# taz.de -- Ole Nymoen und die Frage des Krieges: Kampflos in die Unfreiheit? | |
> Der deutsche Bestseller-Autor Ole Nymoen will nicht für sein Land kämpfen | |
> und würde dafür ein Leben in Unfreiheit in Kauf nehmen. Ein Pro und | |
> Contra. | |
Bild: Abfahrt in die Kaserne – ein Rekrut wartet auf seinen Zug | |
Bei der Frage, wie man mit den Thesen des Autors Ole Nymoen in seinem Buch | |
„Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde“ umgehen sollte, ist die | |
Redaktion – wie so oft – nicht einer Meinung. Ein Pro & Contra. | |
## Pro | |
Von Pauline Jäckels | |
Für den deutschen Staat weder sterben noch töten zu wollen, ist absolut | |
nachvollziehbar. Wichtiger als die individuelle Haltung ist die | |
Klassenfrage. | |
[1][Sie ist wieder da, die Debatte um die Wehrpflicht.] Noch setzen SPD und | |
CDU auf Freiwilligkeit, doch zumindest die Union wünscht sich langfristig | |
eine Pflicht – für Männer und Frauen. Aus konservativer Sicht ist das | |
folgerichtig. Meint man es mit der neuen deutschen Kriegstüchtigkeit ernst, | |
reichen viele neue, schuldenfinanzierte Panzer allein nicht aus. Es braucht | |
auch Menschen, die sie bedienen – und im Ernstfall, etwa bei einem | |
russischen Angriff auf einen Nato-Partner, bereit sind, damit zu töten. Nur | |
ist der Großteil der jungen Menschen eben dazu nicht bereit: Lediglich 19 | |
Prozent aller Befragten würden laut Forsa-Umfrage [2][im Ernstfall ihr Land | |
mit der Waffe verteidigen]. Wer das öffentlich sagt, wird im Netz oder in | |
Talkshows als Vaterlandsverräter oder – in der grün-liberalen Variante – | |
als naive, friedensverwahrloste Lumpenpazifistin beschimpft. Auch ich wage | |
mich hiermit an die deutsche Debattenfront: Weder will ich gebären noch | |
töten oder sterben für Deutschland. Auch nicht für Europa. Und erst recht | |
nicht für die Nato. | |
Wenn junge Menschen wie der Autor Ole Nymoen sagen, sie würden „lieber in | |
Unfreiheit leben, als für Freiheit zu sterben“, ist das zunächst eine | |
persönliche Haltung. Sie als naiv abzutun, greift zu kurz. Vielmehr ist sie | |
Ausdruck eines grundlegenden Lebenserhaltungsdrangs, der den kaum | |
ausgeprägten Patriotismus junger Menschen in Deutschland überlagert. | |
Nymoens eigentliches Argument liegt woanders: Wer kämpft für wessen | |
Freiheit? Staaten führen Kriege nicht primär zum Schutz der Bevölkerung | |
oder abstrakter Werte. Entweder sie wollen Territorium gewinnen, um Macht | |
auszuweiten, oder verteidigen es, um Souveränität zu erhalten. Die | |
Bevölkerung – in Friedenszeiten Humankapital – wird im Krieg zu | |
Menschenmaterial. So funktionieren Nationalstaaten. Warum also sollten | |
Linke diese Logik übernehmen? | |
Um den Gedanken weiter zu präzisieren: Krieg ist eine Klassenfrage. Es sind | |
nicht die Kinder von Abgeordneten, Konzernvorständen, Talkshow-Gästen, die | |
als Erste im Schützengraben landen. Sondern die von Verkäuferinnen, | |
Paketboten, Pflegekräften. Wer über Einfluss oder Geld verfügt, wird Wege | |
finden, die eigenen Kinder vom Wehrdienst zu befreien. Weder ein Angriffs- | |
noch ein Verteidigungskrieg gegen Russland ist im Interesse der arbeitenden | |
Bevölkerung. | |
Statt die Kriegslogik zu übernehmen, sollten sich Linke dagegen | |
organisieren und Druck ausüben, damit der Staat nicht auf eine gefährliche | |
Aufrüstungspirale setzt, sondern auf diplomatische Mittel, um ein | |
Kriegsszenario abzuwenden. | |
Selbst wenn man meint, man ginge an die Front für Demokratie und Freiheit: | |
Ein Szenario, in dem die AfD in vier oder acht Jahren stärkste Kraft wird, | |
ist nicht unwahrscheinlich. Dass sich der rechte Flügel der CDU durchsetzt | |
und eine blau-schwarze Koalition eingeht, ist vorstellbar. Dann bauen wir | |
heute eine Armee auf, die morgen einer AfD-Regierung dient – und | |
verteidigen eine Unfreiheit gegen die nächste. | |
## Contra | |
Von Simone Schmollack | |
Der Autor Ole Nymoen weiß nicht, wovon er spricht, wenn er ein Leben in | |
Unfreiheit dem Kampf für Freiheit vorzieht, wie er in seinem Buch „Warum | |
ich niemals für mein Land kämpfen würde“ schreibt. Das aber trotzdem | |
vorweg: Ich kann vielen seiner Thesen folgen. [3][Er hat recht, wenn er | |
sagt, dass man im Krieg sterben oder verwundet werden kann.] Ich stimme ihm | |
zu in der Annahme, dass man durch einen Krieg – ob mit oder ohne physische | |
Verletzungen – schwere psychische Schäden davontragen kann. Er hat ebenso | |
recht, wenn er fürchtet, im Krieg auf Menschen schießen zu müssen, mit | |
denen er bis dahin friedlich nebeneinander lebte oder die er noch nicht | |
einmal kannte. Ich kann also verstehen, dass der 27-Jährige keine Waffe in | |
die Hand nehmen und schon gar nicht sterben will. Wer will das schon? | |
Und doch muss ich ihm heftig widersprechen. Seine Idee, lieber in | |
Unfreiheit zu leben, als für Freiheit zu sterben, mag bedeutsam, mutig, | |
postheroisch klingen, weil sich Nymoen damit der neuen deutschen | |
Kriegstüchtigkeit in den Weg stellt. Aber es ist nicht mutig, sich | |
freiwillig in Unfreiheit zu begeben. Im Gegenteil, es ist naiv und zeugt | |
lediglich davon, dass Nymoen keine Ahnung von einem Leben in Unfreiheit | |
hat. Wie sollte er das auch wissen? Er wurde 1998 in Freiheit geboren, er | |
wuchs in Freiheit und Wohlstand auf, er darf, seit er sprechen kann, alles | |
sagen, was er denkt. Als Journalist wird er wegen seiner Arbeit weder | |
bestraft noch verhaftet, gefoltert,ermordet. Anders als viele andere | |
Menschen, die in ihren Ländern für Freiheit kämpfen: Russland, Türkei, | |
China, Afghanistan, Saudi-Arabien, Iran – um nur einige zu nennen. | |
Nymoen lebt ein privilegiertes Leben in einer Demokratie, das Leben in | |
einer Diktatur, in Unfreiheit, kennt er nur theoretisch. Ich bin in einer | |
Diktatur groß geworden und weiß, was das heißt. Auch wenn ich nicht, so wie | |
viele DDR-Dissidenten, im Stasi-Knast war und dort vergiftet, gefoltert, | |
gedemütigt wurde. Von der Stasi verfolgt und bedroht indes wurde ich schon, | |
sie legte mehrere Dossiers über mich an, meine Wohnung war verwanzt. In | |
einer Diktatur hat schon jedes kleine Kind die berühmt-berüchtigte Schere | |
im Kopf: Was darf ich im Kindergarten und in der Schule sagen, damit meine | |
Eltern keinen Ärger bekommen? Studierende umso stärker, weil sie | |
exmatrikuliert werden könnten. | |
Wer etwas Falsches, etwas Kritisches sagt, wer demonstriert und aufbegehrt, | |
der muss damit rechnen, inhaftiert und getötet zu werden. Müttern werden | |
ihre Kinder weggenommen, Menschen verschwinden. Es geht den Diktatoren | |
immer darum, maximalen Druck gegen Gegner:innen aufzubauen, Angst zu | |
schüren, Denunziantentum zu produzieren. DAS ist Unfreiheit in einer | |
Diktatur – und nicht etwa ein Deutschland wie heute, nur mit ein paar | |
Einschränkungen. | |
Aber Ole Nymoen kann ganz gelassen bleiben: Die Wehrpflicht wird zunächst | |
nicht wieder eingeführt, es ist auch in absehbarer Zeit nicht realistisch. | |
Er muss also gar nicht in den Krieg. Ich wünsche ihm, dass er nie in | |
Unfreiheit leben muss. Autoritäre Regime aber, die gibt es nach wie vor. | |
Und es dürften mehr werden. | |
15 Apr 2025 | |
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## AUTOREN | |
Simone Schmollack | |
Pauline Jäckels | |
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