# taz.de -- Roman „Stars“ von Katja Kullmann: Was in den Sternen steht | |
> Katja Kullmann folgt in ihrem ersten Roman „Stars“ den Spuren einer | |
> Astrophilosophin – oder einer Hochstaplerin? | |
Bild: Liegt im Horoskop der Schlüssel zum Erfolg? | |
Einmal mit dem Cabrio von einer, die Felicitas Miller von Blachno heißt, | |
durch die Landschaft kutschiert werden – das hätte doch was. Man könnte | |
staunen über ihren Look: „XXL-Sonnenbrille, Ohrringe, Halsketten, | |
Kettengürtel, ein flirrendes Gehänge von Kopf bis Fuß, | |
First-Class-Hippie-Style, teuer, aber billig.“ So beschreibt Carla Mittmann | |
ihre Kundin und fühlt sich in der Sommerhitze schnell recht unwohl in ihrem | |
viel zu warmen „Businesswomananzug“. | |
Da muss sie jetzt durch. So ist es eben, das neue Leben, das sie für sich | |
erfunden hat. Das führt sie auch mal in eine Villa, die so aussieht, „wie | |
sich die Set-Dekorateure beim 'Tatort’ zeitgemäßen Reichtum vorstellen“. | |
Carla Mittmann, die Ich-Erzählerin in Katja Kullmanns Roman „Stars“, ist | |
seit ein paar Wochen als Astrophilosphin im Netz und draußen in der realen | |
Welt unterwegs. Sie stolpert durch die Welt, in der sie Karriere machen | |
möchte, ohne ihr Ziel aus den Augen zu verlieren – mit den Sternen ein Star | |
zu werden. | |
Da laufen jede Menge Leute durch die Seiten, die von Katja Kullmann | |
süffisant mit einer Lust am Überzeichnen beschrieben werden, dass man ihnen | |
am liebsten noch am Tag der Lektüre selbst begegnen würde. Aber vielleicht | |
ist man das ja schon längst. Dieser karrierebewusste Jung-BWLer, der die | |
Mittmann so nervt, als sie noch halbtags im Büro eines Möbelunternehmens | |
arbeitet, der ist einem doch bestimmt schon mal begegnet. Genauso wie der | |
Taxi-Fahrer, der so gar nicht nach Chauffeur aussieht und den man am | |
liebsten fragen würde, was er denn eigentlich studiert hat. | |
## Ausbruch aus dem Büroalltag | |
Carla Mittmann ist auch so eine Eigentliche. Sie hat Philosophie studiert, | |
wollte promovieren und ist dann exmatrikuliert worden. Ein Skandal? Könnte | |
schon sein. Oder ist sie zu weit gegangen mit ihren astrologischen | |
Experimenten, die sie für die Dissertation durchgeführt hat? Auch möglich. | |
Oder war es eine Fügung? Die Sterne waren es. Da ist sich Mittmann am Ende | |
sicher. Nur so konnte sie ja am Ende werden, was es eigentlich gar nicht | |
gibt: Astrophilosophin. | |
Ihr gelingt es also auszubrechen aus ihrem öden Büroalltag, wo sie sich um | |
so Sachen kümmert wie die „Stornierungsweiterleitung einer versehentlich | |
doppelt georderten Broschürenstellwand“, aus der Einsamkeit der typischen | |
Büroangestellten, die auf einem „nach ergonomischen Gesichstpunkten | |
gestalteten Bürostuhl mit pneumatischer Sitzschalensenk- und -hebefunktion“ | |
hockt. | |
Den Anstoß zum Ausstieg gibt ein Stein, der eines Nachts durch ihr Fenster | |
in die Wohnung fliegt. Dann hat auch noch jemand mit Kreide „Freiheit für | |
Mittmann“ auf den Gehsteig vor ihrem Haus geschrieben. Und ein Paket mit | |
10.000 US-Dollar drin, das sie vor ihrer Haustür findet. Woher das kommt, | |
würde sie schon gerne wissen. Es muss ja schließlich etwas zu bedeuten | |
haben. Fügung? Klar, die Sterne. Am Ende ist sich Carla Mittmann da ganz | |
sicher. | |
Katja Kullmann, die als Sachbuchautorin („Generation Ally. Warum es heute | |
so kompliziert ist, eine Frau zu sein“, „Die singuläre Frau“) Erfolge | |
gefeiert hat, beschreibt in ihrem ersten, irrsinnig bilderreichen Roman | |
temporeich, wie es dazu kommen kann, dass man dem eigenen Tun regelrecht | |
verfällt. | |
Dass sie mal an die Sterne glauben würde, hätte sich die Studentin | |
Mittmann, die in einer ihrer Seminararbeiten ein „Soziogramm eines | |
Flaschensammlers“ entworfen hat, gewiss nicht träumen lassen. Aber schon | |
bei ihrem ersten Hausbesuch als Astrophilosophin bei jener klimpernden | |
Felicitas Miller von Blachno wundert sie sich, „mit welcher Präzision das | |
Horoskop dieser Frau das abbildet, was sie mir hier nun gerade schniefend | |
zu erzählen versucht“. Es muss also was dran sein an der Sternendeuterei. | |
## Comeback der Metaphysik | |
Und so ist die Astrologie für Mittmann am Ende mehr als eine Geschäftsidee. | |
Und für die Gesellschaft erst recht. Nach einem Auftritt im Fernsehen | |
schreibt die sich ernst nehmende Presse: „Das Comeback der Metaphysik: Die | |
Philosophie besinnt sich auf ihre alten Tugenden.“ Katja Kullmann weiß, wie | |
solche Überschriften gemacht werden. Sie war lange Redakteurin, [1][unter | |
anderem bei der taz,] wo sie sich dem politischen Zeitgeschehen gewidmet | |
hat. | |
Und jetzt das? Eine Romansatire über Astrohokuspokous? Warum denn nicht? Es | |
darf ruhig auch mal Spaß machen, sich mit all den zutiefst verunsicherten | |
Menschen zu befassen, die in diesen Zeiten, in der die Realität mehr und | |
mehr zur Glaubenssache wird, Dinge für möglich halten, die sie selbst lange | |
für unglaublich hielten. Das macht den Roman durchaus politisch, auch wenn | |
Politik nun wahrlich keine Rolle spielt im Leben von Carla Mittmann. | |
10 May 2025 | |
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## AUTOREN | |
Andreas Rüttenauer | |
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