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# taz.de -- Die Kraft der Musik von „Bella ciao“: Mit geeinter Stimme gegen…
> Im Vergleich zu anderen Ländern wird auf deutschen Demonstrationen wenig
> gesungen. Das wollen Berliner Jodel- und Chorgruppen ändern.
Bild: Auf der „MyGruni“-Demo am 1. Mai wurde viel gesungen – „Jogida�…
Berlin taz | Es gibt Lieder, die kommen mit Ohrwurmgarantie. Dazu gehört
etwa das [1][italienische Partisanenlied „Bella ciao“], das wohl jedem
Menschen schon einmal durch den Kopf geschwirrt ist, spätestens seit es
2018 als entpolitisierter Sommerhit neu vertont wurde. Gerade wegen seiner
Eingängigkeit ist es eines der Lieblingslieder von Elena Gußmann,
Mitgründerin und aktives Mitglied von Jogida in Berlin. „Da können wirklich
alle mit einsteigen“, sagt sie.
Jogida, das ist kein neuer Lokalableger der längst in Vergessenheit
geratenen Pegida-Bewegung. Jogida steht für „Jodel-Offensive gegen
Idiotisierung durch Angst“ – und will den Rechten seit ihrer Gründung vor
acht Jahren innovative Protestformen entgegensetzen. „Wir haben uns
gegründet, um Jodeln als Protestform zu etablieren“, sagt Gußmann.
Jodeln wird oft mit konservativen Traditionen oder rechten Stammtischen in
Verbindung gebracht. Genau diese Konnotation möchte Jogida überschreiben
und die Tradition nicht den Rechten überlassen. Manchmal singe die Gruppe
aber auch, so Gußmann, weil das niedrigschwelliger sei – zum Beispiel
„Bella ciao“.
Mit ihrem Fokus auf Gesang und Musik besetzen die Protestjodler:innen
von Jogida eine Leerstelle im deutschen Demonstrationsgeschehen. Anders als
etwa in Frankreich ist Gesang bei Protesten im deutschsprachigen Raum nicht
fest verankert. „Es gibt Gesellschaften, in denen Gesang einen ganz anderen
Stellenwert bei Protesten einnimmt“, sagt die Soziologin Anna Schwenck.
## Musik und Protest gehören in Afrika zusammen
Schwenck ist zur Zeit Vertretungsprofessorin am Seminar für
Sozialwissenschaften der Universität Siegen und hat unter anderem im
südlichen Afrika zu musikalischer Mobilisierung geforscht. Dort könne man
Musik und Protest gar nicht auseinander denken, so Schwenk. „Die kreative
Protestpraxis mit Gesang und Liedern ist im südlichen Afrika komplett
anders als das, was wir von hier kennen.“
Trotzdem ist Jogida nicht die einzige Gruppe in Deutschland, die
musikalisch protestiert. „Singen ist einfach eine Möglichkeit für die
Zivilgesellschaft, sich einzubringen“, sagt Christina Hoffmann-Möller. Sie
ist Leiterin des politischen Hanns-Eisler-Chors, den sie 1973 mitgegründet
hat. Seitdem probt der Chor regelmäßig, gibt Konzerte und hat CDs
aufgenommen.
„Als Chor oder singende Gruppe verortet man sich als soziales und
politisches Wesen“, sagt Hoffmann-Möller. „Man gestaltet mit dem Singen
eine Zusammengehörigkeit und eine Form von Solidarität.“ Singen ermögliche,
sich gemeinschaftlich gegen jede Form der Unterdrückung zu positionieren.
Aber warum haben es musikalische Protestformen in Deutschland so schwer?
Die Chorleiterin erzählt, politische Musik habe in Deutschland eigentlich
eine lange Tradition. „Musik als Protest taucht bereits mit den
Bauernaufständen im 16. Jahrhundert auf, zieht sich über den 30-jährigen
Krieg, die 1848er-Revolution und die Arbeiterbewegung bis in die heutige
Zeit.“
## Kommunistische Arbeiter:innenbewegung
Insbesondere in der kommunistischen Arbeiter:innenbewegung habe
Musik eine große Rolle gespielt. Hanns Eisler etwa habe Kampflieder
komponiert und dafür auch Bertolt Brechts gesellschaftskritische Texte
vertont. „In Eislers Musik, häufig in Kombination mit Brechtschen Texten,
zeigt sich eine besonders prägnante Verbindung von hervorragender Musik und
gesellschaftlichem Engagement“, schwärmt Hoffmann-Möller. Deshalb habe sie
als engagierte Studierende den Eisler-Chor mitgegründet und nach ihm
benannt. Bekannte Lieder von Eisler sind zum Beispiel „Resolution der
Kommunarden“ oder das „Solidaritätslied“.
Unterbrochen worden sei diese musikalische Protesttradition allerdings
durch den Nationalsozialismus. In der Zeit sei viel Liedgut verloren
gegangen, sagt die Chorleiterin. Das wirke sich bis heute auf die Situation
in Deutschland aus. „Dazu kommt, dass die Deutschen den Hang haben, sehr
kopflastige Protestlieder zu machen“, sagt sie. „Das sind Lieder mit viel
Text und nicht so gängigen Harmonien.“ Sie selbst finde daran großen
Gefallen – aber es führe eben dazu, dass nicht alle Menschen auf der Straße
sofort mitsingen können.
Schlummert in Gesang und Musik also noch viel ungenutztes Potenzial für
soziale Bewegungen? Soziologin Schwenck ist jedenfalls überzeugt, dass
Gesang eine wertvolle „symbolische Ressource“ für soziale Bewegungen sein
kann. „Die Mischung der Klänge hat eine neue Qualität. Sie ist mehr als die
Summe der einzelnen Teile“, sagt sie. Durch das gemeinsame Singen könne man
sich als Teils eines kollektiven Klangkörpers wahrnehmen. Das erzeuge ein
Gemeinschaftsgefühl, ähnlich wie beim Skandieren von Sprechchören. „So kann
in besonderen Situationen Mut hergestellt werden, Kraft und
Entschlossenheit.“
Auch Elena Gußmann von Jogida hat diese Erfahrungen gemacht. Wenn
Protestierende singen, habe das eine ganz besondere Wirkung, sagt sie. „Man
sieht dann strahlende Gesichter, Leute, die Tränen in den Augen haben oder
Gänsehaut. Und man merkt: Wow, wir können zusammen laut sein. Wir wollen
das Gleiche und merken, dass wir nicht alleine sind. Wir können uns
organisieren und synchronisieren.“
## „Man hat seine Stimme immer dabei“
Anna Schwenck findet, vor allem die Körperlichkeit und Individualität der
Stimme unterscheide Gesang von instrumentaler Musik. „Die menschliche
Stimme ist wie ein Fingerabdruck, etwas ganz Individuelles“, sagt sie. Sie
weist auch darauf hin: „Man hat seine Stimme immer dabei, auch spontan“.
Jodlerin Gußmann meint, dass die eigene Stimme „auch immer mit politischer
Meinungsäußerung zu tun“ habe: Auch bei Wahlen werde abgestimmt und
zugestimmt, man erhebe die Stimme, es gibt ein Stimmrecht … „Stimme ist
gleichzeitig etwas sehr Persönliches und Politisches.“
Nichtsdestotrotz gibt es auch politische Gruppen, die instrumentale
Protestmusik machen. Ein Beispiel ist die bundesweit auftretende Gruppe
„Lebenslaute“. Die Musik- und Aktionsgruppe macht einmal jährlich eine
große musikalische Protestaktion als Orchester. Eine Besonderheit der
„Lebenslaute“: „Bei der Wahl unserer Konzert-Orte lassen wir uns nicht
durch herrschende Vorschriften einschränken“, schreibt die Gruppe auf ihrer
Website. Sie suche die politische Konfrontation durch Blockaden,
Besetzungen, Entzäunungen oder Betreten verbotener Orte.
Für Elena Gußmann von Jogida steht dagegen im Mittelpunkt, das alle
mitmachen können. „Manche Menschen blockieren sich und denken: ‚Ich muss
erst mal rausfinden, ob ich Sopran oder Tenor singe, dann muss ich Noten
lesen lernen …‘ Das brauchen wir nicht.“ Die Gruppe wolle einfach zum
Singen motivieren, vereint durch eine Solidarität und eine
antifaschistische Haltung. „Und wenn es schief klingt, klingt es schief.
Das ist dann auch nicht schlimm.“
14 May 2025
## LINKS
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Bella_ciao
## AUTOREN
Leonore Kogler
## TAGS
Protestsong
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