| # taz.de -- Der Hausbesuch: Ein buntes Bullerbü | |
| > Marlo Grosshardt hatte Glück: Im Elternhaus und in der Schule konnte er | |
| > seine Talente entwickeln. Heute ist das Liedermachen sein Beruf. | |
| Bild: Mit der Akustikgitarre gegen rechts: Der Musiker Marlo Grosshardt | |
| Eine Haltung haben. Der Welt zugewandt sein. Die Freiheit besingen. Den | |
| Alten zuhören, um deren Fehler nicht zu wiederholen. Marlo Grosshardt hat | |
| einen inneren Kompass, dem er folgt. | |
| Draußen: Wenige Kilometer vom Hamburger Hafen entfernt erinnert nichts mehr | |
| an die Großstadt. Hier gibt es Höfe und Wiesen. Das alte Bauernhaus mit den | |
| roten Backsteinziegeln, in dem Marlo Grosshardt wohnt, steht oben auf dem | |
| Deich. In der Ferne kann man eine AfD-Fahne wehen sehen. Bei Grosshardt | |
| dagegen hängt ein weißes Banner, darauf hellblaue Wellen, Rettungsring und | |
| Fernglas. Das Zeichen der [1][Initiative Sea-Watch], die sich auf dem | |
| Mittelmeer für Geflüchtete einsetzt. Auf der grünen Haustür klebt ein | |
| kleines Schild: „All Refugees are Welcome“. | |
| Drinnen: Regenjacken und Gummistiefel stehen im Flur. Die Möbel wirken | |
| antik und besonders. In der Küche hängen selbstgemalte Bilder. Auf dem Herd | |
| eine köchelnde Espressokanne. Die Mutter schneidet Blumen für einen Strauß. | |
| Marlo Grosshardt trägt Wollsocken und den schwarzen Band-Pullover. „Ein | |
| letztes Liebeslied“ steht darauf. Durch das Küchenfenster fällt der Blick | |
| in den Garten. Ein blauer Bauwagen steht im Schatten einer Tanne auf der | |
| Wiese. | |
| Daheim: „Ich habe immer in Hamburg gewohnt, war auch nach dem Abi nicht | |
| weg“, sagt der 23-Jährige. Warum nicht? „Hier hat einfach immer alles | |
| gepasst.“ Mit der Familie verstehe er sich gut. Lange haben sie noch | |
| zusammen gewohnt, die Mutter, der Stiefvater und seine zwei jüngeren | |
| Geschwister. Doch nun ist Grosshardt dabei, ein Hausprojekt zu gründen. Ein | |
| anderer Musiker zieht zu ihm in das alte Bauernhaus, die dritte Person | |
| suchen sie noch. „Wir wollen hier zusammen Musik machen.“ | |
| Musik machen: Grosshardt spielt akustische Gitarre und singt. Manchmal sind | |
| seine Lieder ruhig und melancholisch. Dann wieder so schnell, dass man dazu | |
| tanzen kann. Nach dem Abitur besuchte Grosshardt in Hamburg einige Wochen | |
| einen Popmusikkurs. Viel musikalische Erfahrungen hatte er vorher nicht: | |
| „Ich konnte mir damals nicht vorstellen, dass Menschen überhaupt Lust | |
| haben, mit mir zusammenzuarbeiten. Das waren bei dem Kurs doch alles krass | |
| begabte Musiker“, sagt er. „Ich dagegen konnte nicht mal richtig Noten | |
| lesen.“ Trotzdem hat es klappt. | |
| Die Band: Er fand schnell Leute, die mit ihm zusammen spielen wollten. | |
| Heute sind sie zu fünft. Eine Freundin, die er noch aus der Schule kennt, | |
| begleitet ihn am Cello. Aber er ist es, der im Zentrum steht, die meisten | |
| Songs stammen von ihm. Wobei er mehr das Teamwork sieht. „Ich brauche | |
| Menschen, die mir dabei helfen, meine musikalischen Ideen umzusetzen, da | |
| bin ich nicht der Fitteste.“ Auf Spotify hören ihn monatlich 312.156 | |
| Menschen. | |
| Eines seiner Lieder: „Hallo, Oma, ich wollte dich nicht stör’n / Doch ich | |
| habe gerade so große Angst wie nie / Du hast dich ja immer zu uns an den | |
| Küchentisch gesetzt / Und mir gesagt: „Nie wieder, das war jetzt“, singt | |
| er. Dazu Gitarrenzupfen. Vor der Bundestagswahl ging [2][sein Song „Oma“], | |
| den er auf einigen [3][Demos gegen rechts] spielte, in den sozialen Medien | |
| viral. „Beim Schreiben habe ich an meine Uroma gedacht, die im Zweiten | |
| Krieg aus dem Osten nach Hamburg auf einen Bauernhof geflohen ist“, sagt | |
| er. „Ich war damals zu klein, um alles zu verstehen, aber es war eine | |
| Perspektive, die ich als Kind mitbekommen habe.“ | |
| Familie: Auch die Mutter, die Sozialarbeiterin ist, prägte ihn politisch. | |
| Durch ihre ehrenamtliche Tätigkeit mit Geflüchteten habe er besser | |
| verstanden, was 2015, als die vielen Kriegsflüchtenden aus Syrien kamen, | |
| eigentlich los war. Zusammen sei die Familie später auf die Gegendemos von | |
| den rechten Montagsdemonstrationen gegangen. „Generell habe ich ein Umfeld, | |
| das stark Haltung bezieht, sich gegen Klimakrise und Rechtsextremismus | |
| positioniert.“ | |
| Werte: Sich für Gerechtigkeit einzusetzen und Ungleichheit aufzuzeigen, ist | |
| ihm wichtig. In einem Lied singt er über die weltweit [4][tödlichste | |
| Fluchtroute]: das Mittelmeer. „Bei dem Song habe ich mich gefragt, wie wir | |
| das Lied am besten bewerben können und ob das überhaupt geht“, sagt er. Er | |
| habe dann aber eine E-Mail an die zivile Seenotrettungsorganisation | |
| Sea-Watch geschrieben, die habe ihm Videomaterial geschickt. Der fertige | |
| Film und sein Song wurden auf dem Kanal der NGO geteilt. Immer wieder gebe | |
| es gemeinsame Spendenaktionen. Vor der Bundestagswahl ging es für ihn auf | |
| die Bühne von verschiedenen Demos gegen rechts. „Ich frage mich manchmal, | |
| wie groß der politische Effekt dieser Demos ist“, sagt er. „Ich will mir | |
| aber auch nicht ausmalen, wie es wäre, wenn es die nicht gäbe“. | |
| Ängste: „Ich habe Angst vor der Zukunft“, sagt Grosshardt, wenn man ihn | |
| danach fragt. Vor allem im Januar, kurz vor der Bundestagswahl, habe es bei | |
| ihm immer wieder Momente gegeben, in denen es „gekickt hat“, sagt er. „Ich | |
| glaube, ich hatte nie einen Moment, wo ich persönlich wirklich Schiss | |
| hatte, aber plötzlich konnte ich sehen, was passiert, wenn Faschisten an | |
| die Macht kommen.“ Und Angst vor Krankheiten, die habe er auch. | |
| Die Krankheit: Wartezimmer und Arztbesuche gehörten für Grosshardt und | |
| seine Eltern früher zum Alltag. Bei ihm hatte sich eine Mutation der Lunge | |
| gebildet, weshalb er zu wenig Sauerstoff bekam. Bis die Ärzte die Ursache | |
| herausfanden, vergingen sechs Jahre, dann wurde er operiert. [5][In | |
| „Astronaut“ singt er darüber], wie es für das Kind und die Eltern ist, we… | |
| ein Kind schwer krank ist.„Astronaut“ ist sein meistgehörter Song. | |
| Die Schulzeit: Er war auf einer [6][Waldorfschule] in Hamburg. „Ich glaube, | |
| ich wäre auf einer staatlichen Schule untergegangen, weil ich echt nicht | |
| gut aufgepasst habe und nur Scheiße gebaut habe.“ Die vielen Kunst- und | |
| Handwerkkurse seien aber gut gewesen. „Und ich hatte nicht den Druck, gute | |
| Noten zu schreiben.“ Nebenbei konnte er im Musical „Das Wunder von Bern“ | |
| mitspielen. In der zwölften Klasse stehen in allen Waldorfschulen die | |
| Jahresarbeiten an. Alle Schüler:innen suchen sich ein Thema, mit dem sie | |
| sich zwölf Monate praktisch und theoretisch beschäftigen. „Ich habe mich | |
| damals entschieden, Musik zu machen“, sagt Grosshardt. Zu einem besonders | |
| guten Musiker habe die Schule ihn aber nicht ausgebildet. „Gesangs- oder | |
| Musikunterricht war mir wegen der Theorie zu trocken“ | |
| Alltag: Immerhin, er lernte selbstständig zu arbeiten an der Schule. Das | |
| komme ihm jetzt zugute im Studio, bei Auftritten, Medienterminen und bei | |
| der Social-Media-Arbeit. Dazu [7][Klimastreiks] und Demos gegen Rechts. | |
| „Jeder Tag ist anders; aber mein Kopf dreht sich eigentlich immer nur um | |
| die Musik“, sagt er. Na ja, nicht immer. Fußballspielen und ins Stadion | |
| gehen, das mache er, wenn er mal keine Musik mache. „Pauli-Fan bin ich | |
| schon immer“, sagt Grosshardt. | |
| Utopie: Er ist einer; der nicht viel redet; sondern macht; wenn er kann. | |
| „Ich bau’ mein eigenes Paradies“, singt Grosshardt in einem Lied. In einem | |
| anderen: „Komm, wir bauen uns ein buntes Bullerbü.“ An dieses erinnert der | |
| wilde Garten hinterm Haus. Dort stehen zwar keine drei Schwedenhöfe, aber | |
| immerhin der blaue Wohnwagen, eine Badewanne und ein Baumhaus. Auf der | |
| Wiese sind Fußballtore und zwischen den alten Apfelbäumen hängt eine | |
| Slackline. Am Rand ein selbstgebauter Pizzaofen. „Den habe ich mit zwei | |
| Kumpels gebaut.“ Hier kann man die Möwen kreischen hören. Das ganze Gelände | |
| gleicht einem Abenteuerspielplatz. Sieht so das gute Leben aus? | |
| Zukunft: Er träumt davon, auf dem Dockville in Hamburg zu spielen, „weil | |
| ich Hamburger bin“. Mehr Träume? „Weiterhin politische Musik machen.“ | |
| Gerade könne er und sein Team von der Musik leben. Manchmal nagen Zweifel | |
| an ihm, ob er auch zukünftig noch davon leben kann. „Was, wenn die | |
| Rechtsextremen an die Macht kommen? Aber wenn das mit der Mucke nicht | |
| klappt, gehe ich in die Musikindustrie.“ Grosshardt will sich nicht | |
| entmutigen lassen. | |
| 11 Jul 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Seenotrettung-im-Mittelmeer/!6095105 | |
| [2] https://youtu.be/Q9BU8RC6KSI?si=BdBZNjCDCUPpjGi- | |
| [3] /AfD-Bundesparteitag-in-Essen/!6020042 | |
| [4] /Flucht-uebers-Mittelmeer-nach-Europa/!6059152 | |
| [5] https://youtu.be/0JwdbBvdcmg?si=lLTMdqb4EiqoHA8f | |
| [6] /Glueckliche-Momente-in-der-Waldorfschule/!6068333 | |
| [7] /Klimastreik-in-Hamburg/!6069688 | |
| ## AUTOREN | |
| Johanna Weinz | |
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