# taz.de -- Friedrich Merz' neue Bundesregierung: Mehr Rückschritt wagen | |
> Am Kapitel Landwirtschaft des Koalitionsvertrages zeigt sich etwas | |
> Grundsätzliches: Merz' CDU, Söders CSU und die SPD wollen lediglich | |
> modernisierungsfeindlich verwalten. | |
Bild: Gesicht des Rückschritts: Michaela Kaniber, bayerische Landwirtschaftsmi… | |
[1][taz FUTURZWEI] | Die Treckerblockaden der letzten Jahre waren | |
erfolgreich: „Mehr Rückschritt wagen“ - das ist die Ansage für die | |
Landwirtschaftspolitik der kommenden Bundesregierung. | |
Michaela Kaniber, derzeit CSU-Landwirtschaftsministerin in München, soll | |
das [2][Ministerium in Berlin] übernehmen. Sie gilt als Bauernflüsterin, | |
seit sie in den [3][Bauernunruhen 2023/24] vermittelt hat. | |
Ein Umbau der Landwirtschaft in Richtung ökologischer Verantwortung hat | |
während der [4][Ampel-Jahre] - bis auf kosmetische Korrekturen - ebenso | |
wenig stattgefunden, wie die Modernisierung der konventionellen Produktion | |
mit [5][Digitalisierung], [6][KI] und wissensbasierten Methoden. | |
Das Befestigen dieser weiterhin konventionellen Landwirtschaft gegen jede | |
Modernisierung, das ist nun der Auftrag für Kaniber, 47. | |
## Interessenvertretung statt Modernisierung | |
Es fällt indes schon auf, dass das Programm für diesen Rückschritt die | |
kurzfristigen Interessen der Bauern besser bedient, als alle eben doch viel | |
Einsatz und Aufwand verlangenden ökologischen und digitalen | |
Modernisierungskonzepte. | |
Die von der Ampel abgeschaffte Agrardieselvergütung (450 Millionen Euro) | |
wird wieder eingeführt. Die Landwirtschaft soll nicht in den | |
[7][Emissionshandel] zur Co2- Reduzierung einbezogen werden. | |
Die Landwirtschaft soll am „Investitionsbooster“ beteiligt werden, um 30 | |
Prozent erhöhte Abschreibungen auf Ausrüstungsinvestitionen von 2025 bis | |
2027 wären möglich. Eine steuerliche Risiko-Ausgleichrücklage gegen | |
potentielle Klimaschäden soll eingeführt werden. Das alles bringt für Jahre | |
garantierte Gewinne für die Bauern aus den öffentlichen Haushalten. | |
## Widersprüche der neuen Politik | |
Weiter sind Zuschüsse für einen Tierwohl gerechten Stallumbau in Höhe von | |
1,5 Milliarden Euro vorgesehen, wogegen es im Prinzip nichts einzuwenden | |
gibt – allerdings sollen zugleich die Umweltverträglichkeitsprüfungen für | |
Stallbauten zurückgefahren werden, was zusammen gesehen der | |
[8][Massentierhaltung] neue Perspektiven eröffnet. | |
Die Stoffstrombilanz im Düngerecht soll abgeschafft, die Zulassung neuer | |
Pestizide vereinfacht und der Gebrauch von Biotechnologien und genomischen | |
Techniken erleichtert werden. Das Immissionsschutzgesetz soll für die | |
Landwirtschaft in seiner Geltung eingeschränkt, das Verbandsklagerecht und | |
das Umweltinformationsgesetz sollen gesoftet werden. | |
Die EU-Verordnungen gegen Entwaldung und zur Wiederherstellung natürlicher | |
Zustände sollen nicht umgesetzt werden. Mit der geplanten Abschaffung der | |
Aufzeichnungspflichten für Landwirte sollen die Bauern von allen für sie | |
lästigen Fesseln gesellschaftlicher und nachhaltiger Verantwortung befreit | |
werden. | |
Dass dann auch noch das Töten von Wölfen möglich werden soll, kann als | |
populistisches Ausrufezeichen gegen den angeblichen ökologischen Unsinn und | |
jede Modernisierung gesehen werden. | |
Dieses Regierungsprogramm erstaunt umso mehr, als eine Modernisierung der | |
Landwirtschaft längst wissenschaftlich, konzeptionell und wirtschaftlich | |
gut begründet ist und mit umsetzbaren Schritten untersetzt. | |
Die Anpassungen an den [9][Klimawandel] und zugleich die Modernisierung der | |
Landwirtschaft mit Digitalisierung, KI und Daten gestützten, | |
wissensbasierten Methoden sind kein Widerspruch. Im Gegenteil. | |
## Landwirtschaft 4.0 | |
Sie sind zusammengeführt worden in dem, in [10][Baden-Württemberg] | |
erarbeiteten, konzeptionellen Ansatz „Landwirtschaft 4.0“. | |
Seine Kernpunkte sind Precision Farming: zielgerichtete Bewirtschaftung | |
landwirtschaftlicher Nutzflächen mittels Sensorik und Automatisierung und | |
Precision Livestock Farming: Datenbasierte Prozesssteuerung in der | |
Tierhaltung. Dann Smart Farming: Anwendung von modernen Informations- und | |
Kommunikationstechnologien (ICT) in der Landwirtschaft zur | |
Entscheidungsunterstützung. Und Digital Farming: Vernetzung von großen | |
Datenmengen (Big Data) und Systemen mit den zentralen Elementen des | |
„Internet der Dinge“, in denen vernetzte Gegenstände selbständig | |
miteinander kommunizieren und Computerressourcen geteilt werden („Cloud | |
Computing“). | |
Regenerative Anbaumethoden, die Entwicklung von Klima angepassten, | |
nachhaltigen Nutzpflanzen und Produkten, gezieltes Wasser- und | |
Bewässerungsmanagement, sowie der lokale und pflanzenspezifisch präzise | |
Einsatz von ökologisch angepassten und für Menschen, Tiere und Umwelt | |
unschädlichen Düngemitteln sind kein futuristisches Teufelswerk, sondern, | |
zum Beispiel, in Israel längst gute landwirtschaftliche Praxis. | |
Massentierhaltung und Superschläge (also riesige Anbauflächen), wie bei | |
vielen deutschen Großbauern in Gebrauch, können so vermieden werden. | |
## In Berlin wird Rückschritt gewagt | |
Im Kapitel Landwirtschaft des Koalitionsvertrags von Union und SPD tauchen | |
weder eine besondere Förderung des Umsteigens auf Bio -Landwirtschaft auf, | |
noch eine für die Modernisierung zu einer datenbasierten Landwirtschaft auf | |
der Basis von Digitalisierung und KI. Stattdessen sollen die vorhandenen, | |
auch wirtschaftlich langfristig nicht mehr überlebensfähigen Strukturen mit | |
Subventionen zu Lasten der Umwelt und der Versorgungssicherheit der | |
Bevölkerung mit gesunden, ökologisch erzeugten Lebensmitteln | |
fortgeschrieben werden. | |
Am Kapitel Landwirtschaft des Koalitionsvertrages zeigt sich etwas | |
Grundsätzliches: [11][CDU], [12][CSU] und [13][SPD] wollen lediglich | |
modernisierungsfeindlich verwalten. | |
Sie ignorieren das erreichbare Ziel einer Transformation aller | |
gesellschaftlichen Systeme in einen nachfossilen, digitalen Neubeginn. Seit | |
die [14][Grünen] vom Kabinettstisch vertrieben wurden, treten die neuen, | |
alten Koalitionäre auf wie die Regierenden, auf die wir vor gut sechzig | |
Jahren mit Verachtung und revolutionären Träumereien geschaut haben. | |
Die Hoffnung auf eine aufgeklärte Transformation aus der Mitte der | |
Gesellschaft scheint Geschichte. | |
Fragt sich, ob die Grünen dieser Hoffnung noch einmal gesellschaftliche | |
Kraft und politischen Inhalt geben können. Oder, ob es erst | |
[15][AfD]-Mehrheiten braucht, bis auch Union und SPD begreifen, dass sie | |
mehr aufbieten müssen, als die Wirtschaft zu pimpen und den Sozialstaat | |
monetär auszuweiten. | |
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14 Apr 2025 | |
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## AUTOREN | |
Udo Knapp | |
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