| # taz.de -- Fotoserie über georgische Tankstellen: Eine letzte Reise | |
| > Der Eckernförder Fotograf Klaus Andrews hat in Georgien Tankstellen | |
| > fotografiert. Damit kehrt er ganz an den Anfang seines Schaffens zurück. | |
| Bild: Reste eines Booms: Von einst bis zu 4.500 Tankstellen im Land ist gut ein… | |
| Manchmal kommt man am Ende an den Anfang zurück. In den frühen | |
| 1980er-Jahren, im dritten Semester seines Studiums der Visuellen | |
| Kommunikation in Hamburg, konzipierte Klaus Andrews eine Fotoserie über | |
| stillgelegte Tankstellen im Landkreis Pinneberg: „Dort gab es seinerzeit | |
| eine Art Tankstellen-Sterben.“ Er lacht und erzählt: „Als Student hat man | |
| ja gewisse Berührungsängste, fremde Menschen zu fotografieren; vor meinen | |
| Tankstellen war es dagegen schön einsam.“ | |
| Nach vier Wochen abgehakt, war diese Geschichte offenbar prägend: „Immer, | |
| wenn ich später unterwegs war, etwa in den USA, habe ich Tankstellen | |
| fotografiert“, sagt der heute in Eckernförde lebende Andrews. Auch als er | |
| im Jahr 2020 für eine Fotoreportage erstmals in Georgien war, fielen ihm | |
| die vielen Tankstellen auf – überall Tankstellen. „Es gab zwischenzeitlich | |
| in diesem Land von der Größe Bayerns um die 4.500“, weiß er. Davon seien | |
| „mittlerweile gut 1.600 stillgelegt“. | |
| „Mein erstes Thema wird auch mein letztes Thema sein“, sagt er erstaunlich | |
| nüchtern. Andrews, der weltweit für große Magazine unterwegs war, 20 Jahre | |
| lang einen Lehrauftrag für Unterwasserfotografie in Kiel innehatte und | |
| [1][den Freien-Verband „Freelens“ mitbegründete], wird aufhören. | |
| „Fotografieren war für mich immer ein Beruf“, sagt er, „und es wird nich… | |
| wo ich jetzt im Ruhestand bin, ein Hobby werden.“ | |
| ## Geschichte anhand von Tankstellen erzählt | |
| Also seine letzte Arbeit, ohne Auftraggeber, aber getragen von großer Lust. | |
| Und damit kommt am Ende die Kunst ins Spiel: Den Fördertopf der „Stiftung | |
| Kulturwerk“, die zur Verwertungsgesellschaft Bildkunst gehört, überzeugte | |
| Andrews’ eingereichtes Exposé. Mit auf seine zweite Reise nach | |
| [2][Georgien] ging die Dolmetscherin Eto Jincharadse, um mit den Menschen | |
| ins Gespräch zu kommen. Man hatte einen Mietwagen, zwei Wochen Zeit – und | |
| vor sich eine Strecke von 2.600 Kilometern. | |
| „14 Tage sind nicht viel, und ich habe kaum Rücksicht auf das Wetter nehmen | |
| können und damit auf das Licht. Von daher habe ich eine dokumentarische | |
| Sammlung angelegt“, skizziert er sein Projekt. Dem liegt eine Frage | |
| zugrunde: Kann man die jüngere Geschichte Georgiens anhand seiner | |
| Tankstellen erzählen? | |
| „Ja, kann man“, sagt Andrews. Und zeigt auf Fotos ganz aus dem Osten, dem | |
| Grenzgebiet zu [3][Aserbaidschan], in dem die Erdölförderung einen ihrer | |
| Ursprünge hat: „Man hat ein paar Meter gebohrt und dann hat es gesprudelt.“ | |
| Heute zeigen seine Bilder eine erschöpfte Industrielandschaft mit | |
| stillstehenden Pferdekopf-Pumpen und zugewachsenen Tankstellen. Gebaut | |
| wurde in der Sowjetzeit auch, wann immer es Material gab; ob der Bau sich | |
| ökonomisch lohnte, war nachrangig. Das prägt das Land bis heute. | |
| ## Eine eigene Art des Vergessens | |
| Das Ende der Sowjetunion und die Unabhängigkeit Georgiens 1991 lösten dann | |
| einen Tankstellen-Boom aus: „Das Auto wurde zum Prestige-Objekt“, sagt | |
| Andrews. „Man dachte, also brauchen die Leute Benzin, also brauchen die | |
| Leute Tankstellen.“ Klar, dass nicht alle Gründungen überlebt haben. Immer | |
| wieder zeigt sich aber auch eine Art des Improvisierens, wie sie für | |
| postsowjetische Gesellschaften so typisch ist: Während im Hintergrund eine | |
| Tankstelle verfällt, parkt vor ihr ein Lkw, voll mit Gasflaschen – eine | |
| fahrende Tankstelle, bloß halt für Autogas. | |
| Andere Immobilien dienen heute als Reifenlager oder Unterschlupf für | |
| pausierende Lkw-Fahrer. Eine Tankstelle wurde zu einem Restaurant, in das | |
| niemand ging, heute ist sie eine Mischung aus Apotheke und Drogerie und | |
| scheint ganz gut zu laufen. Oftmals sind die Bauten als Tankstellen kaum | |
| noch zu erkennen –selbst Anwohnende können sich nicht mehr erinnern, wer da | |
| warum einst was errichtete. Es gebe, sagt Andrews, im Land eine ganz eigene | |
| Art des Vergessens. | |
| Und dann die Folgen von Korruption und Schattenwirtschaft: Am Rande der | |
| neuen Autobahn, die einmal quer durchs Land führen wird, ausgebaut von | |
| chinesischen Staatsunternehmen, zerfällt eine eben erst erbaute Tankstelle. | |
| Sie steht hinter der Leitplanke, die Zufahrt fehlt, es kommt also kein Auto | |
| dorthin. Stark frequentiert dagegen ist die nächste, Teil einer | |
| [4][Raststätte] mit der Ausstrahlung einer neo-brutalistischen | |
| Beton-Festung. „Geht man näher heran, sieht man, dass es sich um | |
| Eternitplatten auf einem Stahlgestell handelt, die allmählich wegbröckeln.“ | |
| Andrews zeigt auf das Foto einer bunt verzierten Tankstelle in Batumi am | |
| Schwarzen Meer: Sie gehört dem aserbaidschanischen Energie-Unternehmen | |
| Socar, das als Sponsor der Fußball-EM 2021 seine Tankstellen mit Symbolen | |
| der beteiligten Länder bestückte – für Dänemark fand man stilisierte | |
| Legosteine passend. | |
| ## Tankwart werden, wenn man könnte | |
| „An so gut wie allen Tankstellen kann man mit seiner Kreditkarte zahlen, | |
| aber man kann sein Auto nicht selbst betanken“, erzählt der Fotograf: „Das | |
| erledigt ein Tankwart.“ Immer wieder habe er von Tankstellenbesitzern zu | |
| hören bekommen: „Wenn ich könnte, würde ich nach Deutschland gehen und dort | |
| Tankwart werden.“ Müssen wir erwähnen, dass Andrews auch die eine und | |
| andere Tankstelle zum Kauf angeboten wurde? | |
| Passend dann ein Lichtblick, eine erfolgreiche Neunutzung von | |
| Gescheitertem: Auf dem Grund einer einstigen Tankstelle erhebt sich ein | |
| Café, bestehend aus zwei Schiffscontainern, auf dem Dach sehen wir Stühle | |
| und Tische, alles in obsessivem Grün. Von der früheren Nutzung ist nur die | |
| Säule geblieben, an der einst die Kraftstoffpreise erstrahlten. Nun ragt | |
| sie fast schüchtern in den allmählich nachtblau sich färbenden georgischen | |
| Himmel. | |
| 8 Jun 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Frank Keil | |
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