieber in Internaten, 1959 besuchte er die Kunstgewerbeschule in Amsterdam. | |
| Drei Jahre später ging er nach Kalifornien, studierte in Los Angeles Kunst | |
| und heiratete bald. Seine Frau Marie Sue Ader Anderson fotografierte später | |
| etliche seiner Arbeiten; vorzugsweise dann, wenn es ihren Mann ans Wasser | |
| zog. | |
| Überhaupt das Meer, die Küste, der Horizont und dazu der Mann: Immer wieder | |
| stellt sich Bas Jan Ader an den Küstensaum, besonders bei Sonnenuntergang, | |
| und er schaut in die Ferne, wohin es geht und ob von dort etwas kommt, in | |
| immer ähnlichen Bildern. „Bas Jan Ader ist eingebunden in die | |
| [3][Konzeptkunst] der 1970er-Jahre, aber es findet sich in seinem Werk eine | |
| große Emotionalität – und das ist selten: die Gleichzeitigkeit von Konzept | |
| und Emotion; dass die Bildsprache der Emotion als Konzept zu verstehen | |
| ist“, sagt Kuratorin Kölle. | |
| Und dann gibt es noch die besondere Arbeit „Untitled (Sweden)“, eine | |
| Zweier-Foto-Projektion: Bas Jan Ader steht in einem Waldstück, als kleine, | |
| aber noch erkennbare Figur zwischen hohen Bäumen; im Bild daneben ist er im | |
| Wald fast verschwunden und muss gesucht werden. | |
| „Es gibt immer wieder einzelne Arbeiten, in denen er anfängt, sich mit dem | |
| stereotypen Bild von Männlichkeit zu beschäftigen, auch in dem er sich | |
| verletzlich zeigt“, sagt auch Volontärin Julia Kersting, die die | |
| Ausstellung mit kuratiert hat. Und dann muss man einfach weitergehen in den | |
| Raum, wo seine Film-Arbeit „I’m too sad to tell you“ zu sehen ist: Bas Jan | |
| Ader, genauer: sein Gesicht ist zu sehen, das weint. Wir sehen zu, wie ihm | |
| Tränen über das Gesicht laufen, wie er den Kopf hin und her bewegt; um | |
| Fassung ringt und mit sich einer Hand durchs Haar streicht. | |
| Kein Ton ist zu hören, kein Atmen und kein Schluchzen; kein noch so | |
| verschlucktes Wort, das erklären könnte, warum hier jemand weint, was der | |
| Grund ist und wie man das Weinen womöglich stoppen könnte. Doch der, der | |
| sich zeigt, ist einfach zu traurig, um sich zu erklären, und er nimmt sich | |
| alles Recht der Welt, so zu sein und als Werk so zu bleiben, ein Statement, | |
| von nun an gültig. | |
| 10 Jul 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Frank Keil | |
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