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# taz.de -- Von „Pace!“ zu „Putin!“: O Lire! O Scheiß! Die Partisanen …
> Italien, das „Land der Diebe und Bademeister“, begeistert unseren Autor
> nicht mehr wie früher. In der deutschen Literatur hat die Abneigung
> Tradition.
Bild: Blickt auch Michelangelos David getrübt auf Italien?
Dass Italien mich nicht mehr so begeistert wie eigentlich mein ganzes
Erwachsenenleben lang, [1][habe ich in der letzten Kolumne schon
angedeutet]. Das liegt aktuell vor allem an einem großen Teil der
italienischen Linken, die ausgiebig [2][„Pace, pace!“] rufen, was aber
immer nur als „Putin, Putin!“ rüberkommt.
Als ich diese kretinhafte Friedensliebe auf Kosten der Ukrainer:innen in
meinem sozialen Medium mit dem Satz kommentierte, die Partisan:innen der
Resistenza würden sich im Grabe wälzen vor Scham über ihre heutigen
Landsleute, war ich gleich viele Freundschaften los. Aber wie es bei den
„Sopranos“ so oft mit fast schon antikem Fatalismus heißt: [3][„Whadda ya
gonna do?“], übersetzt etwa: Da kannste nix machen.
Und was sind schon meine Kritteleien am Stiefelvolk etwa gegen die ungleich
härtere Gangart eines seiner größten Schriftsteller und Moralisten,
[4][Ennio Flaiano]. Der spricht vom „Land der Diebe und Bademeister (die
auf den Sommer warten)“, von Individuen, die ihre eigene Freiheit über
alles schätzen und die der anderen verachten, klagt schließlich über das
„Land der Lebensmittelmystifizierung“; womit wir uns häppchenweise den
Gefilden dieser Kolumne nähern.
In der [5][neuen Biografie über den Dichter Rolf Dieter Brinkmann
(1940–1975)] hat mich nämlich überrascht, wie sehr zu seiner Zeit das
italienische Essen in Deutschland noch in Verruf stand, während man heute
kaum den Kochtipps entkommt, die einem den angeblich existenziellen
Unterschied von [6][carbonara, cacio e pepe und gricia] einrühren wollen.
Leider habe ich die Brinkmann-Bio schon wieder in die Bücherei
zurückgebracht, kann also die Warnungen, die er vor seinem
Stipendiatenaufenthalt in der Villa Massimo von schon romerfahrenen
Kollegen bekam, hier nicht wörtlich wiedergeben.
## Der große Rom-Meckerer der deutschen Literatur
Faszinierend fand ich aber jedenfalls noch, dass auch in dieser neuen Bio
nicht erwähnt wird, dass Brinkmann seine polternde Abneigung gegen alles
Italienische auch auf die Sprache ausweitete. Ein Dichter, der
verlautbarte, dass alles ein Gedicht werden könne, [7][„wenn man es nur
genau genug sieht“,] schreibt viele der italienischen Wörter, die er sah,
schlicht falsch: „tabacci“ statt tabacchi, „marcelleria“ statt maceller…
„buena sera“ satt buona sera, „commerziale“ statt commerciale – dies …
Beispiele aus den Gedichten „Canneloni in Olevano“ und „Hymne auf einen
italienischen Platz“, die dann programmatisch endet: „O Lire! O Scheiß!“
Am Ende sind die Deutschen möglicherweise doch am meisten davon fasziniert,
was hinten rauskommt. Aber, ach – nein! Brinkmann – „ein ganz eigenartiger
und erstaunlicher und wirklich künstlerischer Mensch“ (Jörg Fauser) –,
können wir nicht so liegen lassen: Bei aller Engstirnigkeit, die ihn (so
viel Bildungshuberei darf sein) mit dem anderen großen Rom-Meckerer der
deutschen Literatur, Johann Gottfried Herder, verbindet, hat er doch die
schöne Frage gedichtet:
„Wo ist, frage ich, das Fenster, das nach Süden offen ist?“ Und wer bekäme
nicht Appetit bei diesen genudelten Versen: „Was ich meine, ist, daß
schwierig ist zu / beschreiben, wie gut Cannelonis schmecken, die heiß, /
leise zischend, auf heißen Tellern nach einiger / Zeit Wartens in den
großen, kalten Saal gebracht werden, / wo die Spiegel abgeblättert sind und
der Gasofen nicht / sehr wärmt, und es ist gut, sich gut zu fühlen.“
Und oh ja, das ist es! Oder anders gesagt: La vita è trotzdem bella!
14 Apr 2025
## LINKS
[1] /Brandmauer-im-Bad/!6072692
[2] https://askanews.it/2025/04/05/m5s-pecoraro-scanio-in-piazza-per-pace-il-do…
[3] https://www.tiktok.com/@bolofrombrooklyn/video/7278854706129243438
[4] /!1829536&s/
[5] /Kultdichter-Rolf-Dieter-Brinkmann/!6080440
[6] https://guide.michelin.com/de/de/article/travel/carbonara-amatriciana-grici…
[7] https://www.circlestonesbooks.blog/standphotos-gedichte-1962-1970-rolf-diet…
## AUTOREN
Ambros Waibel
## TAGS
Kolumne Das bisschen Haushalt
Italien
Essen
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Antisemitismus
Schwerpunkt Stadtland
Italien
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