# taz.de -- Physiker über Temperaturen in der Arktis: „Wir könnten häufige… | |
> Die Arktis verliert immer mehr Eis. Das beeinflusst wahrscheinlich den | |
> Jetstream, sagt der Physiker Raphael Köhler – und kann gefährlich werden. | |
Bild: Für Schiffe wird es immer einfacher, die Arktis auch im Winter zu passie… | |
taz: Die Arktis steuert auf den Höhepunkt des diesjährigen Winters, nie gab | |
es zu diesem Zeitpunkt so wenig Meereis wie in diesem Jahr – aktuell 14,1 | |
Millionen Quadratkilometer. Woran liegt das? | |
Raphael Köhler: Zwei Faktoren spielen eine große Rolle. Erstens hatten wir | |
in diesem Februar eine blockierende Wetterlage, die lange Zeit stabil | |
blieb: ein Hochdruckgebiet über Skandinavien und im Ural-Gebiet. Das hat | |
dazu geführt, dass über dem Atlantik sehr viel warme Luft in die Arktis | |
transportiert wurde. | |
taz: Und zweitens? | |
Köhler: Das ist der Klimawandel! Der führt dazu, dass wir immer mehr | |
Meereis auf dem Arktischen Ozean verlieren, zuletzt circa 2,5 Prozent pro | |
Dekade. | |
taz: Es heißt, dass das arktische Meereis ein Kipppunkt ist. Warum? | |
Köhler: Das Meereis ist eines der am schnellsten reagierenden Systeme auf | |
den Klimawandel, Rückkopplungseffekte verstärken das. Der wichtigste ist | |
die sogenannte Albedo: Helle Flächen haben einen hohen Rückstrahlfaktor, | |
Meereis strahlt viel Sonnenenergie in die Atmosphäre zurück. Fehlt das Eis, | |
ist da der dunkle Ozean mit einer geringen Albedo: Die Sonnenenergie | |
gelangt leicht ins Wasser und heizt den Ozean weiter auf. Dadurch schmilzt | |
aber noch mehr Eis – ein Teufelskreislauf. | |
taz: An welcher Stelle stehen wir bei diesem Kippen? | |
Köhler: Da es sich beim Abschmelzen des Meereises um einen eher linearen | |
Prozess handelt, ist Kippen nicht die optimale Bezeichnung. Das Abschmelzen | |
ist aber schon sehr weit fortgeschritten. Es gibt verschiedene Studien, die | |
einen eisfreien Ozean in der Arktis in den 2030er Jahren sehen – manche in | |
weniger als zehn Jahren. | |
taz: Das bedeutet: Dieser Kipppunkt ist nicht mehr zu retten? | |
Köhler: Natürlich ist immer noch etwas zu retten. Mit Klimamodellen sehen | |
wir, dass sich das arktische Meereis auch wieder erholen kann. Das dauert | |
meistens länger als das Abschmelzen. Aber dafür müssen wir natürlich die | |
Treibhausgase reduzieren. Aktuell steigen sie aber immer weiter an. | |
taz: Es heißt, der Nordpol erwärmt sich besonders stark. Warum ist das so? | |
Köhler: Das liegt an verschiedenen Rückkopplungseffekten. Beispielsweise | |
besitzt die Luft in der Arktis eine andere atmosphärische Schichtung als in | |
den Tropen. Neueste Studien ergaben, dass sich die Arktis bis zu vier Mal | |
so schnell erwärmt wie der Rest der Welt. | |
taz: Jetzt kommt der Jetstream ins Spiel: Dieser Höhenwind ist für unser | |
Wetter verantwortlich. Was hat der Jetstream mit dem arktischen Meereis zu | |
tun? | |
Köhler: Unterschiedliche Studien zeigen, dass massiver Eisverlust | |
beispielsweise in der Barents- oder in der Karasee dazu führen, dass der | |
Jetstream häufiger schwächelt. Normalerweise treibt dieser Starkwind in bis | |
zu 15 Kilometern Höhe abwechselnd Hochdruck- und Tiefdruckgebiete vor sich | |
her. Wenn er schwächelt, bleibt ein Hochdruckgebiet lange an einem Fleck. | |
Und das kann dann extreme Wetterlagen begünstigen. | |
taz: Was treibt den Jetstream denn an? | |
Köhler: Antreiber ist wie bei jedem Wind eine Temperaturdifferenz: Beim | |
Jetstream ist es die zwischen Tropen und Nordpol. Wird es immer wärmer in | |
der Arktis, sinkt die Antriebskraft. | |
taz: Warum sollten wir uns für den Jetstream interessieren? | |
Köhler: Weil er unser tägliches Wetter bestimmt. Ist der Jetstream stark, | |
dann haben wir hier in Europa im Winter eher feuchte, milde Bedingungen. | |
Wenn der Jetstream sich abschwächt, kann das dazu führen, dass wir wieder | |
mehr Kältewellen bekommen. | |
taz: Gibt es Wetterphänomene in den letzten Jahren, die Folge eines | |
schwächelnden Jetstreams sind? | |
Köhler: Da gibt es eine ganze Reihe: Angefangen bei den Kältewellen in | |
Europa oder den USA, über das extreme Regenereignis im Ahrtal im Frühjahr | |
2021 bis zum extrem trockenem Frühling 2019. Generell begünstigt ein | |
schwächelnder Jetstream lang anhaltende Wetter-Konstellationen, die genau | |
solche Extremereignisse ermöglichen. | |
taz: Man kann also schlussfolgern: Weniger Meereis in der Arktis führt bei | |
uns zu mehr extremen Wetter? | |
Köhler: Es gibt Modellstudien, die diese Verbindung ziehen. Aber mit solch | |
einer Linie muss man ein bisschen vorsichtig sein: Wir haben noch so viele | |
andere Einflussfaktoren, die zu Extremereignissen führen. Aber ja: Immer | |
mehr von der Wissenschaft gefundene Hinweise deuten darauf hin, dass | |
weniger Meereis dazu führt, dass wir dadurch auch häufigere | |
Extremereignisse bekommen können. | |
taz: Nach dem Höhepunkt des arktischen Winters scheint dort wieder die | |
Sonne, der zugefrorene Nordpol taut bis Ende September wieder auf. Wenn Sie | |
den neuen Minusrekord bilanzieren: Kann man schon abschätzen, wie der | |
arktische Sommer aussehen wird? | |
Köhler: Man kann natürlich nicht sagen, ob das jetzt ein besonders warmer | |
oder besonders kalter arktischer Sommer wird. Was man aber sagen kann, ist: | |
Eis hat ein natürliches Gedächtnis. Wenn jetzt besonders wenig Eis den | |
Ozean bedeckt, dann begünstigt das natürlich auch den Schmelzprozess. Das | |
legt nahe, dass das Minimum am Ende des Sommers auch eher gering ausfällt. | |
taz: Nicht nur am Nordpol gibt es einen neuen Negativ-Rekord: Auch in der | |
Antarktis wird ein solcher gemessen – jetzt, am dortigen Höhepunkt des | |
antarktischen Sommers. Woran liegt das? | |
Köhler: Die Antarktis ist für die Wissenschaft sehr spannend! Jahrelang | |
haben wir beobachtet, dass sie stabil ist, das antarktische Meereis | |
veränderte sich kaum. Bis vor vier fünf Jahren: Plötzlich geht auch am | |
Südpol das antarktische Meereis sehr stark zurück. Um das zu erklären, muss | |
noch viel geforscht werden. | |
taz: Ein Grund jedenfalls steht fest: Die steigende Konzentration der | |
Treibhausgase heizt die Atmosphäre immer weiter auf. Was gibt Ihnen | |
Hoffnung? | |
Köhler: Die Menschheit hat in der Vergangenheit immer wieder gezeigt, dass | |
sie zu Veränderungen bereit ist, zum Beispiel bei der Rettung der | |
Ozonschicht. Aber sicherlich: Beim Thema Klimaschutz ist das mit der | |
Hoffnung tatsächlich eine schwierige Geschichte. | |
2 Apr 2025 | |
## AUTOREN | |
Nick Reimer | |
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