# taz.de -- Der Hausbesuch: Der Ruhestand war ihr Neuanfang | |
> Sie will nicht, dass die AfD der Gesellschaft den Stempel aufdrückt. | |
> Deshalb ist Barbara Siebert bei den „Omas gegen Rechts“. Ein Besuch. | |
Bild: Barbara Siebert in ihrem Wohnzimmer | |
Unschätzbar ist, was die „Omas gegen Rechts“ leisten: Sie machen ältere | |
Frauen in der Gesellschaft sichtbar. Sie wehren sich dagegen, dass diese | |
aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwinden, stattdessen mischen sie sich | |
ein und verteidigen die Demokratie. | |
Draußen: Der Weg zu ihrem Haus in Kassel-Wehlheiden ist im Sommer von | |
Pflanzen umwuchert; sie bilden einen grünen Schlauch. Tibetische | |
Gebetsflaggen vor dem Haus trocknen feucht unter bewölktem Himmel. Große | |
Fenster leiten den Blick ins Innere; etwa auf eine alte Puppe der | |
Großmutter – namenlos, aber geliebt –, auf ein Klavier, auf ein Regal mit | |
Reiseführern. | |
Drinnen: Aus Wanderungen zieht Barbara Siebert Energie. „Heute waren es | |
zwölf Kilometer.“ So viele seien es fast jeden Freitag. Die Strecken legt | |
sie zusammen mit einer Freundin zurück. Das Deutschlandticket macht sie | |
mobil, das Gehen hält sie fit. „Ich muss schauen, dass ich beweglich | |
bleibe“, sagt sie. Das Klavier im Wohnzimmer trägt nicht zum fit bleiben | |
bei. „Klavierspielen ist schlecht für meine Sitzhaltung.“ Und sie müsse | |
doch aufpassen, auf ihren Rücken. Siebert will ihre Begeisterung fürs | |
Wandern weitergeben, deshalb spricht sie so lebhaft darüber. Früher, sagt | |
sie, als Kind und als junge Frau, da sei sie eher still gewesen. Sie habe | |
viel durch ihren zweiten Mann gelernt, einen evangelischen Pfarrer, der gut | |
mit Menschen reden könne. | |
Engagement: „Den ganzen Tag Haus und Garten machen – das ist mir zu | |
langweilig“, sagt Siebert. Der Beginn ihres Ruhestands war für sie ein | |
Neuanfang. Sie wollte sich einbringen, einmischen. Ein Ehrenamt folgte dem | |
nächsten – mittlerweile sind es vier. Für den Gebirgsverein markiert sie | |
Wanderwege, für die evangelische Familienbildungsstätte organisiert und | |
begleitete sie stadtbezogene Gruppenaktivitäten. Im BUND Kassel ist Siebert | |
im Vorstand, setzt sich für die Umwandlung von Parkplätzen in Grünflächen | |
ein und für den Schutz von Streuobstwiesen. Für Omas gegen Rechts steht sie | |
hinter und vor Infoständen – immer dann, wenn die AfD eine Veranstaltung | |
plant oder abhält. Dann spricht Siebert mit der Stadtbevölkerung Kassels | |
über Politik und die rechte Partei. | |
Europawahl: „Zuletzt haben wir die Leute in Kassels ermutigt, am 9. Juni | |
bei den EU-Wahlen nicht die AfD zu wählen“, sagt Siebert. Ganz geklappt hat | |
es nicht – die AfD hat in Kassel zugelegt. Jetzt auf 10,3 Prozent. Immerhin | |
weniger als im Bundesdurchschnitt, der bei 15,9 Prozent liegt. Sorgen macht | |
sich Siebert trotzdem. Dass die rechte Partei sich zunehmend etabliert und | |
immer stärker wird, bereitet ihr Unbehagen. „Aber die Stimmung hier ist ein | |
bisschen anders als im Osten“, meint sie. Zumindest müsse sie hier noch | |
keine Angst haben, an Infoständen von Rechtsextremen belästigt zu werden. | |
„Die Omas gegen Rechts in Ostdeutschland, die sind sehr mutig“, sagt | |
Siebert. | |
Der 1. Kongress: Die Lokalgruppen der Omas sind untereinander vernetzt – | |
bei Bedarf unterstützen sie sich. Vielleicht sind die anstehenden | |
Landtagswahlen in Thüringen eine Reise wert, überlegt Siebert. „Erfurt ist | |
gut erreichbar.“ Dort, im Thüringer Landtag, wird dieses Wochenende der 1. | |
Bundeskongress der Omas gegen Rechts stattfinden. In der Stadt ist die AfD | |
bei der Europawahl zweitstärkste Kraft geworden. | |
Zulauf: Seit das Recherchenetzwerk Correctiv seine Nachforschungen über das | |
Potsdamer Treffen neuer rechter und rechtsextremer Akteur:innen | |
veröffentlicht hat, hat sich der Drang, gesellschaftliche und politische | |
Entwicklungen nicht einfach so geschehen zu lassen, verstärkt. Bei den Omas | |
gegen Rechts in Kassel habe sie das sofort an den neuen Frauen, die kamen, | |
bemerkt. „Da hat plötzlich eine Welle von Engagement eingesetzt“, sagt | |
Siebert. Die Ortsgruppe, vorher klein, und „gemütlich“, sei auf die | |
doppelte Größe angewachsen, wuselig und durchmischter geworden. Nun gibt es | |
Arbeitsgruppen, um die Kräfte zu bündeln. Die Frauen sind zwischen Anfang | |
60 und Mitte 80, manche haben Enkel, andere nicht. Auch zwei Opas sind | |
dabei. Manchmal gibt es trotz aller schweren Themen auch etwas zu feiern: | |
Im Juni haben die Omas gegen Rechts als deutschlandweiter Zusammenschluss | |
den Aachener Friedenspreis erhalten. Die Verleihung findet am 1. September | |
statt, mit Liveübertagung nach Kassel. | |
Lieblingsweg: Sieberts liebster Wanderweg liegt nahe des Flusses Werra, an | |
der hessisch-thüringischen Grenze. „Der Weg ist abwechslungsreich, aber | |
auch anstrengend, weil es ziemlich häufig bergauf geht.“ Mehrmals im Jahr | |
fährt sie da hin. Der Weg führt zu einer der größten Burgruinen | |
Mitteldeutschlands: der Burgruine Hanstein und anschließend zu einem | |
Aussichtspunkt, der Teufelskanzel. Von der aus spannt sich ein Panorama auf | |
die Werraschleife. Manchmal macht Siebert auch einen Abstecher zum | |
Klausenhof, der liegt im thüringischen Landkreis Eichsfeld – ebenso wie das | |
250-Seelen-Dorf Bornhagen. Dort wohnt der AfD-Rechte Björn Höcke mit | |
Familie. „Leider“, sagt Siebert. Begegnet ist sie ihm aber noch nicht. | |
Politisches Bewusstsein: Siebert wurde 1955 in Güstow geboren. „Früher war | |
das DDR.“ Die politischen Verhältnisse der damaligen Zeit ziehen sich durch | |
ihre Familie. Der Vater ist ein russischer Soldat, den die Mutter aufgrund | |
seines Passes nicht heiraten und zu dem sie keinen Kontakt halten darf. Als | |
die Mutter einmal zu häufig bei der russischen Kommandantur nach dem Vater | |
ihrer Tochter fragt, fragt diese umgekehrt die Mutter nach Namen weiterer | |
Frauen, die verbotenerweise Kontakt zu russischen Männern halten. Auf | |
Anraten von Sieberts Großmutter flieht die Mutter daraufhin in den Westen, | |
nach Berlin, die Tochter bleibt bei der Großmutter. Erst fünf Jahre später | |
ziehen beide auch nach Westberlin. „Von Ostberlin konnte man damals noch | |
mit der S-Bahn nach Westberlin fahren. Da gab es nur stichpunktartige | |
Kontrollen“, sagt Siebert. Die familiären Ereignisse prägen sie. Als | |
Heranwachsende lebt sie in der Nähe von Bielefeld. Während dieser Zeit ist | |
sie kurz in der KPD Jugendorganisation aktiv, ist bei Demonstrationen der | |
Friedensbewegung und der Anti-Atomkraft-Bewegung dabei. | |
Spätes Studium: Zunächst lernt Siebert Krankenschwester, macht dann eine | |
Ausbildung bei der Telefonseelsorge, holt ihr Abitur nach und schreibt | |
sich, da ist sie 34 und hat schon zwei Kinder, an der Universität in Kassel | |
ein. Das dritte Kind bekommt sie während des Studiums. „Mein Mann war | |
damals schon Pfarrer. Er hat mich unterstützt, hat mir Arbeit abgenommen.“ | |
Nach dem Studium arbeitet sie beim Jugendamt. Eine halbe Stelle hat sie in | |
der Abteilung Allgemeiner Sozialer Dienst, die andere im | |
Kinderschutzfachdienst. Sie ist zuständig für den Kinderschutz, besucht | |
Familien, prüft, ob Kinder vernachlässigt werden. „In der Zeit musste ich | |
auf mich aufpassen. Da muss man gucken, dass man viel Schönes macht als | |
Ausgleich.“ | |
Ausgleich: Den Ausgleich wünscht sie sich auch für die Zukunft, im | |
Politischen wie im Gesellschaftlichen. Um das, was kommen wird, macht sie | |
sich viele Gedanken. Besonders dann, wenn sie sich die Nachrichten | |
anschaut. „Da muss ich wirklich aufpassen, dass ich keine schlechte Laune | |
bekomme.“ Einfach zuzugucken, und die Dingen geschehen lassen, das ist | |
nicht ihr Ding. Wenn sie etwas tue, um die Gesellschaft besser zu machen, | |
stärke das auch ihren Optimismus. „Lieber aktiv werden!“, sagt sie. | |
6 Aug 2024 | |
## AUTOREN | |
Frederike Grund | |
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